BGH Urteil v. - IX ZR 146/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2; InsO § 143; InsO § 131; InsO § 146 Abs. 1; InsO § 144; InsO § 143 Abs. 1 Satz 2; InsO § 143 Abs. 2; ZPO § 526 Abs. 1; ZPO § 167; ZPO § 725; BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 362 Abs. 2; BGB § 667; BGB § 819 Abs. 1; BGB § 818 Abs. 4; BGB § 292; BGB § 989; SGB IV § 28h

Instanzenzug: OLG Frankfurt am Main vom LG Wiesbaden vom

Tatbestand

Der während des Insolvenzverfahrens verstorbene Schuldner übergab zwischen dem und dem dem Gerichtsvollzieher fünf Schecks im Gesamtbetrag von 32.500 DM zum Einzug auf Beitragsforderungen, welche die beklagte Zusatzversorgungskasse, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, gegen ihn vollstreckte. Der Beklagte zog außer den eigenen Beiträgen aufgrund tarifvertraglicher Ermächtigung auch die Beiträge anderer Sozialkassen der Bauwirtschaft von den Arbeitgebern ein und führte hierüber Beitragskonten.

Der Gegenwert der vom Gerichtsvollzieher entgegengenommenen Schecks floß dem Beklagten zu, der hiervon 1.377,82 € als eigenen Beitrag einbehielt und 15.242,17 € der insoweit berechtigten Urlaubs- und Lohnausgleichskasse auskehrte.

Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners beantragt. Nach der am beschlossenen Verfahrenseröffnung verlangt der Insolvenzverwalter mit der gegenwärtigen Klage die Scheckbeträge von dem Beklagten im Wege der Anfechtung zurück.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, der Masse den für eigene Rechnung eingezogenen Beitrag zurückzugewähren und im übrigen die Klagabweisung bestätigt. Mit seiner - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger den aberkannten Rückgewähranspruch weiter.

Gründe

I.

Das Oberlandesgericht ist der Ansicht des Landgerichts gefolgt, daß der Beklagte zur Masse nur dasjenige zurückgewähren müsse, was er selbst erlangt habe. Soweit der Beklagte die vollstreckten Beträge als tarifvertraglich ermächtigte Einzugsstelle für Rechnung einer anderen Kasse geltend gemacht, erhalten und - wie hier - an die Berechtigte weitergeleitet habe, sei er nicht der richtige Anfechtungsgegner.

II.

Gegen diese Annahme wendet sich die Revision mit Recht. Die rechtzeitig erhobene Klage ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 143 InsO vollen Umfanges begründet.

1. Die Entscheidung über die Berufung durch den Einzelrichter nach Übertragung der Sache gemäß § 526 Abs. 1 ZPO ist trotz Zulassung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. , NJW 2003, 2900).

2. Den Anfechtungsgrund des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO hat das Berufungsgericht für den zuerkannten Teilanspruch mit Recht bejaht, weil der Schuldner zur Zeit der erzwungenen Scheckübergaben nach dem unstreitigen Parteivortrag bereits zahlungsunfähig war. Für den in die Revision gelangten Teil des Streitgegenstandes gilt grundsätzlich nichts anderes. Hinsichtlich der letzten Scheckübergaben vom greift jedoch schon der Anfechtungsgrund des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch. Die Gläubiger hatten die mit Mitteln der Zwangsvollstreckung gegen den zahlungsunfähigen Schuldner durchgesetzte Befriedigung ihrer Ansprüche in dieser Art nicht mehr zu beanspruchen (vgl. BGHZ 136, 309, 311 ff; , ZIP 2002, 1159, 1160 f; st. Rspr.).

Maßgebend für den Beginn der nach § 131 InsO erfaßten Handlungszeiträume ist der am gestellte Insolvenzantrag, der zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat. Der Tod des Schuldners nach Antragstellung bewirkte ohne weiteres eine Überleitung des Eröffnungsverfahrens vom Regel- in das Nachlaßinsolvenzverfahren. Damit hat das Eröffnungsverfahren ohne Unterbrechung seinen Fortgang mit den Erben als neuen Schuldnern genommen (vgl. , WM 2004, 517, 518, z.V.b. in BGHZ).

3. Der Anfechtungsanspruch des Klägers verjährte nach § 146 Abs. 1 InsO in zwei Jahren seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, mithin am . Die Verjährung ist im Streitfall durch Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor Ablauf gehemmt worden (§ 209 BGB). Denn diese Wirkung ist hier nach § 167 ZPO bereits mit Eingang der Klage am eingetreten. Die Zustellung der Klage ist am noch "demnächst" erfolgt, weil die Verzögerung allein auf den schleppenden Geschäftsgang des Landgerichts zurückzuführen ist.

4. Der Beklagte schuldet dem Kläger Rückgewähr auch der Sozialkassenbeiträge, die er als tarifvertragliche Einzugsstelle für fremde Rechnung gegen die Schuldnerin vollstreckt und an die berechtigten Kassen ausgekehrt hat.

a) Das Oberlandesgericht Hamburg (ZIP 2001, 708, 710) ist in der von der Revision herangezogenen Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen, daß der Insolvenzverwalter die Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen (§ 28d SGB IV) gegenüber der Krankenkasse (§ 4 Abs. 2 SGB V) als Einzugsstelle (§§ 28h, 28i SGB IV) auch insoweit anfechten kann, als diese Beträge im Innenverhältnis anderen Versicherungsträgern zustehen. Dem liegt zugrunde, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (insbesondere BSGE 15, 118, 122 f) die Einzugsstelle gemäß § 28h SGB IV (ebenso schon nach § 1399 Abs. 1 RVO; vgl. auch § 121 Abs. 1 AVG und § 176 Abs. 1 AFG) Verwaltungstreuhänderin der von ihr einzuziehenden Fremdbeiträge ist; ihr sind für den Beitragseinzug Rechte übertragen worden, so daß sie gegenüber den Arbeitgebern als Inhaberin der Gesamtforderung auftritt, selbst wenn im Innenverhältnis zu den anderen Versicherungsträgern deren Beiträge ein fremdes Recht bleiben. Im sozialversicherungsrechtlichen Schrifttum wird die Verwaltungshoheit der Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag so verstanden, daß sie auch Gläubiger der Beitragsansprüche sind (z.B. Hauck/Haines/Sehnert, SGB Losebl. § 28h SGB IV Stand April 1999 Rn. 4; Wannagat/Felix, SGB Losebl. § 28h SGB IV Stand April 2003 Rn. 10 a.E.; vgl. ebenso KG ZIP 2003, 589, 590). Unabhängig davon spricht wegen der Verwaltungshoheit der sozialversicherungsrechtlichen Einzugsstellen vieles dafür, daß sie im Hinblick auf den verwalteten Gesamtsozialversicherungsbeitrag jedenfalls Insolvenzgläubiger im Sinne der Deckungsanfechtung sein können. Sie können anfechtungsrechtlich mithin im Grundsatz auch zur Rückgewähr des Gesamtsozialversicherungsbeitrags verpflichtete Empfänger im Sinne der §§ 143, 144 InsO sein (vgl. dazu MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 5).

Demgegenüber haben das Kammergericht (aaO S. 589 f = NZI 2002, 660) und das Oberlandesgericht Frankfurt (Urt. v. - 2 U 20/01, Umdruck S. 7) Sozialkassen im Baugewerbe, die tarifvertragliche Arbeitgeberbeiträge in einem Gesamtbetrag einziehen, anfechtungsrechtlich nicht als Empfänger solcher Beiträge angesehen, die anderen Sozialkassen zufließen (zustimmend HK-InsO/Kreft, 3. Aufl. § 129 Rn. 89). Die Sozialkassen machen insoweit nur fremde Ansprüche im eigenen Namen kraft tarifvertraglicher Ermächtigung geltend (BAG AP Nr. 1 und 11 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen).

b) Zur Rückgewähr verpflichtet ist nach § 143 InsO der Empfänger, der die Leistung des Schuldners erlangt hat (vgl. auch § 144 InsO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Beklagte danach auch insoweit Rückgewährschuldner gewesen, als er die tarifvertraglichen Arbeitgebersozialleistungen des Schuldners für fremde Rechnung einzuziehen hatte.

Die bereicherungsrechtlich differenziert gelöste Frage, wer nach Abtretung nicht bestehender Ansprüche zur Herausgabe der rechtsgrundlos erlangten Leistung verpflichtet ist, hat der Bundesgerichtshof in dem rechtlich ähnlichen Zusammenhang der Insolvenzanfechtung eingezogener Gesamtsozialversicherungsbeiträge ohne nähere Erörterung auch bisher schon zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen als Einzugsstellen beantwortet (vgl. dazu BGHZ 149, 100; 178; , WM 2003, 1776). Auf das Innenverhältnis der Einzugsstellen als Verwaltungstreuhänder der anderen Sozialversicherungsträger und auf die teilweise Fremdnützigkeit des Beitragseinzugs kommt es insoweit nicht an. Die Treugeber sind in diesen Fällen nicht Anfechtungsgegner.

In der insolvenzrechtlichen Wertung kann die Rechtsstellung des Beklagten als tarifvertragliche Einzugsstelle eines Gesamtsozialkassenbeitrags aber nicht anders beurteilt werden, obwohl hier ein treuhänderischer Rechtsübergang von den in das tarifvertragliche Leistungssystem eingebundenen Sozialkassen auf die Einzugsstelle nicht stattfindet. Der Beklagte ist als Einzugsstelle im Rahmen der Deckungsanfechtung gleichwohl wie ein Insolvenzgläubiger zu behandeln. Das Innenverhältnis zwischen der Einzugsstelle und den hinter ihr stehenden anderen Sozialkassen spielt auch für diese Fallgruppe anfechtungsrechtlich keine entscheidende Rolle.

Im Außenverhältnis zu den Beitragsschuldnern besteht zwischen gesetzlicher und tarifvertraglicher Einzugsstelle anfechtungsrechtlich kein wesentlicher Unterschied. Der Beklagte ist zur Einziehung der Arbeitgebersozialleistungen tarifvertraglich ermächtigt, soweit Beiträge an andere Sozialkassen abzuführen sind. Die Arbeitgeber können nach den Bestimmungen des Tarifvertrages und § 362 Abs. 2 BGB auf die Beitragsforderungen aller systemangehörigen Sozialkassen befreiend nur an den Beklagten leisten; der Beklagte hat die ausschließliche Empfangszuständigkeit der tarifvertraglich geregelten Arbeitgebersozialleistungen. Der Beklagte ist für die Durchsetzung aller Beitragsforderungen des tarifvertraglichen Systems Prozeßstandschafter, Titelgläubiger und Klauselberechtigter im Sinne des § 725 ZPO (vgl. insoweit , NJW 1983, 1678 zur gewillkürten Prozeßstandschaft im allgemeinen). In Ausnutzung dieser Befugnisse ist der Beklagte auch wie ein Vollrechtsinhaber gegen den später verstorbenen Schuldner vorgegangen und hat seine Leistungen noch während der Krise mit Vollstreckungszwang beigetrieben.

Diese anfechtungsrechtliche Interessenabwägung steht im Einklang mit den bereicherungsrechtlichen Lösungen, die auch anderweitig in der Anfechtungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Wertungsparallelen herangezogen worden sind (vgl. BGHZ 142, 284, 287 für die Anweisungslage; , z.V.b. für die Drittzahlung gemäß § 267 BGB). Zum Bereicherungsrecht hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß der Drittschuldner seine Leistung an den Vollstreckungsgläubiger von diesem zurückfordern kann, wenn die zur Einziehung überwiesene Forderung nicht besteht (BGHZ 151, 127, 130 f). Auch dort ergibt sich die Rückgewährpflicht - wie im Streitfall - aus der Einziehungsermächtigung und der alleinigen Empfangszuständigkeit des Vollstreckungsgläubigers (§ 836 Abs. 1 ZPO). Dagegen sind die Leistungsbeziehungen im Streitfall mit einer Anweisungslage nicht vergleichbar, bei der der Schuldner dem Beklagten auf die fremden Beitragsansprüche nichts geleistet hätte. Denn es gibt kein Valutaverhältnis zwischen den anderen Sozialkassen, wenn man sie als Anweisende des angewiesenen Schuldners denkt, und der Beklagten, ihrer Einzugsstelle. Vielmehr mußte die Beklagte die fremdnützig eingezogenen Arbeitgeberbeiträge nach § 667 BGB an die insoweit berechtigten anderen Sozialkassen herausgeben.

In der Gesamtschau spricht deshalb alles dafür, den trarifvertraglich einzugsermächtigten Beklagten auch insoweit selbst als Empfänger und damit als Anfechtungsgegner zu betrachten, als er keine eigenen Beitragsansprüche vollstreckt hat.

c) Der Beklagte kann gegen den Anfechtungsanspruch des Klägers nicht einwenden, nach Weiterleitung der fremdnützig eingezogenen Beiträge an die empfangsberechtigten Sozialkassen entreichert zu sein. Das Gesetz schließt diesen Einwand durch § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO mit der Verweisung auf § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, §§ 292, 989 BGB für den Regelfall aus. Ausnahmsweise kann sich zwar der gutgläubige Empfänger einer unentgeltlichen Leistung nach § 143 Abs. 2 InsO auf den Entreicherungseinwand berufen. Diese gesetzliche Ausnahme greift aber vorliegend nicht ein; denn den eingezogenen Arbeitgeberbeiträgen standen im Leistungsaustausch tarifvertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer gegen die jeweiligen Sozialkassen gegenüber.

Auch dem uneigennützigen Treuhänder des Schuldners hat der Senat bei der Bemessung des anfechtungsrechtlichen Wertersatzes die Berufung auf eine Entreicherung gestattet, weil die formelle Rechtsstellung, die er erlangt hat, von vornherein schuldrechtlich gebunden war (vgl. BGHZ 124, 298, 303). In diesem Fall war aus dem Schuldnervermögen jedoch nur die formale, auf den Treuhänder übergegangene Rechtsposition ausgeschieden und anschließend zugunsten des Schuldners selbst wieder aufgegeben worden. Um eine ver- gleichbare Gestaltung geht es im Streitfall nicht. Aus dem Vermögen des Schuldners war der Gegenwert der dem Gerichtsvollzieher übergebenen Schecks rechtlich und wirtschaftlich endgültig ausgeschieden.

Fundstelle(n):
SAAAC-00254

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein