BGH Beschluss v. - IX ZB 44/03

Leitsatz

[1] Hat ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zur Tabelle angemeldet, so ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 4a Abs. 2 InsO nicht allein wegen eines dem Schuldner gemäß § 175 Abs. 2 InsO vom Insolvenzgericht erteilten Hinweises auf die Rechtsfolgen des § 302 Nr. 1 InsO und die Möglichkeit des Widerspruchs zu versagen. Vielmehr ist ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn der Schuldner im Rahmen seiner Möglichkeiten dartut, daß er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen im konkreten Fall nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Erhebung des Widerspruchs zu treffen.

Gesetze: InsO § 4a Abs. 2; InsO § 175 Abs. 2; InsO § 302 Nr. 1

Instanzenzug: LG Landau vom AG Landau

Gründe

I.

Mit Beschluß vom eröffnete das Amtsgericht Landau das Insolvenzverfahren über das Vermögen des N. W. (nachfolgend: Schuldner). Die Kosten des Insolvenzverfahrens sowie die Kosten der Restschuldbefreiung wurden dem Schuldner durch Beschluß vom gestundet. Mit Verfügung vom belehrte das Insolvenzgericht den Schuldner nach § 175 Abs. 2 InsO, daß die A. im laufenden Insolvenzverfahren eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet und daß der Schuldner in dem auf den anberaumten Prüfungstermin die Möglichkeit habe, zu bestreiten, daß die Forderung überhaupt bestehe, oder er den Widerspruch darauf beschränken könne, daß die Forderung nicht aus einer vorsätzlich begangenen Handlung herrühre. Weiter wurde der Schuldner darauf hingewiesen, daß er nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode nicht von dieser Forderung frei werde, sollte ein Widerspruch unterbleiben und die Forderung vom Insolvenzverwalter festgestellt werden.

Mit am Tage des Prüfungstermins eingegangenem Schriftsatz vom beantragte Rechtsanwalt S. , ihn dem Schuldner gemäß § 4a Abs. 2 InsO für das Verfahren beizuordnen. Er nahm für den Schuldner an diesem Termin teil und widersprach bezüglich der angemeldeten Forderung der A. der Behauptung des Haftungsgrundes einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.

Mit Beschluß vom hat das Insolvenzgericht den Beiordnungsantrag abgelehnt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, daß die vom Schuldner vorgetragene Schwierigkeit hinsichtlich der angemeldeten Forderung aus unerlaubter Handlung "jedenfalls im gegenwärtigen Verfahrensstand" nicht ausreiche, die Beiordnung zu rechtfertigen.

Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren weiter.

II.

Das gemäß § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, §§ 575, 576 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO wird dem Schuldner, wenn ihm die Verfahrenskosten gestundet werden, auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, falls die Vertretung durch einen Rechtsanwalt trotz der dem Gericht obliegenden Fürsorge erforderlich erscheint.

a) Bei der Schaffung der Neuregelung des § 4a InsO ging der Gesetzgeber davon aus, daß der Schuldner im Insolvenzverfahren regelmäßig selbst seine Rechte wahrnehmen kann. Allerdings obliegt dem Gericht eine Fürsorgepflicht, die insbesondere in Verbraucherinsolvenzverfahren gegenüber den häufig Rechtsunkundigen auch eine eingehende Beratung erforderlich machen kann. Vor diesem Hintergrund soll die Beiordnung eines Rechtsanwalts nur dann zulässig sein, wenn dies, etwa wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, erforderlich erscheint (vgl. BegrRegE, BT-Drucks. 14/5680, S. 21). Der Gesetzgeber hat demnach die Voraussetzungen einer Beiordnung in § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO enger als im Rahmen der insoweit nicht anwendbaren Regelung der Prozeßkostenhilfe gemäß § 121 ZPO gefaßt. Etwa ist - anders als in § 121 Abs. 2 ZPO - eine Beiordnung nicht schon deswegen vorzunehmen, weil der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

b) Hat ein Gläubiger eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung angemeldet, so hat das Insolvenzgericht gemäß § 175 Abs. 2 InsO den Schuldner auf die Möglichkeit des Widerspruchs und darauf hinzuweisen, daß nach § 302 Nr. 1 InsO Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung - sofern sie ordnungsgemäß beim Insolvenzverwalter angemeldet wurden - von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind.

Die - häufig formularmäßige - Erfüllung dieser Hinweispflicht erfordert keine rechtliche Beratung, die den Schuldner in die Lage versetzt, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob die Einlegung eines Widerspruchs bei der gegebenen Sach- und Rechtslage zweckmäßig ist.

Auf eine zuverlässige Einschätzung der Sach- und Rechtslage ist der Schuldner im Hinblick auf die mit der Erhebung oder dem Unterlassen des Widerspruches verbundenen weitreichenden Rechtsfolgen jedoch angewiesen. Unterbleibt der Widerspruch, obwohl die Voraussetzungen für die Durchsetzung eines solchen Anspruches nicht vorliegen, umfaßt die Restschuldbefreiung diese Forderung gemäß § 302 Nr. 1 InsO nicht. Legt er hingegen Widerspruch ein, kann der Insolvenzgläubiger nach § 184 InsO Klage auf Feststellung der Forderung gegen den Schuldner erheben. Dem damit verbundenen Kostenrisiko kann der Schuldner schwerlich dadurch entgehen, daß er den Feststellungsantrag anerkennt (a.A. AG Göttingen, NZI 2003, 221, 222). Er könnte damit im allgemeinen nicht die Kosten gemäß § 93 ZPO auf den Gläubiger verlagern, weil er durch den Widerspruch regelmäßig zur Erhebung einer entsprechenden Feststellungsklage Veranlassung gegeben hat. Der Widerspruch steht zwar einer Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO, doch hindert er eine Vollstreckung aus der Tabelle, solange er nicht durch ein entsprechendes Feststellungsurteil beseitigt worden ist, § 201 Abs. 2 Satz 2 InsO (Frankfurter Kommentar-InsO/Ahrens, 3. Aufl. § 302 Rn. 11). Damit stellt sich die Erhebung der Feststellungsklage grundsätzlich als notwendige prozessuale Reaktion des Gläubigers auf den Widerspruch dar.

Einer solchen Klage und dem damit verbundenen Kostenrisiko wird sich der Schuldner aber nur aussetzen, wenn die angemeldete Forderung nicht besteht oder zweifelhaft ist, ob sie aus einer vorsätzlich begangenen Handlung herrührt. Ist dies nicht der Fall, wird er vernünftigerweise von der Einlegung eines Widerspruchs absehen. Dem Schuldner darf es demnach nicht zugemutet werden, den Widerspruch aufgrund seiner Rechtsunkundigkeit sozusagen "ins Blaue hinein" einzulegen.

c) Eine Verpflichtung des Insolvenzgerichts, den Schuldner über die Zweckmäßigkeit der Einlegung eines Widerspruches zu beraten, läßt sich auch nicht aus der dem Insolvenzgericht obliegenden Fürsorge gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO herleiten.

Im Rahmen dieser Pflicht kann das Gericht u.a. der rechtsunkundigen Partei den Inhalt und die Auswirkung gesetzlicher Vorschriften erläutern, Hinweise geben, auf die Beseitigung widersprüchlicher und mehrdeutiger Parteiangaben hinwirken und für die sachdienliche Fassung von Anträgen sorgen. Die Grenzen der Fürsorgepflicht sind jedoch dann erreicht, wenn das Gericht seine Pflicht zur Neutralität und Gleichbehandlung der Beteiligten verletzt (vgl. zur Hinweispflicht gemäß § 139 Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 139 Rn. 2 m.w.N.).

Diese Grenzen wären überschritten, wenn die Fürsorgepflicht das Insolvenzgericht in dem hier maßgeblichen Zusammenhang dazu nötigte, die Aufklärung des der angemeldeten Forderung zugrundeliegenden Sachverhalts zu betreiben oder eine darauf gestützte rechtliche Bewertung einschließlich einer etwaigen Beweiswürdigung vorzunehmen. Das sind im Insolvenzverfahren spezifisch anwaltliche Aufgaben und Pflichten. Denn dieses Verfahren dient nicht der Klärung bestrittener Forderungen. Diese hat vielmehr im ordentlichen Streitverfahren zu erfolgen (hier nach §§ 184, 180 Abs. 1 InsO). Ein entgegenstehendes Verständnis der gerichtlichen Fürsorgepflicht würde nicht nur die tatsächlichen Möglichkeiten der Insolvenzgerichte überfordern, sondern es wäre auch mit der Stellung des Gerichts als objektiver - der Parteinahme entzogener - Sachwalter unvereinbar. Die gerichtliche Fürsorgepflicht kann die spezifischen anwaltlichen Aufgaben und Pflichten nicht ersetzen. Wären die gerichtliche Fürsorgepflicht und der anwaltliche Pflichten- und Aufgabenkreis deckungsgleich, wäre die Möglichkeit der Beiordnung - wie in § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO vorgesehen - überflüssig. Deswegen kann eine anwaltliche Beiordnung nicht unter pauschalem Hinweis auf die gerichtliche Fürsorgepflicht unterbleiben (vgl. auch BVerfG NJW 1997, 2103, 2104).

d) Demnach kommt eine anwaltliche Beiordnung gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO zur Beratung über die Zweckmäßigkeit der Einlegung eines Widerspruches grundsätzlich in Betracht. Die Bewilligung im Einzelfall hängt davon ab, daß der Schuldner - im Rahmen seiner laienhaften Möglichkeiten - dem Insolvenzgericht einsichtig macht, daß er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen - gemessen an der konkret angemeldeten Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung - nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine selbstverantwortliche Entscheidung über die Zweckmäßigkeit der Erhebung eines Widerspruchs zu treffen. Für diese Darlegung muß das Insolvenzgericht dem Schuldner eine angemessene Überlegungsfrist einräumen.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Darlegungen des - anwaltlich beratenen - Schuldners zur Erforderlichkeit einer anwaltlichen Beiordnung gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO reichen nicht aus. In seinem Antrag vom hat sich der Verfahrensbevollmächtigte des Schuldners lediglich darauf beschränkt mitzuteilen, der Insolvenzschuldner sei der Auffassung, "daß es sich nicht um eine Forderung aus unerlaubter Handlung" handele. Weitergehende konkretisierende auf den Schuldner und die angemeldete Forderung bezogene Angaben fehlen. Auch in der Begründung der Erstbeschwerde beschränkt sich der Beschwerdeführer auf allgemeine, vom konkreten Sachverhalt losgelöste Ausführungen über "regelmäßig" beim Schuldner nicht vorhandene Rechtskenntnisse der "materiellen Grundlagen" einer gegen ihn angemeldeten Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 463 Nr. 9
DAAAB-99959

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein