BGH Beschluss v. - IX ZB 262/05

Leitsatz

[1] Der nach Gesellschaftsrecht berufene gesetzliche Vertreter der Schuldnerin kann für diese auch dann Beschwerde gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einlegen, wenn der nach § 37 KWG bestellte Abwickler den Insolvenzantrag gestellt hat.

Gesetze: KWG § 37; InsO § 34 Abs. 2

Instanzenzug: AG Hamburg 67c IN 312/05 vom LG Hamburg 326 T 92/05 vom

Gründe

I.

Mit Verfügung vom untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (fortan: Bundesanstalt) der in der Rechtsform einer AG & Co. KG geführten Schuldnerin gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 und 2 KWG, Finanzkommissionsgeschäfte gewerbsmäßig zu betreiben und hierfür zu werben. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 KWG wurde Rechtsanwalt H. zum Abwickler der von der Schuldnerin ohne die erforderliche Erlaubnis gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG betriebenen Bankgeschäfte bestellt. Ihm wurden die in dem Bescheid näher bezeichneten Befugnisse eingeräumt. Die Verfügung ist nicht bestandskräftig.

Mit am eingegangenem Schriftsatz vom Vortag beantragte Rechtsanwalt H. in seiner Eigenschaft als Abwickler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Die weitere Beteiligte zu 1 ist die Komplementärin der Schuldnerin.

Das Amtsgericht eröffnete am das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, ohne die weitere Beteiligte zu 1 zuvor zu hören. Diese hat gegen die Entscheidung für die als Antragsgegnerin bezeichnete Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht als Rechtsmittel der ehemaligen Geschäftsführerin der Schuldnerin behandelt und auf Kosten der Geschäftsführerin als unzulässig verworfen hat. Hiergegen wendet sich die weitere Beteiligte zu 1 mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

1. Das Rechtsmittel ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

a) Die Befugnis zur Rechtsbeschwerde setzt grundsätzlich voraus, dass bereits die sofortige Beschwerde statthaft war (BGHZ 144, 78, 82; , WM 2003, 2344; v. - IX ZB 599/02, WM 2003, 2390, 2391; v. - IX ZB 128/03, ZIP 2004, 2341; v. - IX ZB 63/03, WM 2005, 1246). Dies ist hier der Fall. Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, steht dagegen nach § 34 Abs. 2 InsO dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu. Eine solche hat die weitere Beteiligte zu 1 ausdrücklich als gesetzliche Vertreterin der Schuldnerin für diese eingelegt. Damit ist der Rechtsmittelzug zum Bundesgerichtshof eröffnet.

b) Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat das Landgericht gemeint, die Beschwerdebefugnis der Komplementärin der Schuldnerin verneinen zu müssen, weil die Schuldnerin allein von dem Abwickler vertreten werde. Diesem seien zur Durchführung der unverzüglichen Abwicklung der unerlaubt betriebenen Finanzkommissionsgeschäfte die Befugnisse eines Geschäftsführers der Gesellschaft mit der alleinigen Berechtigung zur Vornahme der erforderlichen Maßnahmen übertragen worden. Die bisherige Geschäftsführung werde hierdurch aus dem Abwicklungs- wie auch aus dem Insolvenzverfahren verdrängt, solange die Anordnung der Bundesanstalt zur unverzüglichen Rückzahlung der Einlagen, von deren Rechtmäßigkeit das Insolvenzgericht auszugehen habe, nicht aufgehoben sei. Rechtliches Gehör müsse die Beschwerdeführerin im Verwaltungsrechtsweg suchen.

3. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie verstößt überdies gegen die durch § 15 Abs. 1 und 2, § 34 Abs. 2 InsO näher ausgestaltete Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bei Insolvenzen von Gesellschaften.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auf die sich das Landgericht zur Begründung seines Standpunktes ausdrücklich bezieht (, ZIP 2003, 1641, 1642 f), erfordert es der Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur, dem Abwickler, der mit der Aufgabe betraut ist, die Schuldnerin bei der Abwicklung der ihr verbotenen Geschäfte zu überwachen und die Rückzahlung der Gelder aus diesen Geschäften an die Anleger sicherzustellen, ein eigenes Antragsrecht einzuräumen. Ohne ein eigenes Insolvenzantragsrecht des Abwicklers wäre die mit der Vorschrift des § 37 KWG bezweckte wirkungsvolle Unterbindung unerlaubter Bankgeschäfte wesentlich erschwert. Der Abwickler könnte lediglich durch Benachrichtigung der Kunden versuchen, einen Gläubigerantrag herbeizuführen. Aus diesen Gründen hat der Senat dem Abwickler im Anwendungsbereich des § 37 KWG a.F., der die Insolvenzantragsbefugnis nicht ausdrücklich ansprach, ein eigenes Insolvenzantragsrecht gewährt. Er konnte sich dabei auch auf die Gesetzesmaterialien zur Einführung der Möglichkeit, einen Abwickler zu bestellen, beziehen (Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften vom , BGBl. I 2518, 2548). Mit der Neuregelung wollte der Gesetzgeber bewirken, dass der Geschäftsbetrieb darauf überprüft werden kann, ob er gemäß den Anordnungen des Bundesaufsichtsamtes (nunmehr: der Bundesanstalt) abgewickelt wird, und widrigenfalls ein Abwickler "mit den Kompetenzen eines Geschäftsführers" die notwendigen Abwicklungshandlungen durchführen kann (vgl. BR-Drucks. 963/96 S. 91). Zu den Kompetenzen eines Geschäftsführers gehört im Allgemeinen auch die Stellung eines Insolvenzantrags (, aaO S. 1642). Der Senat ist in der genannten Entscheidung davon ausgegangen, dass die Schuldnerin, vertreten durch das nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu bestimmende Vertretungsorgan, an dem durch den Antrag des Abwicklers in Gang gesetzten Verfahren förmlich beteiligt ist.

b) Nach der im Streitfall anzuwendenden Neufassung des § 37 Abs. 2 KWG durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz (BGBl. I 2002, 2010, 2056) ist dem Abwickler diese Befugnis nunmehr ausdrücklich zuerkannt worden, ohne dass hierbei in die Antragsrechte und -pflichten des nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen antragsberechtigten Personenkreises eingegriffen worden ist.

aa) Der Gesetzgeber hat die Ergänzung des Katalogs der Aufsichtsmaßnahmen als Klarstellung, nicht als grundlegende Umgestaltung der Rechtslage verstanden, durch die der nach dem Kreditwesengesetz bestellte Abwickler den in § 15 InsO genannten Abwicklern in Bezug auf die Möglichkeit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, gleichgestellt werden sollte (vgl. BR-Drucks. 936/01 S. 357). Für eine hiermit korrespondierende Beschränkung der Antragsberechtigung des in § 15 InsO aufgeführten Personenkreises ergeben weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte oder der Sinn und Zweck der Neuregelung einen Anhalt.

Insoweit besteht auch kein Unterschied, ob die Schuldnerin neben den verbotenen Bankgeschäften noch andere, nicht verbotene Geschäfte betreibt. Untersagungsverfügung, Werbeverbot und Abwicklungsanordnung nach § 37 Abs. 1 Satz 1 KWG haben nur zur Folge, dass der Geschäftsbetrieb einzustellen und die unverzügliche Abwicklung der ungesetzlichen Geschäfte vorzunehmen ist, gegebenenfalls nach Weisung der Bundesanstalt (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 KWG). Der Abwickler hat hierbei die Einhaltung der getroffenen Anordnungen "vor Ort" zu überwachen und durchführen zu lassen, widrigenfalls mit den Kompetenzen eines Geschäftsführers die notwendigen Abwicklungsmaßnahmen selbst durchzuführen (vgl. BR-Drucks. 963/96, S. 91; Fischer in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG 2. Aufl. § 37 Rn. 11; Samm in: Beck/Samm, KWG § 37 Rn. 28). Eine Verdrängung der zur Vertretung der Gesellschaft berufenen Organe findet schon nach dem Kreditwesengesetz im Übrigen nicht statt.

bb) Der Ausschluss eines Rechtsmittels ohne hinreichende gesetzliche Grundlage, der letztlich nur von allgemeinen Zweckmäßigkeitserwägungen getragen wird, verstößt im Übrigen gegen die aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Garantie effektiven Rechtsschutzes. Danach ist es den Gerichten verwehrt, einem materiell Verfahrensbeteiligten ohne hinreichende gesetzliche Grundlage die aus seiner Rechtsstellung als Verfahrenssubjekt fließenden Verfahrensrechte abzuschneiden. Da der Abwickler vorrangig die Vorgaben aus dem Kreditwesengesetz zu beachten hat, ist nicht gewährleistet, dass er bei der Wahrnehmung seines eigenen Antragsrechts die Interessen der Schuldnerin hinreichend berücksichtigt. Nur deren förmliche Beteiligung am Verfahren, vertreten durch die zuständigen Organe, verschafft der Gesellschaft die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge hinreichend geltend zu machen. Sogar im Anwendungsbereich des § 46b Abs. 1 KWG, in dem der Insolvenzantrag über das Vermögen eines Instituts (vgl. § 1 Abs. 1 KWG) nur von der Bundesanstalt gestellt werden kann (vgl. § 46b Abs. 1 Satz 4 KWG), wird dem Schuldner unter Geltung der Insolvenzordnung wegen des verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutzes das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss eingeräumt (vgl. Boos in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, aaO § 46b Rn. 2, 15 f; Kokemoor in: Beck/Samm, aaO § 46b Rn. 28 f). Für Schuldner, denen lediglich ein Abwickler für näher bezeichnete Geschäfte beigeordnet worden ist, kann nichts anderes gelten.

III.

Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, über die sofortige Beschwerde der Schuldnerin, vertreten durch die weitere Beteiligte zu 1, neu zu entscheiden. Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit nach § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht.

Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Verfahren der Rechtsbeschwerde wegen unrichtiger Sachbehandlung beruht auf § 21 GKG.

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1701 Nr. 32
DStZ 2006 S. 747 Nr. 21
NJW-RR 2006 S. 1423 Nr. 20
WM 2006 S. 1588 Nr. 33
WPg 2006 S. 1116 Nr. 17
ZIP 2006 S. 1454 Nr. 31
MAAAB-99823

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja