BGH Beschluss v. - IX ZB 261/04

Leitsatz

[1] a) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung sind im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten in ihrer jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden (dynamische Verweisung).

b) Die Berufung kann auch im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten durch unanfechtbaren Beschluss zurückgewiesen werden.

Gesetze: BEG § 209 Abs. 1; ZPO § 522 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 3

Instanzenzug: LG Trier 6wg O 55/01 vom OLG Koblenz 5wg U 6/04.E vom

Gründe

I.

Das beklagte Land lehnte mit Bescheid vom eine Entschädigung des Klägers wegen Schadens an Körper und Gesundheit ab. Der Anspruch sei jedenfalls nach § 190a BEG erloschen, weil der Sachverhalt zu seiner Begründung nicht rechtzeitig und hinreichend dargelegt worden sei. Hiergegen wendete sich die fristgerecht erhobene Klage, die auch dazu Stellung nahm, inwieweit der in Serbien geborene Kläger, der dort während der deutschen Besetzung im Untergrund gelebt habe, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat (§ 150 Abs. 1 BEG).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger zu keiner der Personengruppen zähle, denen das Gesetz für einen Schaden an Körper und Gesundheit Individualentschädigung gewähre (§§ 4, 150, 160, 164 BEG). Insbesondere könne auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des § 176 BEG nicht festgestellt werden, dass der Kläger dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe.

Das Oberlandesgericht hat dem Kläger angekündigt, dass es seine Berufung gegen das landgerichtliche Urteil mangels Erfolgsaussicht durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen beabsichtige. Weder lasse sich seine Anspruchsberechtigung nach den §§ 150, 176 BEG feststellen, noch sei der Anspruch wegen Schadens an Körper und Gesundheit nach den §§ 190a, 190 Nr. 2 und 3 BEG rechtzeitig und hinreichend dargelegt worden. Hinderungsgründe gegen eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder 3 ZPO seien nicht ersichtlich. Der Kläger ist den Bedenken des Oberlandesgerichts entgegengetreten, hat jedoch zu der beabsichtigten Verfahrensweise nicht Stellung genommen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss vom zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Beschwerde erhoben, mit welcher er die Zulassung der Revision durch den Bundesgerichtshof erstrebt. Hilfsweise hat er das Rechtsmittel der Revision eingelegt.

Zur Begründung seines Rechtsmittels hat der Kläger ausgeführt: Die Generalverweisung des Bundesentschädigungsgesetzes auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 209 Abs. 1 BEG) erstrecke sich nicht auf die Möglichkeit, eine Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO n.F. zurückzuweisen. Der Kläger sei deshalb hinsichtlich seiner Rechtsmittel so zu stellen wie bei einem Berufungsurteil, welches keine Entscheidung über die Zulassung der Revision enthalte. Nach § 220 BEG sei die Revision zuzulassen, weil die grundsätzliche Rechtsfrage zu klären sei, ob im Verfahren vor den Entschädigungsgerichten die Berufung entsprechend § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen werden könne. Notfalls müsse zulassungsunabhängig eine Revision entsprechend § 221 BEG statthaft sein.

II.

Die Rechtsmittel des Klägers gegen die Zurückweisung seiner Berufung im Beschlusswege sind unstatthaft. Die ihrer Form nach nicht zu beanstandende Entscheidung des Oberlandesgerichts ist gemäß § 209 Abs. 1 BEG, § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar. Die Frage, ob bei verfahrensfehlerhafter Entscheidungsform des Berufungsgerichts die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 220 BEG oder die Revision entsprechend § 221 BEG zu eröffnen wäre, wie der Kläger meint, stellt sich somit nicht.

1. Die einstimmige Zurückweisung der Berufung durch das Oberlandesgericht im Beschlusswege war zulässig. Die Vorschrift des § 522 Abs. 2 ZPO in der Fassung von Art. 2 des Zivilprozessreformgesetzes vom (BGBl. I S. 1887), welche dieses Verfahren eingeführt hat, gilt nach § 209 Abs. 1 BEG sinngemäß auch für den Berufungsrechtszug der Entschädigungsgerichte.

Anzuwenden sind nach § 209 Abs. 1 BEG die Vorschriften der Zivilprozessordnung in der jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung). Hier gilt nichts anderes als bei den rechtsähnlichen Generalverweisungen der §§ 173 VwGO, 202 SGG und 155 FGO (vgl. Falk, Die Anwendung der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes nach § 173 VwGO S. 116; Auer, Inhalt, Reichweite und Grenzen der Verweisung in § 173 VwGO S. 5 m.w.N.). Davon ist in Art. 4 des Zivilprozessreformgesetzes auch der Gesetzgeber ausgegangen. Insbesondere die dort in Nummer 4 bestimmte Anfügung eines Satzes 3 in § 223 BEG betreffend die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde setzt voraus, dass nach § 209 Abs. 1 BEG die neuen Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Rechtsbeschwerde (§§ 574 bis 577 ZPO) für das Verfahren vor den Entschädigungsgerichten sinngemäß gelten (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom , BT-Drucks. 14/3750 S. 97 a.E.). Dies trifft dann auch für die neugeschaffenen Regelungen des Berufungsverfahrens zu, weil sonst die Anpassung von § 218 Abs. 2 BEG durch Art. 4 Nr. 1 des Zivilprozessreformgesetzes überflüssig gewesen wäre.

Aus § 219 Abs. 1, § 220 BEG ergibt sich für das Verfahren vor den Entschädigungsgerichten keine ausnahmslose Garantie der Grundsatzrevision und der Nichtzulassungsbeschwerde. Wie nach § 542 Abs. 1 ZPO n.F. findet die Revision im Entschädigungsrechtszug nur gegen Endurteile statt. Einstimmige Beschlüsse, mit welchen die Berufung zurückgewiesen wird, stehen nach § 522 Abs. 3 ZPO n.F. einem Endurteil insoweit nicht gleich. Sie sind unanfechtbar.

2. Einheitliche Verfahrensgrundsätze des Rechts zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, die ein anderes Verständnis des Gesetzes nahe legen könnten, bestehen nicht. Die vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom (IX ZB 780/03, BGHR ÜberlG § 2 Beschwerde, sofortige 1) ausgeführten Erwägungen zum Rückerstattungsverfahren sind auf das Verfahren vor den Entschädigungsgerichten nicht übertragbar. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshof nach den §§ 1, 4 ÜberlG dient wie zuvor diejenige der Obersten Rückerstattungsgerichte einer Letztkontrolle der richtigen Rechtsanwendung im Einzelfall (BGH, aaO). Einen entsprechenden Rechtsschutzzweck hat die Grundsatzrevision des § 219 BEG und die Nichtzulassungsbeschwerde des § 220 BEG nicht. Die praktische Bedeutung dieses Rechtsschutzes ist daher seit Jahren rückläufig, weil in dem auslaufenden Rechtsgebiet nur noch in ganz wenigen Ausnahmen Grundsatzentscheidungen, auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, in Frage kommen. Es besteht bei dieser Ausgangslage auch trotz des Wiedergutmachungszwecks des Bundesentschädigungsgesetzes kein rechtlicher Hinderungsgrund dagegen, dass durch Anwendung von § 522 Abs. 3 ZPO einstimmige Berufungsentscheidungen im Beschlusswege einer Nachprüfung der Zulassungsgründe (§ 219 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BEG, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) entzogen werden.

3. Verfahrensgrundrechtliche Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 522 Abs. 2 und 3 ZPO greifen nicht durch (BVerfG-K NJW 2003, 281; NJW 2005, 659; vgl. auch Zuck NJW 2006, 1703 ff).

Fundstelle(n):
NJW-RR 2006 S. 1574 Nr. 22
SAAAB-99821

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja