Leitsatz
[1] Wenn die rechtzeitige Vornahme einer fristwahrenden Handlung - wie die Einlegung der Revision - wegen des wirtschaftlichen Unvermögens einer Partei unterbleibt, ist die Frist unverschuldet versäumt, sofern die Partei bis zu deren Ablauf um Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nachsucht oder - im Falle eines fehlenden Verschuldens - der Antrag auf Prozeßkostenhilfe noch später (in der Frist des § 234 ZPO) gestellt wird.
Gesetze: ZPO § 233 Ha; ZPO § 234 Abs. 1 A
Instanzenzug: OLG Brandenburg LG Neuruppin
Gründe
Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung der Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Prozeßkostenhilfe zu gewähren, wird zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO).
Die Zulässigkeit der angekündigten, aber noch nicht eingelegten Revision scheitert daran, daß die Antragstellerin die Frist des § 552 ZPO a.F. für die Einlegung der Revision nicht gewahrt, innerhalb dieser Frist keinen Prozeßkostenhilfeantrag angebracht hat und diese Verspätung auch nicht unverschuldet ist (§ 233 ZPO).
1. Wenn die rechtzeitige Vornahme einer fristwahrenden Handlung - wie hier die Einlegung der Revision - wegen des wirtschaftlichen Unvermögens einer Partei unterbleibt, so ist die Frist unverschuldet versäumt, sofern die Partei bis zu deren Ablauf um Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nachsucht oder - im Falle eines fehlenden Verschuldens - der Antrag auf Prozeßkostenhilfe noch später (innerhalb der Frist des § 234 ZPO) gestellt wird (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 233 Rn. 77, Stichwort: Prozeßkostenhilfe; § 234 Rn. 7). Diese Erweiterung gegenüber dem Grundsatz, der Rechtsmittelführer müsse innerhalb der Rechtsmittelfrist um die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe - gestützt auf einen vollständigen Antrag - nachsuchen (vgl. , NJW 1998, 1230, 1231; v. - IX ZB 30/99, NJW 1999, 2823), ist gerechtfertigt. Andernfalls würde die unbemittelte Partei entgegen den anerkannten verfassungsrechtlichen Vorgaben im Vergleich zur bemittelten Partei unverhältnismäßig benachteiligt.
2. Nach dem Inhalt ihres Antrages vom ist ein eigenes Verschulden der Antragstellerin, das in einer mangelhaften Büroorganisation liegen kann, nicht ausgeräumt.
a) Sie hat ihren "Wiedereinsetzungsantrag" im Kern wie folgt begründet:
Der Prozeßkostenhilfeantrag sei am (Dienstag) von ihr per Post zur Absendung gebracht worden. Durch ein Büroversehen sei der Brief unzureichend frankiert gewesen, so daß der Bundesgerichtshof am (Donnerstag) die Annahme verweigert habe und der Schriftsatz zurückgesandt worden sei. Dies ergebe sich aus der Kopie des verwendeten Briefumschlags. Bei ihr sei der Antrag am wieder eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Berufungsfrist (, Freitag) bereits abgelaufen gewesen. Entgegen den erteilten allgemeinen Anweisungen habe die zuständige Bürokraft, Frau W., die Frist im Fristenkalender gestrichen, ohne zuvor eine telefonische Bestätigung über den Eingang des Schriftsatzes einzuholen. Frau W. habe die Frankierung einer Auszubildenden übertragen, die den Umschlag unzureichend frankiert habe. Deren Arbeiten hätte Frau W. zu überwachen und zu kontrollieren gehabt. Dennoch habe Frau W. die unzureichende Frankierung durch die Auszubildende nicht bemerkt. Die durch sie verursachte Fristversäumung infolge fehlender Kontrolle der Frankierung sowie telefonischer Eingangskontrolle sei bislang einmalig geblieben.
b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen danach nicht vor; ein mögliches Organisationsverschulden ist nicht ausgeräumt.
aa) Unschädlich ist es, daß die Klägerin den unterfrankierten Prozeßkostenhilfeantrag mit dem Zusatz "Rechtsanwalt als Verwalter" unterzeichnet hat. Denn die besonderen prozessualen Zurechnungsnormen für das Verschulden des gesetzlichen Vertreters der Partei (§ 51 Abs. 2 ZPO) und seines Bevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) im Rahmen der Prozeßführung sind abschließend. Vertreter des Bevollmächtigten fallen nach allgemeiner Rechtsauffassung nur unter diese Vorschriften, wenn sie in eigenverantwortlicher Weise für die Partei in einem Rechtsstreit tätig werden. Dazu gehört insbesondere das Büropersonal nicht, weil die ZPO keine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift kennt (BAG NJW 1990, 2707; Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 85 Rn. 20; Zöller/Greger aaO, § 233 Rn. 20).
Der ursprüngliche - unterfrankierte - Prozeßkostenhilfeantrag vom genügte auch den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an ein vollständiges Prozeßkostenhilfegesuch stellt (vgl. , VersR 2000, 252 f; v. - XI ZR 161/01, MDR 2001, 1312 f = VersR 2001, 1305). Insbesondere wird unter Bezugnahme auf der Antragsschrift beigefügte Anlagen die Masseunzulänglichkeit im einzelnen dargelegt. Von der Verwendung des Vordrucks stellt § 1 Abs. 2 PKHVV vom (BGBl. I 3001) den Verwalter als Partei kraft Amtes frei.
bb) Die Antragstellerin hat aber ein mögliches Organisations- und Überwachungsverschulden nicht dadurch ausgeräumt, daß sie den doppelten Fehler ihrer Sekretärin als "einmaliges Versehen" dargestellt und das Vorhandensein von allgemeinen Anweisungen zur Ausgangs- und Fristenkontrolle behauptet hat.
Zunächst fällt auf, daß sich aus dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Antragstellerin kein einer Beweisaufnahme zugänglicher Ablauf der Ereignisse im Hinblick auf die Frankierung und Absendung des Prozeßkostenhilfeantrags ergibt. Dies beginnt schon damit, daß die Antragstellerin eingangs vorträgt, daß sie ("die Antragstellerin") den Prozeßkostenhilfeantrag, der einschließlich Anlagen aus 75 Seiten bestanden habe, "per Post zur Absendung gebracht" habe. Frankiert war der Brief mit 3 DM. Wenn dies wörtlich zu nehmen ist, hätte der Antragstellerin möglicherweise selbst auffallen müssen, daß die Sendung die Gewichtsgrenze von 500 g für den "Maxibrief", der - wie geschehen - mit 3 DM zu frankieren ist, deutlich überschritt. Sie hätte deshalb darlegen müssen, welches Gewicht die streitgegenständliche Sendung tatsächlich hatte, woran es fehlt. Aus der vorgelegten Kopie des verwendeten Umschlags geht hervor, daß auf dem Umschlag ein Gewicht von 822 g notiert worden ist. Diese erhebliche Gewichtsüberschreitung hätte für die Antragstellerin, falls sie den Brief persönlich in den Händen gehalten hätte, Anlaß sein müssen, ihren Überwachungspflichten gegenüber dem Büropersonal nachzukommen und das Porto zu überprüfen. Schon deshalb kann von einem fehlenden Verschulden, welches von der Prozeßpartei darzutun und glaubhaft zu machen ist, nicht ausgegangen werden.
Die streitgegenständliche Sendung ist Mitte September des Jahres 2001 zur Post gegeben worden, mithin zu Beginn des Lehrjahres. In dem Wiedereinsetzungsantrag fehlen jegliche Angaben zu der Identität, dem Ausbildungsstand und der Zuverlässigkeit der Kraft, welche die Frankierung vorgenommen hat; sie wird lediglich als "Auszubildende" bezeichnet. Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit bereits erhebliche Zweifel daran geäußert, ob eine Auszubildende im dritten Lehrjahr schon als bewährte Bürokraft angesehen werden kann (Beschl. v. - VII ZR 17/83, VersR 1984, 240). Jedenfalls ist der Umfang der Überwachungs- und Kontrollpflichten, die die Antragstellerin zu organisieren hatte, maßgebend davon abhängig, über welchen Ausbildungsstand die zu Hilfsarbeiten herangezogene Auszubildende verfügte. Mit der floskelhaften Bemerkung in der Antragsschrift, die Sekretärin, Frau W., sei auch dafür zuständig, unterzeichnete Schriftsätze zur Aufgabe an die Post mit Briefumschlägen zu versehen und entsprechend zu frankieren sowie, falls sie einfache Tätigkeiten dieser Art Auszubildenden übertrage, deren Arbeiten zu überwachen und zu kontrollieren, kann die Antragstellerin ein mögliches Organisationsverschulden bezüglich der Auszubildenden nicht ausräumen. Es bleibt völlig offen, ob diese am Anfang ihrer Ausbildung stand und ob sie mit der Entgeltordnung der Post überhaupt vertraut war. War sie unerfahren, hätte die Antragstellerin durch entsprechende Anordnungen sicherstellen müssen, daß die Arbeiten der Auszubildenden nicht nur stichprobenhaft überprüft wurden. Bei Fehlen derartiger, auf die konkrete Auszubildende bezogener Anordnungen war die Büroorganisation nicht ausreichend. Alles das läßt die Antragsschrift im Dunkeln. Ob die namentlich nicht bezeichnete Auszubildende in der Vergangenheit zuverlässig gearbeitet hat oder aber ob ihr laufend Fehler unterlaufen sind, wird gleichfalls weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Schließlich fehlt bezüglich der Fristenführung ein zusammenhängender, auf den hier zu beurteilenden Fall zugeschnittener Sachvortrag. Es bleibt offen, zu welchem Zeitpunkt die Frist im Fristenbuch gestrichen worden ist und wie die Handhabung der Fristenstreichung generell aussah. Es wird nicht einmal vorgetragen und glaubhaft gemacht, daß Frau W. regelmäßig nach der Anweisung gehandelt hat, eine Frist erst zu streichen, wenn über den Eingang des Schriftsatzes Gewißheit bestand.
Die Nachholung dieser fehlenden Angaben nach Ablauf der Frist des § 234 ZPO ist nicht möglich (vgl. , NJW 2000, 365, 366). Die Klägerin müßte zu ihrer Büroorganisation und zu den Ereignissen am einen geschlossenen Sachverhalt vortragen. Daran fehlt es. Hieran war die Antragstellerin auch nicht nach § 139 ZPO zu erinnern. Die Schilderung der Antragstellerin vermeidet es, die entscheidenden Punkte anzusprechen. Daran ist sie festzuhalten.
3. Da die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens inzident zu prüfen waren, hat der weitere Antrag der Antragstellerin, ihr in die am abgelaufene Frist für die Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, keine selbständige Bedeutung. Von einer förmlichen Bescheidung dieses Antrages hat der Senat deshalb abgesehen. Im übrigen hätte der Antrag in der Form der versäumten Prozeßhandlung (Revision) gestellt und mit der Nachholung der Prozeßhandlung verbunden werden müssen (vgl. § 236 Abs. 1 und 2 Satz 2 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAB-99486
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein