BGH Urteil v. - IV ZR 149/02

Leitsatz

[1] Das Gericht kann über ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB), das es bei seiner Entscheidung übersehen hat, nicht im Wege eines Ergänzungsurteils gemäß § 321 ZPO entscheiden.

Gesetze: ZPO § 321; BGB § 273

Instanzenzug: LG Mainz

Tatbestand

Die Parteien sind Geschwister und je zur Hälfte Erben ihres am gestorbenen Vaters. Sie hatten durch privatschriftlichen Vertrag vom vereinbart, daß der Beklagte 590.000 DM von dem zu erwartenden Nachlaß des Vaters vorweg erhalten solle; nur der Rest solle geteilt werden. In einem Teilauseinandersetzungsvertrag vom legten die Parteien u.a. fest, wie diese 590.000 DM aufgebracht werden sollten; außer einer Zahlung der Klägerin aus eigenem Vermögen sollte der Betrag im wesentlichen statt aus dem Nachlaß aus den Einkünften einer beiden Parteien ebenfalls je zur Hälfte zustehenden Grundstücksgemeinschaft entnommen werden.

Das Berufungsgericht hat den Vertrag vom wegen Verstoßes gegen § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. für nichtig gehalten und den Beklagten verurteilt, außer den empfangenen Zahlungen der Klägerin auch von ihm als Verwalter der Grundstücksgemeinschaft zur Befriedigung seines Anspruchs auf 590.000 DM entnommene Gewinnanteile der Klägerin an diese zurückzuzahlen. Dabei hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Beklagte darüber hinaus Gewinnanteile der Klägerin in Höhe von 106.941,11 DM entnommen habe. Insoweit hat das Berufungsgericht der Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Auszahlung, sondern nur auf Zustimmung zur Auszahlung zugebilligt; einen solchen Antrag habe die Klägerin aber trotz Hinweises nicht gestellt. Andererseits stand auch dem Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Gewinnanteil von 95.330,23 DM zu; in dieser Höhe hat das Berufungsgericht die Klägerin auf Widerklage des Beklagten verurteilt, der Entnahme des Hauptbetrages nebst Zinsen zuzustimmen. Gegen dieses Urteil hat nur der Beklagte Revision eingelegt, die der Senat nicht angenommen hat.

Die Klägerin hat Ergänzung des Berufungsurteils beantragt, weil übersehen worden sei, daß sie gegenüber der Widerklage ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht habe, bis sie ihr zustehende Gewinnanteile in Höhe von 102.271,50 DM erhalte. Dementsprechend hat das Oberlandesgericht den Tatbestand seines Berufungsurteils gemäß § 320 ZPO berichtigt. Ferner hat das Oberlandesgericht aufgrund mündlicher Verhandlung vom im Wege eines Ergänzungsurteils nach § 321 ZPO die Verurteilung der Klägerin auf die Widerklage durch den Vorbehalt "Zug um Zug gegen Zustimmung zur Entnahme eines Betrages in Höhe von 52.290,59 € nebst 4% Zinsen seit dem " eingeschränkt, den auf die Widerklage zugebilligten Zinsausspruch zugunsten des Beklagten entfallen lassen und die Kostenentscheidung geändert. Gegen dieses Ergänzungsurteil wendet sich der Beklagte mit der zugelassenen Revision.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Ergänzungsurteils und zur Verwerfung des auf Ergänzung des Berufungsurteils gerichteten Antrags der Klägerin als unzulässig.

1. a) Nach § 321 Abs. 1 ZPO ist ein Urteil auf Antrag durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen, wenn ein nach dem ursprünglich festgestellten oder nachträglich berichtigten Tatbestand geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch oder wenn der Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß eine solche Ergänzung nur in Betracht kommt, wenn ein Anspruch, also ein aktives Rechtsschutzbegehren, in einem Haupt- oder Nebenpunkt versehentlich nicht beschieden worden ist; übersehene Einwendungen oder die Richtigstellung anderer Fehler rechtfertigen eine Urteilsergänzung dagegen nicht. Gegen die aus einem solchen Grunde fehlerhafte Entscheidung kann sich die beschwerte Partei nur mit einem zulässigen Rechtsmittel wehren. Eine Ergänzung nach § 321 Abs. 1 ZPO kommt demgegenüber nur in Betracht, wenn keine Beschwer vorliegt, weil ein Anspruch weder zugesprochen noch abgewiesen worden ist, so daß ohne die Ergänzung des fehlerfreien, aber lückenhaften Urteils nach dessen Rechtskraft neu geklagt werden müßte ( - NJW 1980, 840 f. unter II 2; Urteil vom - III ZR 141/93 - NJW-RR 1996, 379 im Blick auf einen Aufrechnungseinwand; Urteil vom - VI ZR 300/95 - NJW-RR 1996, 1238 unter II 1 a; Urteil vom - IX ZR 306/00 - NJW 2002, 1500 unter I; BAG NJW 1994, 1428, 1429 unter II 2 f. aa; BVerfG NJW-RR 2000, 1664; OLG Frankfurt NJW-RR 1989, 640; MünchKomm/Musielak, ZPO 3. Aufl. § 321 Rdn. 4).

b) Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht soll § 321 Abs. 1 ZPO jedoch entsprechend in einer Reihe anderer Fälle anzuwenden sein, u.a. bei uneingeschränkter Verurteilung statt der beantragten Verurteilung Zug um Zug. Gerechtfertigt wird dies damit, daß § 321 Abs. 1 ZPO auch bei Übergehen der Kostenentscheidung anzuwenden, also nicht auf Entscheidungen über den Streitgegenstand beschränkt sei und das Gesetz die Vorschrift noch in weiteren Fällen für anwendbar erkläre, in denen ein Anspruch nicht in Frage stehe, nämlich bei übergangenem Vorbehalt für einen noch nicht entscheidungsreifen Aufrechnungseinwand (§ 302 Abs. 2 ZPO) oder für die Ausführung der Rechte in einem dem Urkundenprozeß folgenden Nachverfahren (§ 599 Abs. 2 ZPO), ferner wenn über die vorläufige Vollstreckbarkeit oder einen Antrag auf Räumungsfrist nicht entschieden worden ist (§§ 716, 721 Abs. 1 Satz 3 ZPO; so Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 321 Rdn. 9, 10; Zöller/Vollkommer, ZPO 23. Aufl. § 321 Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 60. Aufl. § 321 Rdn. 16; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 24. Aufl. § 321 Rdn. 7). Auf diese Meinung stützte sich der Ergänzungsantrag, dem das Oberlandesgericht gefolgt ist.

2. Gegen die Anwendung von § 321 Abs. 1 ZPO auf ein unberücksichtigt gebliebenes Zurückbehaltungsrecht wendet sich die Revision mit Recht.

a) Daß das Gesetz eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO in bestimmten Sonderfällen zuläßt, in denen es nicht um das Übergehen prozessualer Ansprüche geht, rechtfertigt es nicht, diese ausdrücklich in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift genannte Voraussetzung aufzugeben. Vielmehr kommt eine die Rechtskraft einschränkende und die richterlichen Kompetenzen erweiternde analoge Anwendung nur in Betracht, soweit die vom Gesetz außerhalb des Grundtatbestands des Übergehens von Ansprüchen zugelassenen Sonderfälle der Urteilsergänzung entsprechend angewandt werden können (vgl. aaO unter II 1 b). Diese sind keineswegs nur dadurch gekennzeichnet, daß das Gericht eine Entscheidung unterlassen hat, zu der es (von Amts wegen oder wegen des gestellten Antrags) verpflichtet war (so aber Leipold aaO Rdn. 9). Denn das müßte für die unrichtige Rechtsanwendung ganz allgemein gelten. Der Gesetzgeber hat dem Richter der bereits durch Urteil abgeschlossenen Instanz aber nur dann die Möglichkeit der Ergänzung gegeben, wenn Entscheidungen über die Kosten, die vorläufige Vollstreckbarkeit, eine Räumungsfrist oder einen Vorbehalt für die Aufrechnung bzw. die Ausführung von Rechten im Nachverfahren unterblieben sind. Das besagt nichts für das hier in Rede stehende, auf § 273 BGB gestützte Zurückbehaltungsrecht, das nicht etwa lediglich im Urteilstenor vorbehalten werden kann, sondern - wenn es begründet ist - zu einer inhaltlichen Änderung des Urteilsausspruchs führt.

b) Hier ist das Berufungsurteil in seiner ursprünglichen Gestalt nicht lückenhaft. Vielmehr hat das Berufungsgericht über den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch des Beklagten auf Zustimmung zur Entnahme seines Gewinnanteils - wenn auch möglicherweise fehlerhaft - entschieden. Die Klägerin hätte einen solchen Fehler mit der Revision geltend machen können, die hier wegen der Höhe der nach altem Revisionsrecht allein maßgeblichen Beschwer zulässig gewesen wäre. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels im Einzelfall gegeben sind, steht jedenfalls grundsätzlich der Weg in das Rechtsmittelverfahren offen, um das Übergehen der Einrede eines Leistungsverweigerungsrechts nach § 273 BGB geltend zu machen. Ist ein Rechtsmittel nicht zulässig, muß die beschwerte Partei dies hinnehmen. Eine planwidrige Lücke des Gesetzes, die über § 321 ZPO durch Analogie geschlossen werden könnte, liegt insoweit nicht vor. Es wäre im Gegenteil kaum verständlich, wenn für die Korrektur solcher Fehler neben dem Rechtsmittel und selbst bei dessen Unzulässigkeit die von anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen abhängige Urteilsergänzung zur Wahl stünde. Daß in den Fällen unterbliebenen Vorbehalts nach §§ 302 Abs. 2, 599 Abs. 2 ZPO das Urteil sowohl unvollständig als auch inhaltlich falsch und deshalb neben der Anfechtung durch ein Rechtsmittel auch die Urteilsergänzung möglich ist ( aaO unter II 1 a), besagt nichts für das Verhältnis von Rechtsmittel und Urteilsergänzung im allgemeinen.

c) Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die Berücksichtigung des Zurückbehaltungsrechts hier nicht nur zur Ergänzung der Verurteilung der Klägerin im Hauptpunkt durch eine Zug-um-Zug Einschränkung geführt hat, sondern auch zur Streichung der ursprünglich zugunsten des Beklagten ausgesprochenen Verurteilung hinsichtlich der Entnahme von Zinsen. Insoweit ist das Urteil nicht ergänzt, sondern ins Gegenteil verändert worden. Das geht auch über die bisher anerkannte entsprechende Anwendung von § 321 ZPO deutlich hinaus, läge aber grundsätzlich in der Konsequenz einer Urteilsergänzung auch für übergangene materiellrechtliche Einreden. Die Überprüfung eines Urteils in dieser Richtung muß dem Rechtsmittelverfahren vorbehalten bleiben. Das angefochtene Ergänzungsurteil verletzt mithin § 318 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
WAAAB-99046

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja