BGH Urteil v. - III ZR 147/03

Leitsatz

[1] a) Für den Inhalt des Auftrags und die dem Beauftragten hierbei erteilten Weisungen trägt der Auftraggeber die Beweislast. Erst danach muß der Beauftragte beweisen, daß er das zur Ausführung des Auftrags Erhaltene oder das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte auch bestimmungsgemäß verwendet hat.

b) Zur Auslegung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO.

Gesetze: BGB § 662; BGB § 667; ZPO § 531

Instanzenzug: OLG Celle vom LG Hildesheim

Tatbestand

Der Kläger nimmt den beklagten Steuerberater auf Erstattung eines diesem treuhänderisch überlassenen und angeblich weisungswidrig verwendeten Geldbetrags von 500.000 DM in Anspruch.

Der Kläger und der Kaufmann T. waren Gesellschafter der S. GmbH & Co. KG. Sie beabsichtigten, sich auseinanderzusetzen. Unter dem lud der Kläger zu einer Gesellschafterversammlung ein. Tagesordnungspunkte waren unter anderem die Abgabe grundbuchrechtlicher Erklärungen zugunsten T.'s und die Übertragung von Geschäftsanteilen mehrerer Gesellschaften auf T. und den Kläger. Nach dem Versammlungsprotokoll erklärte T. sich bereit, die notwendigen Unterschriften zu leisten, sobald eine Reihe näher bezeichneter Punkte geklärt sei.

Am schlossen die Gesellschafter in Anwesenheit des Beklagten eine "Abschließende Auseinandersetzungsvereinbarung". Darin heißt es:

"1. Herr E. (Kläger) zahlt an Herrn T. einen Betrag von insgesamt 1,3 Millionen DM. Dieser Betrag ist wie folgt zu zahlen:

a) 500.000 DM bis auf ein von StB J. B. (Beklagten) einzurichtendes Anderkonto ...

4. Die Parteien verpflichten sich, binnen einer Frist von acht Tagen seit Zahlung der unter Ziffer 1.a der Auseinandersetzungsvereinbarung bezeichneten 500.000 DM die zum Vollzug der vorliegenden Auseinandersetzungsvereinbarung erforderlichen Erklärungen abzugeben, insbesondere diejenigen, die in der Einladung zur Gesellschafterversammlung der S. GmbH & Co. KG am Montag, dem im einzelnen bezeichnet sind."

Am zahlte der Kläger 500.000 DM auf das Anderkonto des Beklagten ein. Unter dem gab T. verschiedene notariell beurkundete bzw. beglaubigte Erklärungen ab. Am leitete der Beklagte die erhaltenen 500.000 DM an T. weiter.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Auszahlung des Geldes sei auch von einer Freistellungserklärung T.'s in bezug auf bestimmte Verbindlichkeiten sowie seiner eigenen - des Klägers - ausdrücklichen Freigabe des Geldes abhängig gewesen.

Das Landgericht hat eine Pflichtverletzung auf seiten des Beklagten offengelassen. Es hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger sei jedenfalls kein Schaden entstanden. Denn er sei verpflichtet gewesen, den hinterlegten Betrag freizugeben.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zum Inhalt der Vereinbarung vom unter Beweisantritt ergänzend vorgetragen. Zur Auseinandersetzung der Gesellschafter habe auch gehören sollen, daß der Kläger und die S. GmbH aus der Haftung für grundstücksbezogene Darlehen entlassen würden, soweit T. die entsprechenden Grundstücke (L. , C. ) zu Eigentum erhalte. Erst dann habe auch die Auszahlung des Geldes an T. erfolgen sollen. Außerdem habe der Beklagte erklärt, er werde bei dem Kläger anfragen, ob ausgezahlt werden könne. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist eine Pflichtverletzung des Beklagten nicht ersichtlich. Eine ausdrückliche Auszahlungsanordnung seitens des Klägers sei nicht Bedingung für die Zahlung an T. gewesen. Es gebe keinen allgemeinen Grundsatz, daß eine Auszahlung nur nach Anweisung des Treugebers erfolgen dürfe. Ebensowenig sei eine entsprechende Auflage gegenüber dem Beklagten feststellbar. Die "Abschließende Auseinandersetzungsvereinbarung" vom enthalte keine Regelungen, unter welchen Voraussetzungen eine Auszahlung des Betrags von 500.000 DM erfolgen sollte. Daß T. die dort in Nummer 4 und in der Einladung zur Gesellschafterversammlung beschriebenen Erklärungen abgegeben habe, sei zwischen den Parteien nicht im Streit. Der neue Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung zum Inhalt der Vereinbarung vom und sein ergänzender Beweisantrag seien unbeachtlich, da keine der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO gegeben sei. Dem Landgericht sei auch kein Verfahrensfehler unterlaufen; eines Hinweises an den Kläger habe es nicht bedurft.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand.

1. Vergeblich rügt die Revision allerdings eine Verkennung der Beweislast. Nach ihrer Ansicht folgt aus dem Treuhandvertrag ein Anspruch des Klägers auf Rückgabe dessen, was er dem Beklagten zur Ausführung des Auftrags überlassen hatte (§ 667 BGB). Wenn der Beklagte dementgegen behaupte, den bei ihm hinterlegten Geldbetrag bestimmungsgemäß verwendet zu haben, müsse er dies beweisen, nicht dagegen der Kläger eine Pflichtverletzung des Beklagten.

Dem ist nur teilweise zu folgen. Richtig ist, daß der Beauftragte die Beweislast für eine bestimmungsgemäße Verwendung des zur Ausführung des Auftrags Erhaltenen oder des aus der Geschäftsbesorgung Erlangten trägt (vgl. nur Senatsurteil vom - III ZR 290/00 - BGH-Report 2002, 71; - BGH-Report 2003, 331, 332; jeweils m.w.N.). Das entbindet den Auftraggeber indes nicht von der Verpflichtung, seinerseits zunächst Beweis für den von ihm behaupteten Inhalt des Auftrags und die dem Beauftragten dabei gemäß § 665 BGB erteilten Weisungen zu führen (vgl. Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl, § 665 BGB Rn. 1 m.w.N.). Für den Streitfall folgt dasselbe auch aus der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde (hierzu - NJW 2002, 3164 f.). Nicht der Beklagte, sondern der Kläger ist daher auch auf der Grundlage des § 667 BGB für die Bedingungen, unter denen der Beklagte die hinterlegten 500.000 DM an T. auszahlen durfte, beweispflichtig. Erst wenn der Kläger diesen Beweis geführt hat, kann es auf die Frage ankommen, ob der Beklagte sich an jene Weisungen auch gehalten hat. Diese Beweislastverteilung liegt auch dem Berufungsurteil zugrunde.

2. Die Revision rügt jedoch mit Recht, daß das Berufungsgericht das neue Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung entgegen § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht berücksichtigt hat.

a) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der Fassung des Zivilprozeßreformgesetzes vom (BGBl. I S. 1887) sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren lediglich noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Zulässig sind sie nur dann, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), oder wenn sie im ersten Rechtszug wegen eines Verfahrensmangels (Nr. 2) oder ohne eine Nachlässigkeit der Partei (Nr. 3) nicht geltend gemacht worden sind.

Während Nummer 2 der Vorschrift vor allem die Fälle betrifft, in denen der Erstrichter von seinem Rechtsstandpunkt aus gemäß § 139 Abs. 2 ZPO zu einem rechtlichen Hinweis verpflichtet gewesen wäre (vgl. etwa Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl. § 531 Rn. 15), ist Zulassungsgrund in Nummer 1 nach dem Wortlaut der Bestimmung, daß das Gericht erster Instanz einen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkt erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat. In einem solchen Fall muß der Gesetzesbegründung zufolge (BT-Drucks. 14/4722 S. 101) den Parteien - in Fortführung der Regelung des § 139 Abs. 2 ZPO - Gelegenheit gegeben werden, sich auf die gegenüber der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts abweichende rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht einzustellen und deshalb erforderlich gewordene neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen. Ohne diese Fallgruppe würde man hiernach die Parteien zwingen, in der ersten Instanz vorsorglich auch solche Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts aus unerheblich sind.

Diese Erwägungen sowie Sinn und Zweck der Vorschrift machen es erforderlich, den Tatbestand des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO um ein weiteres, ungeschriebenes Merkmal zu ergänzen. Inhalt und Umfang des Parteivortrags hängen nicht unmittelbar und notwendig von der Rechtsauffassung des Gerichts ab. Erfährt die Partei erst aus der Begründung des Urteils, daß das erstinstanzliche Gericht einen bestimmten zwischen den Parteien streitigen Gesichtspunkt für unerheblich hält, etwa die Klage wegen Verjährung abweist und die vorrangigen Anspruchsvoraussetzungen darum offenläßt, so ist kein Grund ersichtlich, der Partei allein deswegen - entgegen dem allgemeinen Novenverbot im jetzigen Berufungsrecht - zu den vom Erstrichter nicht behandelten Tatbestandsmerkmalen neues Vorbringen zu ermöglichen. Das könnte überdies zu zufälligen Ergebnissen führen, je nachdem, ob das Urteil einen Gesichtspunkt ganz übergeht oder hierzu eine weitere oder eine Hilfsbegründung gibt. Sinn im Gesamtzusammenhang des neuen Berufungsrechts erhält die gesetzliche Regelung deshalb erst unter der zusätzlichen Voraussetzung, daß die (objektiv fehlerhafte) Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflußt hat und daher, ohne daß deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür geworden ist, daß sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs bei richtiger Rechtsauffassung zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre, den jetzt - falls noch erforderlich - das Berufungsgericht nachzuholen hat, oder wenn die Partei durch die Prozeßleitung des Erstrichters oder dessen sonst erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten worden ist, zu bestimmten Gesichtspunkten (weiter) vorzutragen. Bei einem solchen Verständnis beruhen die Nummern 1 und 2 des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf dem gemeinsamen Grundgedanken, daß Unzulänglichkeiten im Parteivortrag, für den das erstinstanzliche Gericht mitverantwortlich ist, im zweiten Rechtszug noch beseitigt werden können (in diesem Sinne auch Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rn. 473; s. ferner Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 531 Rn. 21, 28).

b) Auf dieser Grundlage war das neue Vorbringen des Klägers nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, soweit es um die Behauptung geht, der Beklagte habe nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Klägers an T. auszahlen dürfen, und im übrigen - d.h. in bezug auf das unter Beweis gestellte weitere Erfordernis einer Freistellung von bestimmten grundstücksbezogenen Darlehen - gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.

aa) Im ersten Punkt genügt es zwar nicht, daß das Landgericht die Frage, ob der Beklagte vor der Auszahlung des Geldes eine Weisung des Klägers abwarten mußte, in seinem klageabweisenden Urteil offengelassen hat. Die Revision weist aber zutreffend darauf hin, daß das Gericht bei richtiger Rechtsauffassung verpflichtet gewesen wäre, den Kläger auf von ihm offenbar übersehene Unklarheiten und Lücken in seinem Vorbringen hinzuweisen. Der Kläger hatte in seiner Replik auf die Klageerwiderung unter Beweisantritt vorgetragen, vor einer Auszahlung vom Anderkonto hätten übereinstimmende Anweisungen an den Beklagten erfolgen müssen. Das konnte - insbesondere mit Rücksicht auf das gleichzeitige Beweisangebot - naheliegend als Behauptung einer entsprechenden Vereinbarung verstanden werden, nicht lediglich als Wiederholung einer vom Kläger früher vertretenen (unzutreffenden) Rechtsansicht. Bei Zweifeln hätte das Landgericht sein Fragerecht ausüben müssen. Diese Unterlassung hat jedenfalls mit dazu beigetragen, daß der Kläger erst in der Berufungsinstanz sein Vorbringen entsprechend klargestellt und ergänzt hat.

bb) Was die vom Kläger außerdem behauptete Freistellungsverpflichtung T.'s anbelangt, so hat das Landgericht den Parteivortrag des Klägers demgegenüber als erheblich angesehen, zwar nicht im Zusammenhang mit den dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen, aber bei der vom Erstrichter als entscheidend gewerteten Frage eines dem Kläger entstandenen Schadens. Zu Recht hat sich das Landgericht daher auch für verpflichtet gehalten, dem Kläger insoweit rechtliche Hinweise zu erteilen. Es konnte insoweit nicht ausreichen, wie das Berufungsgericht meint, daß der Beklagte eine entgegengesetzte Sachdarstellung gegeben hatte und die Bedeutung dieses Umstandes offensichtlich war, wenn der Kläger gleichwohl erkennbar über die Substanz seines Sachvortrags irrte und darauf vertraute, daß sein schriftsätzliches Vorbringen ausreichend sei (vgl. - NJW 2001, 2548, 2549 m.w.N.). Bei dieser Sachlage war es indessen verfahrensfehlerhaft, dem Kläger nunmehr die beantragte Erklärungsfrist zu verweigern. Ein Hinweis des Gerichts verfehlt seinen Zweck, wenn der Partei nicht anschließend Gelegenheit gegeben wird, die aufgedeckten Mängel zu beseitigen. Das entsprach bereits nach der früheren Rechtslage ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur Senatsurteil vom - III ZR 102/00 - VersR 2002, 444 m.w.N.) und wird jetzt durch die Neufassung des § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausdrücklich klargestellt.

III.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist nicht abschließend zu beurteilen, ob der Kläger entsprechend den Vereinbarungen mit T. - was das Landgericht angenommen hat - jedenfalls verpflichtet gewesen wäre, den hinterlegten Betrag freizugeben. Infolgedessen ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
DStR 2004 S. 1013 Nr. 24
MAAAB-98410

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja