BGH Urteil v. - III ZR 145/05

Leitsatz

[1] a) Ist in einem Vertrag zwischen einem Belegarzt und dem Träger des Krankenhauses nicht verabredet, in welcher Frist das Vertragsverhältnis gekündigt werden kann, ist in der Regel davon auszugehen, dass sechs Monate angemessen sind, um dem anderen Vertragsteil die im Hinblick auf die Kündigung notwendigen Dispositionen zu ermöglichen.

b) Sollen im Kündigungszeitpunkt vorliegende Umstände abweichend hiervon eine kürzere Kündigungsfrist rechtfertigen oder eine längere verlangen, trägt die Partei die Beweislast, die damit eine kürzere oder längere Frist für sich in Anspruch nehmen will.

Gesetze: BGB § 311 Abs. 1

Instanzenzug: LG Wiesbaden 8 O 212/04 vom OLG Frankfurt/Main 1 U 25/05 vom

Tatbestand

Der Beklagte, ein niedergelassener Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, war seit 1977 aufgrund einer mündlich geschlossenen Vereinbarung in einem von der Klägerin geführten Krankenhaus Belegarzt. Mit Schreiben vom teilte er der Klägerin mit, dass er zum Ende März 2004 seine Tätigkeit als Belegarzt beende. Die Klägerin bestätigte mit Schreiben vom den Eingang dieser Kündigung und wies darauf hin, dass das Vertragsverhältnis - nach ihrer Auffassung - nur mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden könne; sie sprach zugleich die Erwartung aus, dass der Beklagte seine Belegarzttätigkeit bis zum fortsetze. Nach einem weiteren Schreiben der Klägerin führte der Beklagte mit Schreiben vom nähere Gründe an, weshalb er das Vertragsverhältnis als zum beendet ansehe.

Die Klägerin behauptet, sie habe durch die Beendigung der Belegarzttätigkeit des Beklagten im zweiten Quartal 2004 einen Schaden von 45.216,09 € erlitten. Sie macht insoweit geltend, in den Jahren 2001 bis 2003 seien ihr durch die operative Tätigkeit des Beklagten im Quartal durchschnittlich 60.288,12 € zugeflossen. In Höhe von 75 %, das ist die Klagesumme, entstünden ihr fixe Kosten für Personal und Sachmittel, die nicht innerhalb von kurzer Zeit abgebaut werden könnten.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 45.216,09 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen, da das Vertragsverhältnis zum beendet worden sei. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats handelt es sich bei dem Belegarztvertrag um einen Dauervertrag atypischen Inhalts, auf den grundsätzlich die für Dauerverträge des Bürgerlichen Gesetzbuchs getroffenen, im Wesentlichen übereinstimmenden Kündigungsbestimmungen der §§ 553 (a.F.), 626, 723 BGB entsprechend anzuwenden sind, wenn - wie hier - im Einzelfall nicht etwas anderes bestimmt ist (vgl. Senatsurteil vom - III ZR 212/70 - NJW 1972, 1128, 1129; Senatsbeschlüsse vom - III ZR 67/86 - BGHR BGB § 305 Belegarztvertrag 1; vom - III ZR 164/85 - BGHR BGB § 626 Belegarzt 1). Zusätzlich ist für den Rechtszustand ab dem für das hier im Jahr 1977 begründete Dauerschuldverhältnis (vgl. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB) auf die Regelungen in §§ 314, 543 BGB hinzuweisen. Danach kann das Vertragsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder zur Unzeit nur gekündigt werden, wenn dem Kündigenden ein wichtiger Grund zur Seite steht. Fehlt ein solcher Grund, so ist bei der Kündigung des Vertragsverhältnisses eine angemessene Frist einzuhalten. Die Bemessung dieser Frist ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht nur darauf hin zu überprüfen, ob das Berufungsgericht von richtigen rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist und nicht gegen Erfahrungssätze, Verfahrensregeln oder Denkgesetze verstoßen hat.

2. Das Berufungsgericht, das Gründe für eine fristlose Vertragsbeendigung verneint hat, hat eine Kündigungsfrist von sechs Monaten als angemessen angesehen. Dabei hat es Beratungs- und Formulierungshilfen der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Auslegungshinweis herangezogen, die nach Ablauf einer Probezeit von sechs Monaten als Kündigungsfrist einen Zeitraum von sechs Monaten zum Quartalsende und nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren zwölf Monate zum Quartalsende vorsehen. Das Berufungsgericht hat diesen Beratungs- und Formulierungshilfen erhebliches Gewicht als Auslegungshinweis zugemessen, weil die Klägerin diese Fristen in den schriftlich abgeschlossenen Belegarztverträgen mit den betroffenen Ärzten vereinbart habe, was dafür spreche, dass sie von beiden betroffenen Seiten als interessengerecht und angemessen betrachtet würden. Anstelle einer sich aus den Beratungs- und Formulierungshilfen ergebenden Kündigungsfrist von zwölf Monaten hat das Berufungsgericht jedoch eine Frist von sechs Monaten für angemessen gehalten, weil die Klägerin infolge der Kündigung des Beklagten weder Arbeitsverhältnisse hätte auflösen noch Veränderungen in der Sachausstattung des Krankenhauses hätte vornehmen müssen und weder ersichtlich noch geltend gemacht sei, dass der Abschluss eines neuen Belegarztvertrages auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Sorgfalt bei der Auswahl des Vertragspartners einen längeren Zeitraum als sechs Monate beanspruche. Demgegenüber rechtfertigten die vom Beklagten angeführten Interessen keine kürzere Kündigungsfrist.

3. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem maßgebenden Punkt nicht stand.

a) Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten hätten keine Gründe für eine fristlose Vertragsbeendigung zur Seite gestanden. Das wird auch von der Revision nicht beanstandet.

b) Grundsätzlich begegnet es auch keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht versucht hat, den Beratungs- und Formulierungshilfen der Deutschen Krankenhausgesellschaft für die Frage der Angemessenheit der Kündigungsfrist Auslegungshilfen zu entnehmen. Auch der Senat hat die Heranziehung solcher Vertragsmuster, die naturgemäß nicht in jeder Hinsicht miteinander übereinstimmen (vgl. etwa das in Weber/Müller, Chefarzt- und Belegarztvertrag, 1999, abgedruckte Muster), als Auslegungshilfe gebilligt (Senatsbeschluss vom - III ZR 164/85 - BGHR BGB § 626 Belegarzt 1). Hierfür spricht, dass solche Vertragsmuster geeignet sind, den im Rahmen einer Vertragsauflösung auftretenden Interessenkonflikten in einer ausgleichenden Weise Rechnung zu tragen und den Betroffenen Rechtssicherheit für ihre weiteren Dispositionen zu vermitteln. Dieser Gesichtspunkt hat vor allem deshalb eine erhebliche Bedeutung, weil die Wirksamkeit der Kündigung im Zeitpunkt ihrer Erklärung zu beurteilen ist. Auch wenn der Senat - was die Angemessenheit der Kündigungsfrist angeht - auf die Umstände im Einzelfall abstellt, ist damit nicht verbunden, dass der Kündigungsgegner verpflichtet wäre, im Einzelnen Gründe darzulegen und im Streitfall zu beweisen, weshalb er eine spätere Vertragsbeendigung zur Wahrung seiner Interessen benötige. Die Angemessenheit der Kündigungsfrist ist vielmehr aufgrund einer im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorausschauenden Bewertung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen.

Das Berufungsgericht hat die Beratungs- und Formulierungshilfen der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht schematisch übernommen, die bei einer - wie hier - mehr als fünfjährigen Vertragsdauer eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten vorsehen und damit vornehmlich der Interessenlage von Belegärzten Rechnung tragen dürften, sich bei einer längeren Vertragsdauer auf eine Kündigung durch den Krankenhausträger ausreichend einzustellen. Seine allgemeine Erwägung, eine Kündigungsfrist von sechs Monaten genüge, dass die Klägerin - auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Sorgfalt - einen anderen Vertragspartner finden könne, hält der Senat im Ausgangspunkt für richtig. Er sieht eine solche Frist angesichts notwendiger Vorbereitungsmaßnahmen - sei es für die Anbahnung neuer Vertragsbeziehungen mit einem anderen Belegarzt, sei es für durch die Kündigung ausgelöste anderweitige Anpassungsprozesse im Krankenhausbetrieb - auch im Regelfall als notwendig an. Dies schließt es im Einzelfall aber nicht aus, dass auch andere im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorliegenden Umstände eine kürzere Kündigungsfrist rechtfertigen oder eine längere verlangen. Für solche besonderen Umstände trägt die Partei die Beweislast, die damit eine kürzere oder längere Frist für sich in Anspruch nehmen will.

c) Die angefochtene Entscheidung kann indes nicht bestehen bleiben, weil sich das Berufungsgericht nicht hinreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt hat, dem Beklagten sei im Hinblick auf die umbaubedingte Notwendigkeit der Nutzung von Räumlichkeiten in der M. Straße ab dem eine Fortführung des Vertragsverhältnisses nicht zuzumuten gewesen. Zwar hat das Berufungsgericht - wie ausgeführt - zutreffend angenommen, dass sich aus diesem Umstand nicht das Recht des Beklagten ergab, das Vertragsverhältnis ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen. Es hat aber nicht in dem gebotenen Maß geprüft, ob gegen eine Fortdauer des Vertragsverhältnisses der vom Beklagten vorgetragene Gesichtspunkt sprach, er könne in diesen Räumlichkeiten nicht gewährleisten, dass in Fällen der Notwendigkeit eines Notkaiserschnitts die von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. empfohlenen Zeiten einer operativen Versorgung eingehalten werden könnten. Das Berufungsgericht hat zwar anhand des Stadtplans der Stadt W. die Feststellung getroffen, der Beklagte hätte keine von seiner Praxis weiter entfernte Strecke zurücklegen müssen. Den in der primären ärztlichen Verantwortung des Beklagten liegenden Gesichtspunkt, wegen zu bestimmten Tageszeiten anzutreffender Verkehrsbehinderungen in Fällen einer Notsectio nicht rechtzeitig zur Stelle zu sein, hat es jedoch nicht gebührend beachtet. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Berufungsgericht diese Besorgnis des Beklagten mit der Erwägung auszuräumen versucht, in einem solchen - nicht planbaren - Notfall müsse dieser früher ins Krankenhaus fahren.

4. Wie die Revision mit Recht rügt, sind auch im Übrigen die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils nicht gegeben. Das angefochtene Urteil geht ohne nähere Begründung davon aus, dass der geltend gemachte Anspruch auch unter Berücksichtigung der Einwendungen des Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe bestehe. Ob eine solche Überlegung gerechtfertigt wäre, wenn die Klägerin nach § 252 Satz 2 BGB entgangenen Gewinn geltend machen würde, mag dahinstehen. Denn die Klägerin verlangt nicht entgangenen Gewinn, sondern begründet ihren Schaden mit weiter entstehenden fixen Kosten, weil die vorgehaltenen personellen und sächlichen Mittel nach der Kündigung durch den Beklagten nicht innerhalb von kurzer Zeit hätten abgebaut werden können. Den Eintritt eines solchen Schadens hat der Beklagte indes bereits erstinstanzlich im Wesentlichen unwidersprochen mit dem Vortrag bestritten, die Klägerin habe unmittelbar nach seinem Ausscheiden Verträge mit zwei anderen Belegärzten der plastischen Chirurgie geschlossen. Unter diesen Umständen musste die Klägerin näher begründen, inwieweit angesichts des Abschlusses neuer Belegarztverträge überhaupt der geltend gemachte Schaden eingetreten sein soll.

5. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur Nachholung der fehlenden Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat es auch Gelegenheit, sich mit dem Vorbringen der Klägerin auseinanderzusetzen, der Beklagte habe so frühzeitig von der Verlegung der Belegbetten in die M. Straße erfahren, dass er diesem Umstand durch eine frühere Kündigung hätte Rechnung tragen können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2006 S. 1427 Nr. 20
LAAAB-98406

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja