BFH Urteil v. - III R 47/05

Wiedereinsetzung zugunsten des Finanzamts

Gesetze: FGO § 56

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) hat die am abgelaufene Revisionsbegründungsfrist versäumt. Nachdem dies von der Senatsvorsitzenden am mitgeteilt worden war, beantragte das FA am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug zur Begründung vor, die Revisionsbegründung am zur Post gegeben zu haben, das Schreiben sei offensichtlich auf dem Postweg verloren gegangen. Beigefügt war das Original der Revisionsbegründung. Aus diesem ergibt sich, dass die Reinschrift am ausgedruckt, dem Amtsvorsteher zur Unterschrift vorgelegt und von diesem unterzeichnet worden ist. Die Absendung wurde vom Bearbeiter am vermerkt.

Das FA trug dazu vor, der Bearbeiter, Regierungsdirektor W, habe die Revisionsbegründung am persönlich zur Poststelle gebracht und die Bediensteten dort auf das fristwahrende Schriftstück ausdrücklich hingewiesen. Es bestehe die Anweisung, die Bediensteten der Poststelle auf die Eilbedürftigkeit der Gerichtspost hinzuweisen und erst danach die Übergabe an die Poststelle auf der Verfügung zu vermerken. Die Bediensteten der Poststelle seien angewiesen, die ihnen übergebenen Gerichtsschreiben unverzüglich zu bearbeiten und in den Postausgang zu geben. Die arbeitstäglich ausgehende Post werde gegen 13.00 Uhr von der Deutschen Post AG beziehungsweise von einem privaten Zustelldienst abgeholt. Ein zentrales Fristenkontrollbuch werde nicht geführt. Da zwischen dem Absendetag und dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ein Zeitraum von 11 Tagen gelegen habe, hätte der Schriftsatz bei normalem Postlauf rechtzeitig beim Gericht eingehen müssen. Deshalb sei auch —anders als bei der kurz vor Fristablauf eingelegten Revision— davon abgesehen worden, die Begründungsschrift vorsorglich zusätzlich per Fax zu versenden.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist der Auffassung, es sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II. Die Revision ist zulässig. Dem FA wird nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, weil es kein Verschulden an der Versäumnis der Revisionsbegründungsfrist trifft. Der Senat entscheidet über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Zwischenurteil (§§ 121, 97 FGO; vgl. , BFHE 189, 573, BStBl II 2000, 235).

Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt nach § 56 Abs. 2 FGO in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb von zwei Wochen, bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489; vom XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589, und vom III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für ein Wiedereinsetzungsgesuch des Steuerpflichtigen entwickelt worden sind (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen vom II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946, und vom VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73).

Bei Berufung auf den Verlust eines Schriftsatzes bei der Postbeförderung, wie er hier vorgetragen wird, sind die Tatsachen, aus denen sich die rechtzeitige Absendung bzw. Aufgabe zur Post ergibt, detailliert anzugeben. Die Rechtsprechung verlangt dabei vom Steuerpflichtigen bzw. seinem Bevollmächtigten, dass er die Versendungsart bezeichnet und darlegt, zu welchem Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) der Briefumschlag mit dem betreffenden Schriftsatz von welcher Person und auf welche Weise (Abgabe beim Postamt oder Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) zur Post aufgegeben worden ist (, BFH/NV 2004, 655).

Auch eine Behörde ist zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (BFH-Beschlüsse vom VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229, und vom II B 5/03, BFH/NV 2003, 1440). Dabei muss die Erledigung und Absendung durch jemanden kontrolliert werden, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (BFH-Beschlüsse vom VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, und vom VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709, m.w.N.). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reicht hierfür nicht aus, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt. Vielmehr muss derjenige, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war, die mit der Absendung beauftragte Poststelle auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstückes hinweisen (BFH-Beschlüsse vom IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; vom II R 12/96, BStBl II 1997, 253, BFH/NV 1997, 47, und vom II B 5/03, BFH/NV 2003, 1440). Dies hat das FA im Streitfall glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten (vgl. , BFH/NV 2004, 1267, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 143 Rz. 2).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2082 Nr. 11
QAAAB-97201