Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 21; StGB § 20; StGB § 49; StGB § 63; StGB § 223; StGB § 224
Instanzenzug: LG Görlitz vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt zur weitgehenden Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am Abend des mit der Straßenbahn nach Hause, wobei er ein Klappmesser mit einer 10 cm langen Klinge mit sich führte. Zu dieser Zeit bestiegen auch der später geschädigte N. M. sowie die Zeugen K. und Kr. die Straßenbahn und nahmen - getrennt durch den Mittelgang - schräg gegenüber dem Angeklagten Platz. Der Angeklagte erkannte M. als Bruder eines ihm flüchtig bekannten Mannes, gegen den er seit Jahren Groll hegte. Kr. , der den Angeklagten noch aus DDR-Zeiten kannte, begrüßte ihn mit dessen Spitznamen, den der Angeklagte früher immer mit "einigem Stolz" vernommen hatte. Der Angeklagte, der ohnehin gereizter Stimmung war, geriet in Wut und beschimpfte die drei Männer als "Fotzen". M. forderte ihn daraufhin in ruhigem Ton auf, ihn nicht "anzumachen". Der Angeklagte wiederholte jedoch seine beleidigende Äußerung und öffnete unbemerkt sein Klappmesser. Wenige Minuten später erhob sich der Zeuge M. , weil er aussteigen wollte. In diesem Moment sprang der Angeklagte auf und rammte dem Zeugen das Messer wuchtig in den Bauch. Die Klinge durchstieß die Bauchdecke und verursachte eine stark blutende Wunde, verletzte jedoch keine inneren Organe. Der Geschädigte musste operiert und insgesamt zwei Wochen stationär behandelt werden.
Am war der Angeklagte zu Fuß unterwegs, wobei er einsatzbereit zwei Dosen Reizgas-Spray in der Jackentasche mit sich führte. Als ihm der Zeuge S. und dessen Sohn entgegenkam, sagte der Angeklagte laut: "Scheißpack" und sprühte das Spray aus nur wenigen Zentimetern Entfernung in das Gesicht des Zeugen. Alsdann setzte er seinen Weg fort und rief wiederholt: "Judenpack, Scheißjudenpack!"
Die Strafkammer hat hinsichtlich des Messereinsatzes einen Tötungsvorsatz verneint und insbesondere auch unter Berücksichtigung der von ihr zugebilligten erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB angenommen sowie die gefundene Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer nach Art. 6 EMRK um sechs Monate verringert. Im zweiten Fall der Körperverletzung gemäß § 223 StGB ist die Strafe nach Maßgabe der §§ 21, 49 StGB gemildert worden.
Das Landgericht hat - sachverständig beraten - die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, schizoiden und antisozialen Zügen leide. Davon ausgehend hat die Strafkammer - auch darin der Sachverständigen folgend - angenommen, dass in beiden Fällen die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten in das Unrecht seines Handelns erheblich vermindert gewesen sei. Gleichwohl habe er aber noch zutreffend erkannt, dass er sich nicht in einer Notwehrlage befunden habe. Die Anordnung der Maßregel begründet die Strafkammer - auch insoweit in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Gutachten - mit der fehlenden Krankheitseinsicht und der hieraus resultierenden Gefährlichkeit des Angeklagten, der sich seine Opfer beliebig aussuche mit der Folge, dass sich seine Aggressionen zukünftig gegen eine unüberschaubare Zahl weiterer Personen richten könne. Die zu erwartenden Taten hätten auch beträchtliches Gewicht, wenn der Angeklagte naheliegend wieder gefährliche Werkzeuge verwenden würde.
2. Die Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten lassen besorgen, dass die Strafkammer von einem rechtsfehlerhaften Verständnis der Vorschriften der §§ 20, 21 StGB ausgegangen ist. Sie war offensichtlich der Auffassung, mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit sei bereits die Voraussetzung des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB gegeben. Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (BGHSt 21, 27, 28 f.; 34, 22, 25 ff.; BGHR StGB § 21 StGB Einsichtsfähigkeit 2, 3, 4, 5, 6; BGH NStZ-RR 2004, 38). Der Täter, der - wie hier vom Landgericht angenommen - trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist - voll schuldfähig. In einem solchen Fall ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 26 f.). Die Vorschrift des § 21 StGB kann in Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit nur dann angewendet werden, wenn die Einsicht gefehlt hat, dies aber dem Täter vorzuwerfen ist. Kann ihm die infolge verminderter Einsichtsfähigkeit fehlende Unrechtseinsicht dagegen nicht zum Vorwurf gemacht werden, so greift § 20 StGB ein mit der Folge, dass eine Bestrafung ausscheidet (vgl. BGHSt 40, 341, 349).
Dem Urteil ist auch nicht sicher zu entnehmen, dass der Tatrichter in Wirklichkeit nicht an eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit, sondern an eine hier möglicherweise näher liegende erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit gedacht hat. Dagegen spricht die wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und auch der Umstand, dass die Strafkammer der vor allem die Steuerungsfähigkeit berührenden alkoholischen Beeinträchtigung des Angeklagten in beiden Fällen keine wesentliche Bedeutung beigemessen hat. Der Senat sieht sich deshalb nicht in der Lage, die Feststellungen entgegen ihrem klaren Wortlaut umzudeuten.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Sie erstreckt sich auch auf den Schuldspruch, weil nicht von vornherein auszuschließen ist, dass der Angeklagte schuldunfähig ist. Immerhin musste der Angeklagte seit 1978 mehrfach in psychiatrischen Krankenhäusern stationär behandelt werden, wobei die Ärzte durchgängig von einer schizophrenen Erkrankung ausgegangen sind. Auch wird die Einlassung des Angeklagten zu den Beweggründen seines aggressiven Verhaltens, das er offenbar als eine Art präventive Notwehr und im ersten Fall zugleich als Ausgleich für früher erlebte Kränkungen durch den Bruder des Geschädigten für erlaubt gehalten hat, eingehender zu würdigen sein. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird insgesamt über die Frage der Schuldfähigkeit nach Anhörung eines forensisch erfahrenen Sachverständigen erneut zu befinden haben. Die Feststellungen zum äußeren Tathergang können in beiden Fällen bestehen bleiben. Sie sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen.
Sollten wiederum die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bejaht werden, wird bei Prüfung der Gefährlichkeitsprognose mehr als bisher zu bedenken sein, dass der inzwischen 52-jährige Angeklagte in der Vergangenheit trotz bestehender Erkrankung offensichtlich keine weiteren rechtswidrigen Taten begangen hat und dass zwischen den hier in Rede stehenden Taten ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren liegt, in denen der Angeklagte auf freiem Fuß war; auch ist er seit der Tat vom bis zu seiner einstweiligen Unterbringung am offenbar nicht auffällig geworden. Zudem werden mögliche Therapieerfolge während der bisherigen Unterbringung zu berücksichtigen sein.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
IAAAB-95867
1Nachschlagewerk: nein