BGH Beschluss v. - 5 StR 79/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 211; StGB § 212 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

1. Der Angeklagte tötete seine - mit ihm "nach muslimischem Ritus" verheiratete (UA S. 10) - Ehefrau mit direktem Vorsatz nach einem bis zur Bewusstlosigkeit des Opfers durchgeführten Würgevorgang durch Ertränken in der Badewanne. Der Tat war ein Streit der Eheleute über die Einhaltung einer Verabredung der Ehefrau mit ihrer Cousine vorausgegangen; währenddessen sollte der Angeklagte auf die von seiner Frau bereits zu Bett gebrachten Kleinkinder aufpassen. Hierzu war der Angeklagte nicht bereit; sein Plan, sich betrunken zu stellen und damit seine Frau zu veranlassen, die beiden Kinder nicht in seiner Obhut zu belassen, war gescheitert. Bereits im Wohnzimmer war es zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, bei welcher der Frau ein Ohrstecker abgerissen wurde. Der Streit verlagerte sich sodann ins Badezimmer, wo die Frau sich zum Ausgehen zurechtmachen wollte.

Das Schwurgericht meint, der Angeklagte habe sich in dieser Situation zur Tötung seiner Frau entschlossen, um zu verhindern, dass sie ihren Willen durchsetzen und die Verabredung einhalten könnte (UA S. 16). Das eklatante Missverhältnis zwischen der Tötung und seinem unbedingten Willen, die freie Willensentfaltung seiner Frau - zumal im Zusammenhang mit einem alltäglichen Vorgang, dem geplanten kurzen Besuch der Cousine - keinesfalls zu dulden und allein seine Maßstäbe für ihr Tun und Lassen durchzusetzen (UA S. 43/44), sei, auch im Blick auf die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Kindern, zutiefst verachtenswert. Der bei Tatbegehung nicht tiefgreifend affektiv erregte und nicht erheblich alkoholisierte Angeklagte habe seine Motive beherrschen und willensmäßig steuern können, wie auch sein umsichtiges Tat- und Nachtatverhalten erweise. Dies ergebe sich auch im Blick auf frühere Gewalthandlungen gegen die Frau und Todesdrohungen für den Fall, dass sie ihn verlasse.

2. Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Die Feststellungen des Schwurgerichts zur Tötungshandlung und zum direkten Tötungsvorsatz beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Sie können bestehen bleiben. Insoweit ist die Revision erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe hat hingegen keinen Bestand.

a) Zutreffend hat das Schwurgericht allerdings herkunftsbedingte Anschauungen des im Wesentlichen in deutschen Heimen aufgewachsenen Angeklagten als für die Beurteilung des Mordmerkmals unbeachtlich angesehen. Letztlich bestehen für sich auch noch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Würdigung des Schwurgerichts zu einer nicht relevanten Alkoholisierung des Angeklagten bei Begehung der Tat und zur auch sonst uneingeschränkten Schuldfähigkeit, wenngleich sie im Gegensatz zur Beurteilung durch den psychiatrischen Sachverständigen steht, der freilich von etwas abweichenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Allerdings ist nach den Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Angeklagten die Wendung, seine "charakterliche Deviation" sei "weit entfernt von einer relevanten Persönlichkeitsstörung" (UA S. 48), überzeichnet. Dies zieht die Beurteilung der Schuldfähigkeit indes noch nicht durchgreifend in Zweifel. Gleiches gilt für die überaus mathematisierten Überlegungen zum Grad der alkoholischen Beeinträchtigung (UA S. 25 ff.).

b) Bedenken erweckt - auch vor dem Hintergrund einer lediglich wegen Totschlags erhobenen, unverändert zugelassenen Anklage - die Erwägung des Schwurgerichts, der Angeklagte habe "in nachgerade selten komplexer und exemplarischer Weise die Kriterien der sonstigen niedrigen Beweggründe erfüllt" (UA S. 43). Dies befremdet namentlich im Blick darauf, dass das Gericht - wie sich aus einem Beschluss des Vorsitzenden ergibt, der dem Senat aufgrund des Revisionsvorbringens zur Verfahrensrüge bekannt ist - nach Ablauf eines weitgehenden Teils der Beweisaufnahme noch ausdrücklich erwogen hat, dem Angeklagten für den Fall eines umfassenden Geständnisses eine Strafobergrenze von elf Jahren Freiheitsstrafe unter Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zuzusagen. Ob das angenommene Mordmerkmal allein schon wegen der genannten Formulierung zu beanstanden wäre, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls bleiben in der gebotenen gesamtwürdigenden Prüfung, ob er seine gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte (BGHSt 47, 128, 133; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 41 m.w.N.), einige wesentliche Teilaspekte unbeachtet.

aa) Die Annahme, das Opfer habe sich erst nach Beginn des mit direktem Tötungsvorsatz begonnenen Würgevorgangs durch einen Schlag mit einem Gegenstand an den Kopf des Angeklagten zu wehren gesucht (vgl. dazu UA S. 16, 20), ist nicht mit Tatsachen belegt. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts zu diesem Geschehensabschnitt ist lediglich rechtsfehlerfrei, soweit es annimmt, dass der dem Ertränken vorangegangene heftige Würgevorgang sich im Badezimmer ereignete und angesichts der beträchtlichen Dauer von wenigstens einer Minute - schließlich - bereits mit direktem Tötungsvorsatz erfolgte. Unerörtert bleibt dabei aber die nicht fern liegende Möglichkeit, dass der Gegenangriff des Opfers bereits zu einer Zeit erfolgte, als der Angeklagte noch keinen Tötungsvorsatz gefasst hatte, gar schon vor Beginn des Würgens. Dann könnte dieser Gegenangriff, wenngleich er sicher gerechtfertigt war, den aus Wut gefassten spontanen Tötungsentschluss mit beeinflusst haben. Eine derart affektive Motivation der Tötung hätte bei der Frage der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe mitbedacht werden müssen, wie Rechtsanwalt B in seiner Revisionsbegründung im Ansatz zutreffend, wenngleich mit zu weit gehenden Folgerungen, ausführt.

Im Übrigen wäre es auch angezeigt gewesen, auf die eklatante Kurzsichtigkeit und Kopflosigkeit der spontanen Tötungshandlung des Angeklagten Bedacht zu nehmen, der, wie schon die Feststellungen zu seinem bisherigen Werdegang erweisen, über eine ganz ungewöhnlich niedrige Frustrationstoleranz verfügt. Das kann die Annahme gedanklicher Beherrschung und willensmäßiger Steuerung seiner tatlenkenden gefühlsmäßigen Regungen angesichts der Besonderheiten seines Persönlichkeitsbildes weiter in Frage stellen.

bb) Insbesondere weist Rechtsanwalt L in seiner Gegenerklärung zutreffend auf Folgendes hin: Das Schwurgericht hat bei der maßgeblichen Mitbewertung des Nachtatgeschehens im Rahmen der Beurteilung der psychischen Verfassung des Angeklagten auch seine bedachtsame Versorgung der Kinder unmittelbar nach der Tat berücksichtigt. Die Feststellung dieses Nachtatverhaltens hat es - soweit ersichtlich - allein auf die "insoweit glaubhafte Einlassung" des Angeklagten gestützt (UA S. 47), dessen Angaben im Zusammenhang mit dem Tathergang es hingegen im Übrigen ganz weitgehend als widerlegt angesehen hat. Diese Teilglaubhaftigkeit der Einlassung ist im Urteil nicht näher begründet; namentlich ist nicht erkennbar erwogen worden, ob der Angeklagte etwa eine Versorgung der durch das Kampfgeschehen aufgeschreckten, weinenden und schreienden Kinder allein zur Untermauerung seiner rechtsfehlerfrei widerlegten erlogenen "Unfallversion" unrichtig behauptet haben könnte, für die er seine Abwesenheit aus dem Badezimmer während des Ertrinkens der Frau verständlich zu machen suchte. Gegen ein Hinzutreten der Kinder könnten gerade auch die als zuverlässig erachteten Wahrnehmungen einer Nachbarin (UA S. 31) sprechen, die, obgleich sie später sogar leises Wimmern eines Kindes bemerkte, zur fraglichen Zeit gerade keine Geräusche gehört hatte.

c) Der danach unzulängliche Beleg der subjektiven Voraussetzungen des einzigen angenommenen Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe entzieht dem Schuldspruch die Grundlage.

3. Das neue Tatgericht ist verpflichtet, zur Motivation und zur psychischen Situation des Angeklagten bei der - feststehenden - direkt vorsätzlichen Tötung seiner Frau bis hin zur Frage einer relevanten Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit eigene neue Feststellungen, wiederum mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen, zu treffen. Sollten danach etwa sowohl die subjektiven Voraussetzungen niedriger Beweggründe zu verneinen als auch eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen sein, hätte das neue Tatgericht Folgendes zu beachten: Bei einem hiernach konsequenten Schuldspruch lediglich wegen Totschlags könnte - zumal angesichts der Schwere der fraglos hochgradig verwerflichen Tat - eine im tatrichterlichen Ermessen stehende Verschiebung des Strafrahmens aus § 212 Abs. 1 StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abzulehnen sein. Dies läge besonders nahe, wenn die tatsächlichen Umstände, auf die eine Verminderung der Schuldfähigkeit zurückginge, im Wesentlichen mit denjenigen deckungsgleich wären, die zur Verneinung eines Mordes aus niedrigen Beweggründen aufgrund subjektiver Gegebenheiten führten (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 44).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
YAAAB-95866

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