BGH Beschluss v. - 5 StR 215/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2; StGB § 20; StGB § 21; StGB § 63; StGB § 306 Nr. 1; StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Brandstiftung freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.

Die Unterbringungsentscheidung entbehrt einer tragfähigen Begründung. Soweit der Angeklagte darüber hinaus das Urteil angreift, bleibt seine Revision aus den von der Bundesanwaltschaft in ihrer Zuschrift benannten Gründen erfolglos.

1. Die Anordnung der Unterbringung kann keinen Bestand haben, weil die Voraussetzungen des § 20 oder § 21 StGB nicht, wie für die Maßregel nach § 63 StGB erforderlich (vgl. BGHSt 34, 22, 26 f.), zweifelsfrei festgestellt sind. Entsprechend dem Antrag der Bundesanwaltschaft ist deshalb der Maßregelausspruch aufzuheben.

Zu dem Freispruch des Angeklagten und zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat sich die Strafkammer veranlasst gesehen, weil die "Unrechtseinsichtsfähigkeit" des Angeklagten bei Tatbegehung jedenfalls erheblich vermindert und nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen sei. Mit dieser Wertung folgt sie den Gutachten des psychiatrischen und des psychologischen Sachverständigen. Während der Psychiater eine Schizophrenia simplex (ICD 10: F 20.6) bei fortschreitender hirnorganischer Beeinträchtigung mit der Möglichkeit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.0) diagnostiziert hat, liegt nach Auffassung des Psychologen eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Verarbeitungsweisen und manisch-schicksalshaft verzerrenden Denkgewohnheiten nahe.

Danach ist nicht festgestellt, dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat sicher aufgehoben war. Dass diese Fähigkeit - wie sich den Urteilsgründen entnehmen lässt - jedenfalls erheblich vermindert war, genügt für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht, weil damit die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht sicher festgestellt sind. Diese Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anwendbar, wenn der Täter trotz erheblicher Verminderung der Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seiner Tat erkennt (BGHSt 21, 27; 34, 22, 25). Für § 21 StGB ist in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit nur Raum, wenn die Einsicht gefehlt hat und dem Täter dies vorzuwerfen ist (vgl. BGH NStZ 1985, 309; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; BGHR StGB § 63 Tat 4, jeweils m.w.N.). Solange die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht ausgelöst und dadurch zu Straftaten geführt hat, ist auch die Sicherung der Allgemeinheit durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht veranlasst (BGHSt 34, 22, 26 f.). Dass bei etwa noch vorhandener Unrechtseinsicht jedenfalls eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vorgelegen hat, versteht sich nach den Urteilsgründen, die sich hierzu nicht verhalten, nicht etwa von selbst.

2. Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig belegt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8, 11, 15, 19). Bei seinen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte außer wegen einer körperlichen Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn - dieser gab als Zeuge zudem zu, dass der Angeklagte womöglich im Recht gewesen und man gegenseitig tätlich geworden sei - bislang nicht durch rechtswidrige Taten zum Nachteil anderer aufgefallen ist und dass es sich bei der Brandstiftung um eine Tat aus einer außergewöhnlichen und einmaligen Konfliktsituation heraus gehandelt hat (Enterbung und drohende Räumung des von ihm seit 28 Jahren bewohnten Hauses).

Hinsichtlich der vom Angeklagten begangenen rechtswidrigen Tat belegen die Feststellungen zudem nur, dass der Tatbestand des § 306 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Denn dass die Inbrandsetzung der vom Angeklagten alleine bewohnten Doppelhaushälfte nach der Entwidmung durch den einzigen Bewohner die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht; es ist weder belegt, dass die Doppelhaushälfte mit derjenigen der Nachbarn ein einheitlich zusammenhängendes Gebäude bildete (vgl. BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 2), noch, dass der Nachbarteil schon für sich in Brand gesetzt war (vgl. UA S. 9). Diese Änderung der rechtlichen Bewertung der Anlasstat gibt zwar für sich gesehen noch keinen Anlass zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung (vgl. BGHR StGB § 63 Tat 6), ist aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen.

3. Der neue Tatrichter wird - möglichst unter Hinzuziehung eines anderen, geriatrisch erfahrenen Sachverständigen (vgl. zu Mindeststandards der Schuldfähigkeitsbegutachtung Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57) - auf der Grundlage der bisherigen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tathergang einschließlich der Vor- und Nachgeschichte des Angeklagten zu prüfen haben, ob die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt sicher ausgeschlossen oder zumindest seine Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt war und ob die weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit, vorliegen. In diesem Fall wird wiederum die - für sich nicht beanstandenswerte - Aussetzung der Maßregel zur Bewährung zu erwägen sein. Neben den neu zu treffenden Feststellungen zur psychischen Verfassung des Angeklagten bei der Tatbegehung kann der neue Tatrichter allenfalls solche zusätzliche Feststellungen treffen, die den nunmehr rechtskräftigen Feststellungen zum Tatgeschehen nicht widersprechen.

Sollte sich in der neuen Verhandlung herausstellen, dass die Voraussetzungen des § 63 StGB bei dem Angeklagten nicht vorliegen, hätte die gebotene Aufhebung des Urteils zur Folge, dass seine Tat wegen des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) ohne strafrechtliche Sanktion bleiben müsste. Im Hinblick auf diese Konsequenz kann für die Staatsanwaltschaften in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen regelmäßig Anlass bestehen, ihrerseits die Einlegung eines Rechtsmittels (zu Ungunsten des Untergebrachten) in Erwägung zu ziehen (vgl. ).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
GAAAB-95765

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