Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 338; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 354 Abs. 1 a Satz 1; StPO § 354 Abs. 1 a Satz 2; StPO § 358 Abs. 2 Satz 1; StGB § 66 Abs. 1; StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3; BVerfGG § 93 c Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.
1. Zur Sache hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte, der zuletzt bis Januar 2000 eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren unter anderem wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung verbüßt hatte, übernachtete Anfang des Jahres 2002 nach Auseinandersetzungen mit seiner Ehefrau nur noch selten in der gemeinsamen Wohnung. Die Nebenklägerin, eine Freundin seiner Ehefrau, die sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, übernachtete gelegentlich bei ihrer Freundin und hatte dort auch einen Großteil ihrer Sachen untergestellt.
Am Morgen des suchte die Nebenklägerin, die im Übrigen wenig Kontakt zu dem Angeklagten hatte, diesen in der Wohnung auf, da er ihr zugesagt hatte, sie bei dem geplanten Besuch einer Wohnungsgesellschaft zu unterstützen. Der Angeklagte war zu dieser Zeit allein in der Wohnung. Er bat die Nebenklägerin herein, beide tranken zunächst Kaffee und unterhielten sich. Als sich die Nebenklägerin kurz in das Schlafzimmer begab, folgte er ihr.
Überraschend schubste der Angeklagte die ihm körperlich weit unterlegene Nebenklägerin auf das Bett. Dann verdrehte er ihr den Arm, hielt sie fest, entkleidete sie teilweise gewaltsam und drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie schrie. Gegen den anhaltenden Widerstand der Geschädigten versuchte er sodann gewaltsam den Geschlechtsverkehr durchzuführen, was ihm jedoch nicht gelang. Er führte dann sogenannten Schenkelverkehr bis zum Samenerguss durch.
Die Nebenklägerin erstattete am Strafanzeige bei der Polizei.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3. Auch der Strafausspruch ist rechtsfehlerfrei. Der Generalbundesanwalt hat insoweit die Ansicht vertreten, es sei eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen, welche das Menschenrecht des Angeklagten auf Verhandlung und Entscheidung seiner Sache binnen angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verletzt habe, und die eine Kompensation durch Herabsetzung der Strafe zur Folge haben müsse. Dem tritt der Senat nicht bei; er hat daher die Freiheitsstrafe nicht gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO herabgesetzt.
a) Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich insoweit Folgendes: Die abgeurteilte Tat beging der Angeklagte am . Am wurde er deshalb festgenommen und am selben Tag als Beschuldigter zur Sache vernommen. Auf die Anklage vom verurteilte das Landgericht Köln den Angeklagten durch Urteil vom wegen sexueller Nötigung zur Freiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB an. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten verwarf der Senat auf den Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluss vom (Az.: 2 StR 2/03) als offensichtlich unbegründet. Auf die gegen das und den vom Angeklagten eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das - die genannten Entscheidungen aufgehoben, weil sie - auf Grund verfahrensfehlerhafter Sachbehandlung durch die Strafverfolgungsorgane - die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzten, und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat - nach Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft durch Beschluss vom - die neue Hauptverhandlung am 5. und durchgeführt.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil vom ist am eingelegt und am begründet worden. Die Staatsanwaltschaft hat die Sache am dem Generalbundesanwalt zugeleitet; beim Senat ist sie mit der Stellungnahme und dem Antrag des Generalbundesanwalts vom am eingegangen. Am 15. Februar ist die Sache im Senat mit dem Ergebnis der Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung beraten worden.
b) Die Überprüfung einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bedarf grundsätzlich der Erhebung einer Verfahrensrüge, die hier nicht erhoben worden ist. Ausnahmsweise kommt eine Überprüfung von bis zum Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen Verzögerungen auf die Sachrüge hin in Betracht, wenn sich die für die Beurteilung maßgeblichen Umstände vollständig aus den Urteilsgründen ergeben und es allein um die Überprüfung ihrer rechtlichen Wertung geht (BGH NStZ 2004, 639; st. Rspr.). Diese Voraussetzungen sind hier für die Zeitdauer vom Erlass der ersten Revisionsentscheidung am bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am gegeben. Nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretene Verzögerungen sind vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH NJW 1995, 1101; NStZ 1996, 328; st. Rspr.).
c) Anlass für die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung könnte hier nur die Dauer der Zeitspanne zwischen der Entscheidung des und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde vom sein. Die Dauer des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens ist aus menschenrechtlicher Sicht jedenfalls dann als Teil der Gesamtverfahrensdauer anzusehen, wenn sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die weitere Sachbehandlung durch die Fachgerichte ausgewirkt hat (vgl. auch EGMR NJW 2002, 2856, 2857; 2005, 2530, 2536; 2005, 3125, 3126). Dies war hier der Fall, denn das Bundesverfassungsgericht hat die Sache nach Aufhebung der Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs an das Landgericht zur neuen Tatsachenverhandlung zurückverwiesen.
d) Eine rechtstaatswidrige Belastung des Beschuldigten tritt nicht schon durch den bloßen Ablauf einer Wartezeit ein, welche mit dem (erfolgreichen) Betreiben rechtsstaatlicher Rechtsbehelfe notwendig verbunden ist. Ein Menschenrechtsverstoß kann sich auch nicht allein aus der Summierung von Zeitspannen ergeben, welche jede für sich unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sind.
Anders wäre es nur, wenn man schon aus dem Umstand, dass eine Entscheidung des Instanzgerichts durch den Bundesgerichtshof oder eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht aufgehoben wurde, auf eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung schließen wollte (so aber BVerfG - 3. Kammer des 2. Senats -, Beschl. vom - 2 BvR 1964/05 = StV 2006, 73; wohl auch BVerfG - 2. Kammer des 2. Senats -, Beschl. vom - 2 BvR 109/05 = NStZ 2005, 456, 457; Beschl. vom - 2 BvR 1315/00 = NJW 2005, 3485, 3487; Krehl StV 2005, 561, 562; vgl. aber Krehl/Eidam NStZ 2006, 1, 7 bei Fußn. 104).
Der Senat teilt diese auch vom Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vertretene Rechtsansicht nicht. Die Wiederholung fehlerhafter Verfahrensteile als Konsequenz eines gerade auch zum Schutz des Beschuldigten vorgesehenen rechtsstaatlichen Rechtsbehelfsverfahrens oder gar die Durchführung des Rechtsbehelfsverfahrens selbst können nicht schon für sich allein als rechtsstaatswidrige zusätzliche Belastungen des Beschuldigten angesehen werden (so auch = NJW 2005, 1813; Urt. vom - 3 StR 460/98; vgl. auch = NJW 2003, 2228 f.; Beschl. vom - 2 BvR 153/03 = NJW 2003, 2897, 2898; BGH NStZ 2001, 106 f.; NJW 2005, 1813, 1814; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15).
Anders kann dies in Fällen zu beurteilen sein, in denen eine Zurückverweisung - sei es durch ein Revisionsgericht, sei es durch das Bundesverfassungsgericht - Folge eines Verfahrensverstoßes ist, der im Licht der rechtsstaatlichen Gesamtverfahrensordnung schlechterdings nicht nachvollziehbar und als unvertretbarer Akt objektiver Willkür erscheint. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nicht schon dann vor, wenn ein Verfahrensverstoß im Sinne von § 338 StPO nachgewiesen oder zugleich ein Verfahrensgrundrecht des Beschuldigten verletzt ist. Auch hier bedarf es vielmehr meist wertender Abgrenzungen; die Grenze zwischen noch vertretbaren und rechtsfehlerhaften Verfahrensentscheidungen ist, wie die vielfältige praktische Erfahrung des Revisionsgerichts belegt, im Einzelfall oft nicht leicht zu bestimmen und regelmäßig von einer Vielzahl tatsächlicher (so auch zutr. ) Umstände und wertender Beurteilungen abhängig. Die Verwerfung einer Verfahrensrüge als unbegründet durch ein oberstes Bundesgericht ist auch dann, wenn das Bundesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen ihre Unvereinbarkeit mit einem Grundrecht festgestellt hat, nicht schon allein deshalb als Akt objektiver Willkür anzusehen, der zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen zusätzlichen Belastung des Beschwerdeführers und zur Kompensationspflicht nötigt (vgl. auch Krehl StV 2005, 561, 562). Auch nach Aufhebung einer tatrichterlichen Entscheidung durch das Revisionsgericht erschiene es eher fern liegend, regelmäßig schon in der Erforderlichkeit einer neuen Hauptverhandlung einen Beleg für eine rechtsstaatswidrige Verzögerung zu sehen (ausführlich hierzu auch ).
Soweit das Bundesverfassungsgericht in den oben genannten Kammerentscheidungen eine hiervon - und wohl auch von eigener früherer Rechtsprechung - abweichende Ansicht vertreten hat, folgt der Senat dem nicht. Er wäre durch diese Entscheidungen auch nicht gebunden, denn gem. § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnende Senatsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den hier inmitten stehenden maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bisher nicht ergangen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht sich mit Feststellung und Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen mehrfach grundsätzlich befasst. Angesichts der weitergehenden grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob allein schon die Erforderlichkeit der Wiederholung von Verfahrensabschnitten auf Grund eines (erfolgreichen) Rechtsmittels zu einer menschenrechtswidrigen, grundsätzlich kompensationspflichtigen Verzögerung des Gesamtverfahrens führt, und angesichts der weitreichenden Folgen, die ein solcher Rechtssatz für das Strafverfahren in der Tatsachen-, aber auch in der Revisionsinstanz hätte (vgl. dazu ausführlich ), können aber entsprechende Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht als bloße Anwendung oder Fortbildung dieser Senatsrechtsprechung angesehen werden.
e) Es kann hier aber letztlich dahinstehen, ob das Verfahren über die Verfassungsbeschwerde in einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK widersprechenden Weise verzögert wurde und ob das Landgericht deshalb eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hätte feststellen und bei der Strafzumessung berücksichtigen müssen. Dasselbe gilt im Ergebnis für die Frage, ob unter dem Gesichtspunkt der Gesamtverfahrensdauer, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine wertende nachträgliche Gesamtbetrachtung des im Einzelfall angemessenen Verfahrensgangs erlaubt (krit. Krehl/Eidam NStZ 2006, 1, 4) und daher in Ausnahmefällen auch Korrekturen der Bewertung etwa bei einer Summierung jeweils für sich noch hinnehmbarer Verzögerungen ermöglicht, hier unter Berücksichtigung der Schwere des Tatvorwurfs und der drohenden und letztlich angeordneten Rechtsfolgen (vgl. Senatsbeschl. vom - 2 StR 320/04 = NStZ 2005, 445) eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hätte festgestellt werden können. Der Senat hält, zumal der Tatrichter die relativ lange Dauer des Verfahrens bis zum ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt hat (UA S. 89, 90), die vom Landgericht unter Beachtung von § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO festgesetzte Strafe, selbst wenn insoweit ein Rechtsfehler vorläge, für in jeder Hinsicht angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO. Einer Entscheidung gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass der Generalbundesanwalt einen Antrag gemäß § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO gestellt hat.
4. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die formellen Voraussetzungen sind unzweifelhaft gegeben. Auch die Feststellung eines Hangs im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist rechtsfehlerfrei; das Landgericht hat sie zutreffend auf prägende kriminologische Übereinstimmungen in Tatanlass und -ausführung zwischen der Anlasstat und früheren Symptomtaten gestützt. Die vom Landgericht vorgenommene Gefährlichkeitsprognose ist gleichfalls rechtsfehlerfrei.
Fundstelle(n):
wistra 2006 S. 339 Nr. 9
TAAAB-95376
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