BAG Urteil v. - 9 AZR 635/03

Leitsatz

[1] 1. Gegen die Regelung in § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX, nach der ein wegen seiner Schwerbehinderung diskriminierter Bewerber, der auch bei benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle nicht erhalten hätte, Anspruch auf Entschädigung von bis zu drei Monatsentgelten hat, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Die Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX zur Geltendmachung einer Entschädigung wegen Diskriminierung setzt nicht die Angabe einer bestimmten Forderungshöhe voraus.

3. Der schwerbehinderte Bewerber kann eine Beweislastverschiebung herbeiführen. Voraussetzung ist, dass er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen.

4. Steht fest, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht über die eingegangene Bewerbung eines bestimmten schwerbehinderten Menschen unterrichtet hat, so ist dessen Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft zu vermuten.

Gesetze: SGB IX § 81 Abs. 1; SGB IX § 81 Abs. 2; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in Beschäftigung und Beruf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b ii; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in Beschäftigung und Beruf Art. 4 Abs. 1; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in Beschäftigung und Beruf Art. 10 Abs. 1

Instanzenzug: ArbG Bremen 7 Ca 7457/02 vom LAG Bremen 1 Sa 77/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat.

Die beklagte Stadtgemeinde betrieb als nicht rechtsfähigen Eigenbetrieb das Zentralkrankenhaus B. Bei ihr gilt - auch in den Eigenbetrieben - eine Integrationsvereinbarung vom . Soweit schwerbehinderte Stellenbewerber mangels Eignung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, ist danach die Entscheidung mit der Schwerbehindertenvertretung zu erörtern und den schwerbehinderten Bewerbern Gelegenheit zu einem Vorstellungsgespräch zu geben, soweit die Bewerbung nicht schon auf Grund der schriftlichen Unterlagen offensichtlich nicht in Betracht kommt. Die Vereinbarung enthält zudem umfassende Unterrichtungs- und Beratungspflichten, soweit sich um eine Stelle schwerbehinderte Menschen bewerben und die Schwerbehindertenvertretung mit der Entscheidung über deren Bewerbung nicht einverstanden ist. Das gilt allerdings nur, soweit die gesetzliche Beschäftigungsquote nicht erfüllt wird.

In den B Nachrichten vom schrieb die Beklagte für das Zentralkrankenhaus B eine Stelle als Stationssekretärin/-sekretär mit einer Stellenanzeige aus, die auszugsweise wie folgt lautet:

"Zum nächstmöglichen Termin suchen wir eine/n Stationssekretärin/-sekretär

- Teilzeitbeschäftigung möglich -

Sie werden als Ansprechpartner/in für Ärzte/Ärztinnen, Pflegepersonal und Patienten/-innen auf einer der Stationen eingesetzt. Neben den medizinischen Schreibarbeiten sollen Sie die Mitarbeiter/innen von administrativen Arbeiten, wie zum Beispiel Telefondienst, Terminplanung und vielem mehr entlasten. Sie werden die Krankenakten führen und die medizinischen Leistungen in die EDV eingeben. Für die Bewältigung der Aufgaben benötigen Sie Organisationstalent und Fingerspitzengefühl ebenso wie die Fähigkeit, in hektischen Zeiten einen 'kühlen Kopf' zu bewahren.

Sie sollten über eine Ausbildung als Arzthelfer/in oder vergleichbare Erfahrungen im medizinischen Bereich verfügen.

Gute Schreibmaschinenkenntnisse sowie Erfahrung im Umgang mit der EDV setzen wir voraus.

Schwerbehinderte haben bei im wesentlichen gleicher fachlicher und persönlicher Eignung den Vorrang.

Ihre aussagefähige schriftliche Bewerbung richten Sie bitte an das Zentralkrankenhaus B - Personalabteilung -

..."

Mit Schreiben vom bewarb sich der Kläger um die Stelle. Das Schreiben lautet:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte mich um die ausgeschriebenen Arbeitsstelle in Ihrer Einrichtung bewerben. Zusätzlich zu der nachfolgend beschriebenen Qualifizierung möchte ich auf mein Examen in der Altenpflege hinweisen. Diesen Beruf kann ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, bin aber selbstverständlich bereit meine gesammelten, pflegerischen Erfahrungen in meinen neuen Aufgabenbereich einfließen zu lassen.

Im Rahmen einer beruflichen Reha-Maßnahme habe ich am meine Ausbildung zum Medizinischen Dokumentationsassistenten beendet und mit der staatlichen Prüfung erfolgreich abgeschlossen.

Hier eine Aufstellung meines aktuellen Leistungsstandes:

- Kenntnisse in der Medizinischen Dokumentation

- mathematische und statistische Grundkenntnisse

- EDV-Erfahrung mit den Betriebssystemen Windows 98 bzw. Windows NT 4.0

- Anwendungsprogramme Access, Word, Excel, Powerpoint und Outlook

- professionelle Datenerfassung

- Datenbank-/Softwarepflege

- medizinische Fachterminologie (inkl. Englische Terminologie)

- Internet-Recherchen in medizinischen Datenbanken (vornehmlich in DIMDI)

Während meiner Ausbildung habe ich auch zwei Berufspraktika absolviert:

Im ersten Schuljahr ein sechswöchiges Praktikum im J, B. Dort habe ich Erfahrungen in der Aufnahme bzw. im Archiv gesammelt.

Im zweiten Ausbildungsjahr ein dreimonatiges Praktikum im Gesundheitsamt B, eingesetzt war ich während dieser Zeit im Projekt 'elektronische Fallakte' und habe das Programm Albis on Windows für die medizinische Ambulanz konzeptioniert. In diesem zuletzt erwähnten Projekt konnte ich mein Talent zum kreativen und selbständigen Arbeiten unter Beweis stellen.

Anschließend möchte ich noch auf eine anerkannte Schwerbehinderung hinweisen. Diese schränkt mich körperlich leicht ein, lässt sich aber durch meine engagierte Arbeitsauffassung kompensieren.

Über einen Terminvorschlag für ein Vorstellungsgespräch würde ich mich sehr freuen."

Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Unter dem lehnte sie seine Bewerbung mit einem Schreiben ab, das auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"Sehr geehrter Herr R,

zunächst danken wir Ihnen für Ihr Vertrauen, das Sie uns mit der Überlassung Ihrer Bewerbungsunterlagen erwiesen haben.

Über das vielfache Interesse, das unsere Anzeige fand, haben wir uns gefreut. Die sorgfältige Sichtung aller uns zugegangenen Bewerbungsunterlagen hat daher einige Zeit erfordert.

Es ist auch für uns eine unangenehme Situation, vielen interessierten Bewerbern/-innen absagen zu müssen. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Da wir nur einen Arbeitsplatz zu vergeben hatten, bleibt uns - wie auch in Ihrem Falle - keine andere Wahl.

Für Ihre weiteren beruflichen Pläne wünschen wir Ihnen viel Erfolg.

Die uns überlassenen Unterlagen sind als Anlage beigefügt."

Am führte der Kläger mit der Personalleitung des Zentralkrankenhauses B ein Telefonat. Im Verlaufe dieses Gespräches erklärte diese die Ablehnung damit, dass der Kläger nicht in der Lage ist, auf der Schreibmaschine 300 Anschläge pro Minute zu schreiben.

Unter dem , eingegangen am , verlangte der Prozessbevollmächtigte des Klägers von der Beklagten eine Entschädigung unter Bezugnahme auf die gesetzlich vorgesehene Mindestentschädigung von drei Monatseinkommen bei Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung. Das lehnte die Beklagte mit Schreiben vom unter Hinweis auf die nicht ausreichenden Schreibmaschinenkenntnisse des Klägers ab. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seine Entschädigungsforderung weiter.

Er behauptet, die Beklagte habe die Schwerbehindertenvertretung über seine Bewerbung nicht informiert. Sie habe damit und dadurch, dass sie ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, sowohl gegen die bei ihr geltende Integrationsvereinbarung, als auch gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Daraus ergebe sich, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei.

Die von der Beklagten angeführten Schreibmaschinenkenntnisse seien als Anforderung an die Stelle unnötig und nur vorgeschoben.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank gem. § 288 Abs. 1, § 247 BGB seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie habe die Schwerbehindertenvertretung über die Bewerbung des Klägers unterrichtet. Das sei über den Personalrat geschehen. Die Schwerbehindertenvertretung habe zu keinem Zeitpunkt moniert, dass der Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Der Kläger sei nicht eingestellt worden, weil ihm die notwendigen Schreibmaschinenkenntnisse fehlten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

A. Die Klage ist zulässig.

Die Klage ist bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Höhe der von ihm begehrten Geldzahlung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Ein derartiger Klageantrag ist zulässig, wenn die Bestimmung des Betrages von einer gerichtlichen Schätzung oder billigem Ermessen des Gerichts abhängig ist ( - AP BGB § 211 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 204 Nr. 1). Der Kläger muss dann jedoch die Tatsachen, die das Gericht für die Schätzung heranziehen soll, benennen ( -) und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angeben ( -). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Für den Fall der Diskriminierung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers bei der Einstellung sieht § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB IX eine Entschädigung in angemessener Höhe vor. § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX beschränkt den Entschädigungsanspruch auf drei Monatsverdienste, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Diese betragsgemäße Beschränkung hat der Kläger aufgegriffen sowie die Umstände seiner Bewerbung und von deren Ablehnung dargelegt.

B. Die Klage ist nicht begründet.

I. Ein Anspruch des Klägers kommt allein nach § 81 Abs. 2 SGB IX, der bei einer Benachteiligung für behinderte Bewerber unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche vorsieht, in Betracht. Diese Regelung ist abschließend. Sie ist § 611a BGB, der das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts regelt, nachgebildet und dient zudem der Umsetzung der EG-Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichberechtigung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom - künftig: Rahmenrichtlinie -, ABl. EG Teil L Nr. 303 S. 16; vgl. zu beiden Punkten: BT-Drucks. 14/5074 S. 113). Die zu § 611a BGB entwickelten Grundsätze können deshalb zur Auslegung des § 81 Abs. 2 SGB IX ebenso herangezogen werden wie die Vorgaben der Richtlinie (vgl. zur europarechtskonformen Auslegung nationalen Rechts C-397 bis 403/01 Pfeiffer ua. - AP EWG-Richtlinie Nr. 93/104 Nr. 12 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 93/104 Nr. 1).

II. Nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 1 iVm. Nr. 1 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber, den er bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses benachteiligt hat, selbst dann eine angemessene Entschädigung in Höhe von höchstens drei Monatsverdiensten zu leisten, wenn der Bewerber bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Der Kläger macht diesen Entschädigungsanspruch hier geltend; denn er beruft sich nicht darauf, dass bei benachteiligungsfreier Auswahl die Beklagte nur die Möglichkeit gehabt hätte, ihn als bestgeeigneten Bewerber auszuwählen.

Die Bestimmung unterliegt - entgegen den Ausführungen der Beklagten vor dem Senat - keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil bei der Bemessung der Entschädigung allein auf den immateriellen Schaden abzustellen ist. Es liegt insoweit keine nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) bedenkliche Zivilstrafe vor (vgl. KR-Pfeiffer 7. Aufl. § 611a BGB Rn. 104 mwN). Jede Diskriminierung wegen Schwerbehinderung stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, die auch nach allgemeinen Grundsätzen zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen würde. Das ergibt sich schon aus der Regelung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf (ebenso für den vergleichbaren Fall einer Diskriminierung wegen des Geschlechts: - BAGE 61, 209).

III. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch scheitert nicht bereits an der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB IX.

Nach dieser Vorschrift ist ein Anspruch auf Entschädigung ua. nach dem hier einschlägigen § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung schriftlich geltend zu machen. Diese Frist hat der Kläger mit dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom eingehalten. Es ist unschädlich, dass der Kläger in diesem Schreiben seinen Schadensersatzanspruch nicht im Einzelnen beziffert hat. Nach der gesetzlichen Regelung ist "Ein Anspruch" geltend zu machen. Durch den unbestimmten Artikel wird deutlich, dass der Anspruchsteller dem Arbeitgeber lediglich verdeutlichen muss, einen Anspruch wegen der Diskriminierung auf Grund seiner Schwerbehinderteneigenschaft geltend zu machen. Weiterer Angaben bedarf es nicht.

IV. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht jedoch nicht. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die tatsächlichen Voraussetzungen einer Diskriminierung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft lägen nicht vor, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist weder als unmittelbare noch als mittelbare gegeben (vgl. Senat - 9 AZR 122/03 - AP SGB IX § 81 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 4, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und - 9 AZR 18/03 - AP ATG § 8 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 12, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

1. Das gilt zunächst hinsichtlich einer unmittelbaren Diskriminierung.

a) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person wegen ihrer Schwerbehinderteneigenschaft eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in der vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Rahmenrichtlinie). Der Kläger wäre danach diskriminiert, wenn er ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht gezogen worden wäre.

b) Von einem derartigen Sachverhalt kann mit dem Landesarbeitsgericht nicht ausgegangen werden.

aa) Die tatsächlichen Feststellungen sind nach den Grundsätzen des § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX zu treffen.

Macht im Streitfall der schwerbehinderte Beschäftigte Tatsachen glaubhaft, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt nach dieser Vorschrift der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe vorliegen. Damit ist zugleich festgelegt, dass solche Gründe unabhängig von den in § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 SGB IX genannten Fallgestaltungen eine Benachteiligung wegen der Behinderung rechtfertigen (vgl. Senat - 9 AZR 122/03 - AP SGB IX § 81 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 4, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und - 9 AZR 18/03 - AP ATG § 8 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 12, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine unmittelbare Diskriminierung liegt dabei schon dann nicht vor, wenn der Arbeitgeber für seine Entscheidung Gründe hat, die nicht auf die Behinderung bezogen sind. Dann knüpft er gerade nicht an die Behinderung unmittelbar an.

Das entspricht Art. 10 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie. Danach obliegt es immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten, Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, dem Beklagten zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (vgl. zur Beweislast Jämställdhetsombudsmannen - EuGHE I 2000, 2189 = AP EWG-Richtlinie Nr. 75/117 Nr. 15 = EzA EG-Vertrag 1999 Art. 141 Nr. 5, für die Diskriminierung wegen des Geschlechts; Großmann in GK-SGB IX Stand Februar 2005 § 81 Rn. 241; Deinert in Neumann Handbuch SGB IX § 17 Rn. 99 ff.).

bb) Der Kläger hat Tatsachen vorgetragen, die vermuten lassen, dass er wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft benachteiligt wurde.

(1) Der klagende Bewerber kann eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch herbeiführen, dass er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen. Bloße Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO reicht nicht aus. Die gesetzliche Regelung betrifft allein das Beweismaß ( - AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das Gericht muss die Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und Nachteil gewinnen (vgl. - aaO, für den Fall der Diskriminierung wegen des Geschlechts).

(2) Auf der Grundlage des Tatsachenvortrages des Klägers ist davon auszugehen, dass der Beklagten ein Gesetzesverstoß zur Last fällt, der nach diesen Grundsätzen - seine Richtigkeit unterstellt - eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lässt.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen § 82 SGB IX, der nur für öffentliche Arbeitgeber gilt, und der von ihm behauptete Verstoß gegen die Integrationsvereinbarung der Beklagten zur Glaubhaftmachung einer Benachteiligung geeignet ist. Diese Regeln haben zwar nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich. Da die Rahmenrichtlinie in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b ii iVm. Art. 5 auch positive Maßnahmen zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zulässt, ist aber nicht auszuschließen, dass auch Verletzungen von speziellen Regelungen, die bestimmte Arbeitgeber zu besonderen Anstrengungen verpflichten, eine Vermutung begründen können. Das bedarf hier jedoch keiner abschließenden Stellungnahme des Senats. Die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung ergibt sich schon aus der Verletzung allgemeiner Arbeitgeberpflichten.

Nach dem Klägervortrag ist die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung schon deshalb anzunehmen, weil die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung des schwerbehinderten Menschen nicht unmittelbar nach Eingang unterrichtet und bei der stets nach § 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX vorzunehmenden Prüfung, ob ein Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, nicht beteiligt worden ist. Die Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung lässt auf eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung schließen. Es gehört zur Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung, die Eingliederung arbeitssuchender schwerbehinderter Menschen in den Betrieb zu fördern (§ 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber nicht entgegen § 81 Abs. 2 SGB IX benachteiligt (§ 95 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX). Dazu hat der Gesetzgeber ihr ausdrücklich das Recht eingeräumt, in die Bewerbungsunterlagen auch der nicht behinderten Bewerber Einblick zu nehmen und an den Vorstellungsgesprächen aller Bewerber teilzunehmen (§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX). Damit soll die Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit haben, durch einen Vergleich der Qualifikation die benachteilungsfreie Stellenbesetzung zu überprüfen (vgl. Düwell LPK-SGB IX § 81 Rn. 20). Insbesondere wenn der Arbeitgeber gegen die Unterrichtungspflicht über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen verstößt, kann die Schwerbehindertenvertretung diese ihr gesetzlich zugewiesene Funktion nicht erfüllen. Dann spricht eine Vermutung für die Benachteiligung des verschwiegenen schwerbehinderten Stellenbewerbers.

Ob die Beklagte auch die weitergehenden Erörterungspflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 7 bis 9 SGB IX verletzt hat, ist nicht ersichtlich. Diese Verpflichtungen bestehen ua. nur, wenn der Arbeitgeber seine gesetzliche Beschäftigungsquote nicht erfüllt. Dazu hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen und der Kläger nichts vorgetragen.

cc) Es bedarf keiner Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur Klärung, ob die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig über die eingegangene Bewerbung unterrichtet und am Stellenbesetzungsverfahren ordnungsgemäß beteiligt wurde. Gegen die Rechtzeitigkeit der Unterrichtung spricht die Einlassung der Beklagten, sie habe über den Personalrat die Schwerbehindertenvertretung informiert. Da die Schwerbehindertenvertretung nach §§ 94, 95 SGB IX ein eigenständiges Organ der Dienststelle ist, kann mit der Informationserteilung an den Personalrat die dem Arbeitgeber nach § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX obliegende Unterrichtung nicht erfüllt werden. Der Personalrat ist nicht zuständig für den Empfang von Mitteilungen, die an die Schwerbehindertenvertretung zu richten sind. Ob der Personalrat als zwischengeschalteter Bote des Arbeitgebers die Mitteilung über die eingegangene Bewerbung so rechtzeitig an die gewählte Vertrauensperson der Schwerbehinderten weitergeleitet hat, dass die Anforderung "unmittelbar nach Eingang" noch erfüllt ist, bedarf keiner Aufklärung. Die Beklagte hat nämlich die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung entkräftet.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beruht die von der Beklagten zu Lasten des Arbeitgebers getroffene Personalentscheidung darauf, dass der Kläger die von ihr geforderten Schreibmaschinenkenntnisse nicht erfüllt. Dabei hat es die von der Beklagten aufgegebene Anzeige gewürdigt und angenommen, diese Anzeige gebe das Anforderungsprofil der Beklagten wieder. Auf Beweislastregeln hat das Landesarbeitsgericht bei seinen Feststellungen nicht abgestellt. Seine Feststellungen sind deshalb nicht zu beanstanden, obwohl es verkannt hat, dass der Kläger Tatsachen für die Vermutung einer Benachteiligung dargelegt hat. Im Übrigen sind sie mit der Revision nicht angegriffen und daher für den Senat verbindlich (§ 559 Abs. 2 ZPO).

2. Ebenso scheidet eine mittelbare Diskriminierung des Klägers wegen seiner Behinderung aus.

a) Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich (Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Rahmenrichtlinie).

b) Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass schwerbehinderte Menschen von dem durch die Beklagte aufgestellten Kriterium "Schreibmaschinenkenntnisse" häufiger betroffen werden können, als andere Personen in gleicher Lage. Dann wäre von einer mittelbaren Benachteiligung auszugehen. Diese wäre jedoch durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel wären zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich:

§ 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 SGB IX regelt in Übereinstimmung mit Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, wenn eine bestimmte körperliche Funktion wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für eine Tätigkeit ist. Das gilt sowohl für die unmittelbare als auch für die mittelbare Diskriminierung. Für die von der Beklagten ausgeschriebene Tätigkeit einer Stationssekretärin oder eines Stationssekretärs ist die gestellte berufliche Anforderung "gute Schreibmaschinenkenntnisse" zur Durchführung der medizinischen Schreibarbeiten wesentlich und entscheidend. Es war deshalb erforderlich und auch angemessen, für die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle auf die Erfüllung dieser beruflichen Anforderung abzustellen.

V. Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedurfte es nicht. Der Senat hat sich in seiner Entscheidung an den vom EuGH hinsichtlich der Beweislast bei Frauendiskriminierung entwickelten Grundsätzen orientiert. Die hier in Frage stehende Rahmenrichtlinie ist in ihrer Struktur dem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung nachgebildet (vgl. ihre Vorbemerkungen 2 und 3). Es können daher für die Diskriminierung wegen der Behinderung keine anderen Grundsätze gelten. Im Übrigen hat der Senat den klaren Wortlaut der Rahmenrichtlinie heranzogen (vgl. zur Vorlagepflicht Senat - 9 AZR 405/00 - BAGE 101, 357).

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2816 Nr. 51
DB 2005 S. 1802 Nr. 33
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2005 S. 3279
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2005 S. 990
RAAAB-95073

1Für die Amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein