BAG Beschluss v. - 7 ABR 15/02

Leitsatz

[1] 1. Der Betriebsrat hat gegenüber dem Arbeitgeber keinen Anspruch auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten zur Durchführung eines arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahrens, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich aussichtslos ist. Dies ist nicht der Fall, wenn das Beschlußverfahren bislang ungeklärte Rechtsfragen zum Gegenstand hat und die Rechtsauffassung des Betriebsrats vertretbar ist.

2. Der Betriebsratsvorsitzende vertritt den Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch bei der schriftlichen Mitteilung an den Arbeitgeber über die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu personellen Einzelmaßnahmen iSv. § 99 BetrVG, die den Betriebsratsvorsitzenden selbst betreffen.

Gesetze: BetrVG § 40 Abs. 1; BetrVG § 26 Abs. 2

Instanzenzug: ArbG Wuppertal 8 BV 12/01 vom LAG Düsseldorf 11 TaBV 48/01 vom

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über einen Freistellungsanspruch des Betriebsrats von Rechtsanwaltskosten, die ihm in einem arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren entstanden sind.

Antragsteller ist der aus fünf Mitgliedern bestehende, im Betrieb der zu 2) beteiligten Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat. Der Betriebsratsvorsitzende war bis zum Herbst 1999 in der Stanzerei beschäftigt und erhielt Vergütung aus der Lohngruppe 7 eines nicht näher bezeichneten Lohntarifvertrags. Die Arbeitgeberin beantragte am schriftlich die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Betriebsratsvorsitzenden auf die Stelle eines Gruppenleiters und zur Eingruppierung in die Lohngruppe 8. Der Betriebsrat stimmte der Versetzung mit Schreiben vom zu, verweigerte aber die Zustimmung zur Eingruppierung mit der Begründung, der Betriebsratsvorsitzende sei in die Lohngruppe 10 einzugruppieren. Das an die Arbeitgeberin gerichtete Schreiben war vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet. Die Arbeitgeberin zahlte dem Betriebsratsvorsitzenden in der Folgezeit Vergütung nach Lohngruppe 8. Daraufhin machte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht ein Beschlußverfahren anhängig mit dem Antrag, der Arbeitgeberin aufzugeben, ein Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zur Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung des Betriebsratsvorsitzenden in die Lohngruppe 8 einzuleiten. In diesem Verfahren ließ sich der Betriebsrat von einem Rechtsanwalt vertreten. Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats zurück mit der Begründung, die Zustimmung des Betriebsrats gelte nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt, weil der Betriebsratsvorsitzende nicht berechtigt gewesen sei, das Zustimmungsverweigerungsschreiben zu unterzeichnen. Für ihre anwaltliche Tätigkeit in diesem Beschlußverfahren stellten die Verfahrensbevollmächtigten dem Betriebsrat am einen Betrag von 1.248,62 DM einschließlich 16 % Mehrwertsteuer in Rechnung. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin erfolglos auf, diese Kosten zu begleichen.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, ihn von den Rechtsanwaltskosten freizustellen. Die damalige Rechtsverfolgung sei nicht offensichtlich aussichtslos oder mutwillig gewesen. Der Betriebsratsvorsitzende sei zur Unterzeichnung des Schreibens vom berechtigt gewesen. An der vorangegangenen Beratung und Abstimmung habe er nicht teilgenommen.

Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,

die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Antragsteller von den Anwaltsgebühren gemäß Rechnung seiner Verfahrensbevollmächtigten vom in Höhe von 1.248,62 DM freizustellen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen

Die Vorinstanzen haben den Antrag zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Freistellungsbegehren weiter. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Antrag nicht zurückgewiesen werden. Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats scheitert nicht daran, daß der Betriebsrat die Rechtsverfolgung in dem vorangegangenen Beschlußverfahren als offensichtlich aussichtslos hätte ansehen müssen, weil der Betriebsratsvorsitzende nicht berechtigt gewesen wäre, das an die Arbeitgeberin gerichtete Zustimmungsverweigerungsschreiben zu unterzeichnen und deshalb die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt galt. Vielmehr durfte der Betriebsrat davon ausgehen, die Arbeitgeberin ordnungsgemäß und fristgerecht über die Zustimmungsverweigerung informiert zu haben. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers entfiele wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung allerdings dann, wenn der Betriebsratsvorsitzende an der Beratung und Abstimmung über seine eigene Eingruppierung teilgenommen hätte. Tatsachenfeststellungen zu diesem zwischen den Beteiligten streitigen Sachverhalt hat das Landesarbeitsgericht bislang ebensowenig getroffen wie Feststellungen zu der ebenfalls entscheidungserheblichen Frage, ob der Betriebsrat seinerzeit einen Beschluß über die Einleitung des Beschlußverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts gefaßt hatte. Diese Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nachzuholen.

1. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Hierzu gehören auch Kosten, die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten des Betriebsrats anfallen ( - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 31, zu III 1 der Gründe; - 7 ABR 25/98 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 67 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 89, zu I 1 der Gründe). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung des Betriebsrats von Kosten, die diesem durch die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts entstanden sind, besteht jedoch grundsätzlich nur dann, wenn der Betriebsrat bei pflichtgemäßer Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten und Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Rechtslage, die Führung eines Prozesses und die Beauftragung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten konnte ( - aaO zu B I 1 der Gründe; - 7 ABR 20/00 - BAGE 99, 208 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 71, zu B II 1 der Gründe). Die Prüfung der Erforderlichkeit hat der Betriebsrat nicht allein anhand seiner subjektiven Bedürfnisse vorzunehmen. Er ist vielmehr gehalten, die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamtes einerseits und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers andererseits gegeneinander abzuwägen. Dabei hat er auch die Kostenbelange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers entfällt, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich aussichtslos ist ( - aaO, zu I 1 und 2 der Gründe). Das ist nur dann der Fall, wenn die Rechtslage unzweifelhaft ist und zu einem Unterliegen des Betriebsrats führen muß ( - BAGE 61, 340 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 29, zu B I 1 der Gründe). Davon kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn über eine ungeklärte Rechtsfrage zu entscheiden ist und die Rechtsauffassung des Betriebsrats vertretbar erscheint.

2. Hiernach war die Rechtsverfolgung durch den Betriebsrat in dem dem Freistellungsanspruch zugrundeliegenden Beschlußverfahren nicht schon deshalb offensichtlich aussichtslos, weil der Betriebsratsvorsitzende das an die Arbeitgeberin gerichtete Schreiben über die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu seiner eigenen Eingruppierung unterschrieben hatte. Die Rechtsfrage, ob sich die Vertretungsbefugnis des Betriebsratsvorsitzenden gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auch auf Stellungnahmen des Betriebsrats zu personellen Einzelmaßnahmen iSv. § 99 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber erstreckt, wenn die Maßnahme den Betriebsratsvorsitzenden selbst betrifft, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Bereits deshalb konnte das vorhergehende Beschlußverfahren nicht als aussichtslos angesehen werden. Im übrigen war der Betriebsratsvorsitzende nicht gehindert, das Ergebnis der Beratung des Betriebsrats der Arbeitgeberin mitzuteilen.

a) Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat im Rahmen der von ihm gefaßten Beschlüsse. Der Betriebsratsvorsitzende ist daher zur Abgabe von Erklärungen für den Betriebsrat zuständig. Dazu gehört auch die Abfassung und Unterzeichnung von Schriftstücken, mit denen dem Arbeitgeber gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats zu personellen Einzelmaßnahmen iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG mitgeteilt wird. Lediglich im Falle der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden obliegt diese Aufgabe nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG seinem Stellvertreter. Ein Verhinderungsfall liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber schriftlich über die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats zu einer den Betriebsratsvorsitzenden selbst betreffenden personellen Einzelmaßnahme unterrichtet werden soll. Der Betriebsratsvorsitzende ist zwar, ebenso wie jedes andere Betriebsratsmitglied, von seiner Organtätigkeit ausgeschlossen bei Entscheidungen, die ihn individuell und unmittelbar betreffen. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, daß zur Vermeidung von Interessenkollisionen niemand "Richter in eigener Sache" sein kann. Der Betriebsrat hat die Interessen der von ihm repräsentierten Belegschaft wahrzunehmen. Diese Aufgabe kann er nicht ordnungsgemäß erfüllen, wenn bei der Beschlußfassung die eigenen Interessen von Betriebsratsmitgliedern so stark sind, daß diese gegenüber den Interessen der Belegschaft in den Vordergrund treten ( - BAGE 92, 162 = AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 7, zu B II 1 a der Gründe mwN). Liegt eine derartige Interessenkollision bei einem Betriebsratsmitglied vor, ist es gehindert, an der Beratung und Beschlußfassung teilzunehmen ( - aaO, zu B II 1 b der Gründe mwN). Dadurch soll verhindert werden, daß Gründe des Eigeninteresses zu einer dem Betriebsratsmitglied günstigen Entscheidung führen ( - aaO, zu B II 2 c der Gründe).

b) Dies bedeutet aber nicht, daß der von einer personellen Einzelmaßnahme selbst betroffene und deshalb von der Beratung und Beschlußfassung des Betriebsrats ausgeschlossene Betriebsratsvorsitzende auch gehindert ist, den Arbeitgeber schriftlich über den Betriebsratsbeschluß zu informieren. Denn nach der Beschlußfassung durch den Betriebsrat bestehen keine Entscheidungsspielräume mehr, die von Eigeninteressen beeinflußt werden könnten. Der Betriebsratsvorsitzende handelt bei der Übermittlung der Beschlüsse des Betriebsrats an den Arbeitgeber nicht als Vertreter des Betriebsrats im Willen, sondern lediglich als dessen Vertreter in der Erklärung ( - BAGE 35, 80 = AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 11, zu II 1 a aa der Gründe). Er trifft daher nicht anstelle des Betriebsrats eine diesem obliegende Entscheidung, sondern informiert lediglich den Arbeitgeber über die von dem Betriebsrat getroffene Entscheidung. Dies setzt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht voraus, daß er auch berechtigt war, an der Beratung und Beschlußfassung teilzunehmen. Vielmehr kann der vom Betriebsrat gefaßte Beschluß dem Arbeitgeber auch dann vom Betriebsratsvorsitzenden übermittelt werden, wenn er selbst daran nicht mitgewirkt hat, sondern seinerseits von den übrigen Betriebsratsmitgliedern über die Beschlußfassung informiert wurde. Auch die aus der Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden resultierende Vermutung, daß der Erklärung ein entsprechender Beschluß des Betriebsrats zugrundeliegt, setzt nicht voraus, daß die Erklärung nur dann vom Betriebsratsvorsitzenden abgegeben werden kann, wenn er selbst - berechtigterweise - an der Beratung und Beschlußfassung teilgenommen hat. Denn die Vermutung knüpft nicht an die Teilnahme an der Beschlußfassung, sondern allein an die Erklärung und die gesetzliche Regelung in § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG an, wonach der Betriebsratsvorsitzende den Betriebsrat im Rahmen der von diesem gefaßten Beschlüsse vertritt. Dadurch wird die Stellung des Betriebsratsvorsitzenden entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zu der eines Boten. Denn er überbringt nicht lediglich eine bereits vorformulierte Erklärung des Betriebsrats, sondern er formuliert die inhaltlich vorgegebene Erklärung selbst.

3. Ob die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen zutreffend ist (§ 563 ZPO aF), kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Dies hängt davon ab, ob der Betriebsratsvorsitzende an der Beratung und Beschlußfassung des Betriebsrats über seine eigene Eingruppierung teilgenommen hat. Sollte dies der Fall gewesen sein, fehlte es an einer ordnungsgemäßen Beschlußfassung des Betriebsrats, denn der Betriebsratsvorsitzende war wegen der bestehenden Interessenkollision gehindert, an der Beschlußfassung mitzuwirken. ( - aaO, zu B II 3 b der Gründe mwN).

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Betriebsratsvorsitzende an der Beratung und Beschlußfassung des Betriebsrats teilgenommen hat. Tatsachenfeststellungen dazu hat das Landesarbeitsgericht bislang nicht getroffen. Diese sind vom Landesarbeitsgericht nachzuholen.

4. Sollte die erneute Anhörung der Beteiligten vor dem Landesarbeitsgericht ergeben, daß der Betriebsratsvorsitzende an der Beratung und Beschlußfassung des Betriebsrats nicht teilgenommen hat, ist vom Landesarbeitsgericht zu prüfen, ob der Betriebsrat über die Einleitung des dem Freistellungsanspruch zugrundeliegenden Beschlußverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts einen ordnungsgemäßen Beschluß gefaßt hat. Denn dies ist Voraussetzung für die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ( - BAGE 94, 42 = EzA BetrVG 1972 § 40 Nr. 76, AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 68; - 7 ABR 25/95 - AP BetrVG 1972 § 76 a Nr. 5 zu B II 4 der Gründe).

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 1681 Nr. 32
DB 2003 S. 1911 Nr. 35
RAAAB-94584

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