BAG Urteil v. - 6 AZR 633/01

Leitsatz

[1] 1. Der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit nach Art. 141 Abs. 1 EG schließt unterschiedliche kinderbezogene Leistungen für Angestellte und Beamte mit mehr als zwei Kindern nicht aus.

2. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es nicht, angestellte Lehrkräfte in gleicher Weise wie die beamteten Lehrkräfte zu vergüten.

Gesetze: EG Art. 141; EG Art. 234; GG Art. 72; GG Art. 74a Abs. 1; BAT § 29 B Abs. 3

Instanzenzug: ArbG Hannover 3 Ca 338/99 Ö vom LAG Niedersachsen 3 Sa 1018/00 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des kinderbezogenen Teils des Ortszuschlags.

Der Kläger ist beim beklagten Land als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Er ist an einer berufsbildenden Schule tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Tarifbindung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Das beklagte Land zahlt dem Kläger für seine drei unterhaltsberechtigten Kinder einen kinderbezogenen Anteil am Ortszuschlag. Dieser betrug im April 1999 für jedes Kind monatlich 83,01 Euro (162,36 DM). Beamtete Lehrkräfte der entsprechenden Besoldungsgruppe A 13 BBesO erhielten seit dem für das dritte und jedes weitere zu berücksichtigende Kind einen kinderbezogenen Familienzuschlag in Höhe von jeweils 212,17 Euro (414,96 DM). Diese durch Art. 9 § 2 BBVAnpG 99 geregelte Erhöhung des kinderbezogenen Familienzuschlags ab dem dritten Kind geht zurück auf eine Entscheidung des - 2 BvL 26/91 - BVerfGE 99, 300), nach der bei Beamten ein gleichbleibender kinderbezogener Familienzuschlag ab dem dritten Kind mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar ist. Der Kläger verlangte darauf hin ohne Erfolg für sein drittes Kind ebenfalls einen höheren Ortszuschlag.

Er hat gemeint, die unterschiedliche Höhe der kinderbezogenen Leistungen für Angestellte und Beamte mit mehr als zwei Kindern sei mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit nach Art. 141 Abs. 1 EG nicht zu vereinbaren. Die Regelung des BAT zur Höhe des kinderbezogenen Anteils am Ortszuschlag diskriminiere mittelbar Frauen. Der Frauenanteil in der benachteiligten Gruppe der Angestellten des beklagten Landes sei signifikant höher als in der begünstigen Gruppe der Landesbeamten.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger, beginnend ab dem , einen zusätzlichen monatlichen Ortszuschlag in Höhe von 129,15 Euro (252,60 DM) brutto nebst 4 % Zinsen auf den jeweiligen monatlichen Bruttobetrag ab jeweiliger monatlicher Fälligkeit, frühestens ab Rechtshängigkeit, zu gewähren.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Es hat die Auffassung vertreten, der kinderbezogene Anteil am Ortszuschlag sei nicht leistungs- sondern sozialbezogen. Er sei kein Entgelt iSv. Art. 141 Abs. 2 EG. Eine mittelbare Frauendiskriminierung sei durch die vom Kläger benannten Vergleichsgruppen nicht belegt. Vergleichbar sei nur die Gruppe der Angestellten und die der Beamten mit mehr als zwei Kindern. Eine mögliche Ungleichbehandlung sei im übrigen sachlich gerechtfertigt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter. Das beklagte Land beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen höheren kinderbezogenen Anteil am Ortszuschlag für sein drittes Kind.

I. Die Beklagte hat den tariflichen Anspruch des Klägers auf Ortszuschlag der Stufe 3 unter Berücksichtigung seiner drei Kinder erfüllt (§ 29 B Abs. 3 BAT).

II. Ein Anspruch des Klägers auf einen höheren kinderbezogenen Teil des Ortszuschlags folgt nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet einem Arbeitgeber sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage als auch eine sachfremde Gruppenbildung ( - BAGE 99, 53 mwN). Er enthält jedoch kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungs- und Regelungsbereichen gleich zu regeln ( - BAGE 87, 180, 184). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts findet er deshalb im Verhältnis von Angestellten zu Beamten keine Anwendung, da für die Regelung ihrer jeweiligen Rechtsverhältnisse unterschiedliche Träger zuständig sind und sie nicht in derselben Ordnung zu ihrem Arbeitgeber bzw. Dienstherrn stehen (vgl. - BAGE 73, 262, 267). Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist daher nicht verpflichtet, einen Angestellten, der die gleiche Tätigkeit wie ein Beamter ausübt, auch in gleicher Weise wie diesen zu vergüten ( - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 289, zu I 2 b aa der Gründe; - 10 AZR 306/91 - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 105 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 55, zu 2 der Gründe mwN).

2. Im Vergleich zu den im Angestelltenverhältnis beschäftigten weiblichen Lehrkräften mit mehr als zwei Kindern benachteiligt das beklagte Land den Kläger nicht. Diese erhalten ebenso wie der Kläger den kinderbezogenen Anteil am Ortszuschlag nur in Höhe der tariflichen Regelung.

III. Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein Verstoß gegen Art. 141 Abs. 1 EG vor. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist nicht eröffnet.

1. Art. 141 EG gehört zu den Grundlagen der Gemeinschaft und ist in den Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht (vgl. 96/80 - EuGHE 1981, 911). Er verpflichtet jeden Mitgliedsstaat, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen. Die Vorschrift verbietet damit jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt ( - EuGHE I 1990, 1889). Sie untersagt auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts, von der auszugehen ist, wenn eine für beide Geschlechter gleichermaßen geltende Norm erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben ( - EuGHE I 2000, 2189).

2. Ob der kinderbezogene Teil des Ortszuschlags Entgelt iSd. Art. 141 EG ist oder ob der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung auf Grund der vom Kläger vorgenommenen Vergleichsgruppenbildung überhaupt erfüllt ist, bedarf entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keiner Entscheidung. Auch wenn Beamte und Angestellte des beklagten Landes gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten verrichten, erfaßt Art. 141 Abs. 1 EG nicht die Besoldungs- oder Vergütungsunterschiede beider Gruppen.

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften erfordert die Anwendung dieser Vorschrift, daß eine Einheit besteht, die für unterschiedliche Entgeltbedingungen verantwortlich und deshalb auch in der Lage ist, Gleichbehandlung herzustellen ( - EuGHE I 2002, 7325). Wie der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nach nationalem Recht setzt auch die Geltung des Art. 141 Abs. 1 EG eine Differenzierung voraus, die ein Rechtsträger zu verantworten hat, der demzufolge auch in der Lage ist, eine Gleichbehandlung der verschiedenen Gruppen herzustellen. Ansonsten würde das europarechtliche Gebot der Entgeltgleichheit dazu zwingen, auf Dauer alle Betroffenen zu begünstigen. Bei einer das Gebot des Art. 141 EG beachtenden Lösung kann nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zukunftsbezogen auch eine Absenkung auf ein niedrigeres Niveau erfolgen ( - EuGHE I 1994, 4435; ErfK/Schlachter 3. Aufl. Art. 141 EG Rn. 22). Das setzt jedoch voraus, daß der die Ungleichbehandlung verursachende Träger auch über die entsprechende Regelungsmacht gegenüber den jeweiligen Gruppen verfügt. Fehlt es daran, sind Arbeit und Entgelt der Betroffenen einem Vergleich entzogen ( - aaO).

b) Die Festsetzung unterschiedlicher kinderbezogener Leistungen für Angestellte und Beamte mit mehr als zwei Kindern beruht nicht auf der Regelungskompetenz des beklagten Landes. Sie läßt sich nicht iSd. Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auf eine einheitliche Quelle zurückzuführen.

Die Festlegung der Dienstbezüge der Beamten, zu der auch die kinderbezogenen Familienzuschläge zählen, ist der Regelungskompetenz des beklagten Landes entzogen. Sie regelt das Bundesbesoldungsgesetz. Dieses betrifft einen Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 iVm. Art. 74a Abs. 1 GG. Über die Höhe der Beamtenbesoldung entscheidet daher der Bundestag. Dieser ist nicht verpflichtet, die Ergebnisse der Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes spiegelbildlich auf die Beamtenbesoldung zu übertragen (vgl. 2 C 34.01 - ZTR 2003, 255). Demgegenüber regelt die Entgelte der Angestellten in Bund und Ländern der Vergütungstarifvertrag zum BAT. Die Höhe der Grundvergütung und der einzelnen Stufen des Ortszuschlags wird danach in einem Tarifvertrag zwischen Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft der Länder für die ihr angeschlossenen Länder vereinbart, die damit eine eigene kollektive Ordnung schaffen. Sie haben die Höhe des tariflich geregelten kinderbezogenen Anteils am Ortszuschlag gemeinsam zu verantworten. Die unterschiedlichen kinderbezogenen Leistungen für Angestellte und Beamte beruhen danach nicht auf den Entscheidungen eines Rechtsträgers. Es fehlt deshalb eine gemeinsame Stelle, die für die Festsetzung der Vergütung der Angestellten wie der Besoldung der Beamten verantwortlich ist und daher in der Lage wäre, die kinderbezogenen Leistungen für Beamte und Angestellte mit mehr als zwei Kindern einheitlich zu regeln.

3. Soweit die vorstehenden Ausführungen auf der Auslegung von Art. 141 Abs. 1 EG beruhen, war eine Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften nicht erforderlich.

a) Allerdings kann die Entscheidung des Senats mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden. Das Bundesarbeitsgericht ist deshalb als letztinstanzliches Gericht nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet, wenn in einem vor ihm schwebenden Verfahren über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu entscheiden ist. Die Pflicht zur Vorlage entfällt, wenn die Rechtsfrage zum Gemeinschaftsrecht bereits Gegenstand der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften war ( 283/81 - EuGHE 1982, 3415; st. Rspr. des BAG, vgl. - 5 AZR 9/95 - BAGE 83, 377 mwN). Dabei kommt es nicht darauf an, in welcher Verfahrensart der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Rechtsfrage entschieden hat. Unerheblich ist auch, ob die strittigen Fragen vollkommen identisch sind ( 283/81 - aaO).

b) Danach besteht keine Vorlagepflicht. Die Frage, ob das Gleichheitsgebot des Art. 141 Abs. 1 EG verletzt sein kann, wenn sich unterschiedliche Entgeltbedingungen für gleiche oder gleichwertige Arbeit nicht auf ein und dieselbe Quelle zurückführen lassen, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuletzt in seiner Entscheidung vom (- Rs C-320/00 - aaO) beantwortet. Der vorliegen-de Fall weist keine Besonderheiten auf, zu deren Klärung ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen angezeigt ist.

Fundstelle(n):
BB 2003 S. 1960 Nr. 37
UAAAB-94557

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein