BAG Urteil v. - 6 AZR 607/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 1; KSchG § 4; ZPO § 256; BGB § 242; BGB § 612a; TzBfG § 16; BetrVG § 102

Instanzenzug: ArbG Lübeck 4 Ca 3759/03 vom LAG Schleswig-Holstein 3 Sa 159/04 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung vom .

Die Beklagte schloss mit dem Kläger vom an insgesamt fünf befristete Arbeitsverträge ( bis ; bis ; bis ; bis und bis ). Diese Arbeitsverträge sahen Laufzeiten von etwa zwei bis viereinhalb Monaten vor. Der Zeitraum zwischen den Arbeitsverhältnissen variierte zwischen ca. fünf bis ca. acht Monaten.

Der Kläger wurde jeweils als Maschinenarbeiter in der Produktion eingesetzt.

Durch seine Beschäftigung sollte es dem Stammpersonal ermöglicht werden, etwaigen Resturlaub zu nehmen und bestehende Arbeitszeitkonten abzubauen.

Das letzte Arbeitsverhältnis war befristet für die Zeit vom bis . Nachdem der Kläger erstinstanzlich mit seiner Entfristungsklage obsiegt hatte (Arbeitsgericht Lübeck - 4 Ca 3416/03 -), kündigte die Beklagte mit Schreiben vom "vorsorglich" das Arbeitsverhältnis zum . Die beim Betriebsrat am eingegangene "Anhörung" hatte folgenden Wortlaut:

"Wir beabsichtigen Herrn M ... fristgerecht zum nächstmöglichen Termin (14 Tage) zu kündigen.

...

Begründung:

Herr M war als Urlaubsvertretung vom bis zum beschäftigt.

Es liegt uns eine Klage von Herrn M auf Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses vor.

Ohne damit ein Arbeitsverhältnis anzuerkennen, beabsichtigen wir, Herrn M vorsorglich fristgerecht zu kündigen."

Der Betriebsrat widersprach am der beabsichtigten Kündigung.

Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung vom zum . Er hat die Auffassung vertreten, er genieße allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG. Die Zeiten der zuvor bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisse seien auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen, da zwischen den Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang bestehe. Des Weiteren sei die Kündigung treuwidrig und verstoße gegen das Maßregelungsverbot. Im Übrigen sei die Kündigung unwirksam, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom nicht aufgelöst ist, sondern fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Die Kündigung sei weder treuwidrig noch verstoße sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Sie habe lediglich von ihrer Kündigungsbefugnis gem. § 16 TzBfG Gebrauch gemacht. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die streitige Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum aufgelöst mit der Folge, dass das arbeitsgerichtliche Urteil wiederherzustellen war.

I. Die Klage ist als Kündigungsschutzklage iSd. § 4 KSchG zulässig. Für den Fall, dass das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, ist der Antrag des Klägers als allgemeiner Feststellungsantrag iSv. § 256 ZPO zu verstehen.

II. Die Kündigung der Beklagten vom ist rechtswirksam. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht anwendbar. Die Kündigung ist weder treuwidrig noch verstößt sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Sie ist auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam.

1. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht anwendbar. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.

a) Das Arbeitsverhältnis hatte beim Zugang der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate ohne Unterbrechung bestanden, § 1 Abs. 1 KSchG.

Das letzte Arbeitsverhältnis der Parteien hatte am begonnen, so dass die Sechsmonatsfrist noch nicht verstrichen war. Das vorangegangene Arbeitsverhältnis hatte vom bis gedauert, also nicht einmal zwei Monate, wobei die zeitliche Unterbrechung zwischen diesen beiden Arbeitsverhältnissen etwas mehr als fünf Monate betrug. Zwischen den weiteren vorausgegangenen Arbeitsverhältnissen lagen jeweils Unterbrechungen von mehreren Monaten.

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Unterbrechungen unschädlich, wenn zwischen dem alten und dem neuen Arbeitsverhältnis ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (zB - 7 AZR 450/88 - BA-GE 62, 48; - 2 AZR 470/75 - BAGE 28, 252). Dann werden die Zeiten der früheren Arbeitsverhältnisse auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG angerechnet. Ob ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, ist einzelfallabhängig (vgl. KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 110). Zu prüfen sind dabei der Anlass und die Dauer der Unterbrechung sowie die Art der Weiterbeschäftigung ( - BAGE 89, 307). Eine feste zeitliche Begrenzung für den Unterbrechungszeitraum besteht nicht. Je länger die zeitliche Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein ( - AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 9 = EzA KSchG § 1 Nr. 49; - 7 AZR 339/99 - RzK I 4 d Nr. 24).

c) Danach kommt hier eine Zusammenrechnung nicht in Betracht. Zwar war Anlass für die vorausgegangenen Arbeitsverhältnisse Vertretungsbedarf. Dieser bestand aber nicht durchgehend. Der Einsatz des Klägers erfolgte, um vorübergehende Zeiten der Abwesenheit von Stammpersonal zu überbrücken. Die zeitliche Unterbrechung von über fünf Monaten ist zu groß, um noch von einem sachlichen Zusammenhang ausgehen zu können. Lediglich Unterbrechungen von wenigen Tagen oder Wochen können unschädlich sein. Die Grenze zu einer schädlichen Unterbrechung wird in der Regel ab einem Unterbrechungszeitraum von drei Wochen gesehen ( - RzK I 4 d Nr. 24).

2. Die Kündigung ist auch nicht treuwidrig, § 242 BGB.

a) Das Landesarbeitsgericht hat die Darstellung des Klägers, die Beklagte betreibe ein Personalkarussell zur Umgehung des Kündigungsschutzes, für nicht ausreichend gehalten. Dem folgt der Senat.

b) Der Arbeitgeber setzt bei einem "Personalkarussell" einen festen Bestand an Arbeitnehmern planmäßig mit zeitlich erheblichen Unterbrechungen ein, um sich zwar einerseits die von den Arbeitnehmern bereits gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen zu Nutze zu machen, andererseits aber das Entstehen von gesetzlichem Kündigungsschutz zu verhindern (vgl. - BAGE 93, 305, 309). Ein gezieltes, jeweils am Nichterreichen der Sechsmonatsgrenze des § 1 Abs. 1 KSchG orientiertes Einstellungs-, Beschäftigungs- und Entlassungsverhalten hat der Kläger, obwohl darlegungspflichtig ( - AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 2), nicht vorgetragen. Weitere Ausführungen des Senats dazu sind nicht erforderlich; der Kläger hat diesen Punkt in der Revisionsinstanz nicht aufgegriffen.

c) Es ist auch nicht treuwidrig, wenn die Arbeitgeberin als Reaktion auf die erhobene Entfristungsklage das Arbeitsverhältnis vorsorglich kündigt.

Der Arbeitgeber macht nur von seiner allgemeinen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch. § 16 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG sieht ausdrücklich die Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber vor. Danach kann der Arbeitgeber im Fall der materiell unwirksamen Befristung frühestens zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses ordentlich kündigen. Das TzBfG ordnet gerade nicht an, dass der Arbeitgeber nach einer durch den Arbeitnehmer erhobenen Entfristungsklage einem Kündigungsverbot oder etwaigen Sperrfristen unterliegt.

3. Die "vorsorgliche" Kündigung nach erhobener Entfristungsklage verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB iVm. § 134 BGB.

Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als "Maßnahmen" iSd. § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht ( - RzK I 8 l Nr. 15; KR-Pfeiffer 7. Aufl. § 612a BGB Rn. 4). Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, dh., das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet ( - BAGE 101, 312).

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte die Entfristungsklage nur zum Anlass für den Ausspruch der vorsorglichen fristgemäßen Kündigung genommen hat. Im Erheben der Entfristungsklage lag gerade nicht das Motiv für die Kündigung. Hätte der Kläger keine Entfristungsklage erhoben, so wäre das Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf ohnehin beendet worden. Um in jedem Fall eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erreichen, musste der Arbeitgeber vorsorglich von seinem Recht zur Kündigung Gebrauch machen.

4. Entgegen dem Landesarbeitsgericht ist der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden.

a) Das Landesarbeitsgericht hat zur Anhörung des Betriebsrats ausgeführt, die Arbeitgeberin habe zwar ihren Kündigungsentschluss mitgeteilt, habe aber keinen Kündigungsgrund genannt. Sie habe lediglich zum Ausdruck gebracht, "dass" sie die Kündigung aussprechen wolle, nicht aber mitgeteilt, "warum" sie das Arbeitsverhältnis zu kündigen in Aussicht genommen habe.

b) Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass auch in Fällen, in denen die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt ist, eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung ist. Trotz fehlenden Kündigungsschutzes nach dem KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihm bekannte und konkretisierbare Kündigungsgründe dem Betriebsrat nicht nur pauschal, sondern substantiiert mitzuteilen (vgl. - BAGE 77, 13). Auch wenn ein individualrechtlicher Kündigungsschutz noch nicht besteht, soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn gegebenenfalls mit besseren Argumenten von der in Aussicht genommenen Kündigung abzubringen. Allerdings sind die Anforderungen an die Betriebsratsanhörung bei noch nicht bestehendem Kündigungsschutz geringer, da der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers in diesen Fällen häufig allein von subjektiven, durch Tatsachen nicht belegbaren Vorstellungen bestimmt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts genügt es dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine subjektiven Wertungen mitteilt (vgl. zB - 2 AZR 234/98 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 99 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 100).

bb) Unabhängig von einer durch den Senat selbst im Hinblick auf § 563 ZPO vorzunehmenden Wertung des Anhörungsschreibens hat die Beklagte gerügt, das Landesarbeitsgericht habe verkannt, dass die Betriebsratsanhörung nicht nur die schlichte Mitteilung eines Kündigungsentschlusses, sondern vielmehr erkennbar auch die Begründung, nämlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Wegfall des Vertretungsbedarfs in der Urlaubszeit wenigstens durch eine vorsorgliche Kündigung erreichen zu wollen, enthalte, womit der Sache nach geltend gemacht wird, dass § 286 ZPO, §§ 133, 157 BGB verletzt seien.

(1) Bei der Betriebsratsanhörung handelt es sich um eine atypische Willenserklärung, deren Auslegung grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz ist; in diesen Fällen ist eine Überprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin möglich, ob das Berufungsgericht eine Auslegung völlig unterlassen hat, ob diese unzureichend ist oder ob gegen ein Gesetz verstoßen oder wesentlicher Auslegungsstoff nicht herangezogen worden ist (so - BAGE 27, 218, 227; - 2 AZR 280/88 - AP BGB § 626 Nr. 101 = EzA BGB § 626 nF Nr. 118, zu I 2 a aa der Gründe).

(2) Auch unter Berücksichtigung dieses nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann der Auslegung des Anhörungsschreibens durch das Landesarbeitsgericht nicht gefolgt werden.

(2.1) Die Mitteilung der in Aussicht genommenen Kündigung durch den Arbeitgeber nach § 102 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BetrVG ist dem Betriebsrat gegenüber abzugeben.

Sie ist damit eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Für die Auslegung ist deshalb von ihrem Wortlaut auszugehen, so wie sie der Betriebsrat als Erklärungsempfänger unter Würdigung der ihm bekannten Umstände nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste ( - AP BGB § 626 Nr. 101 = EzA BGB § 626 nF Nr. 118). Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht nicht richtig angewandt.

(2.2) Das Landesarbeitsgericht entnimmt dem Anhörungsschreiben lediglich die "Kundgabe eines Kündigungsentschlusses". Die Beklagte habe kein Argument für den Kündigungsentschluss vorgebracht. Sie habe nur den Anlass genannt, nämlich die Existenz einer Entfristungsklage und damit zwangsläufig verbunden das Bestehen der Möglichkeit, dass die Befristung nicht wirksam sei und das Arbeitsverhältnis noch fortbestehe. Das wird dem Anhörungsschreiben nicht gerecht. Wesentliche Teile sind nicht berücksichtigt worden. Denn die Beklagte verweist in ihrem Anhörungsschreiben darauf, der Kläger sei "als Urlaubsvertretung vom bis zum beschäftigt" gewesen. Damit hat die Beklagte bei der von ihr unterstellten Unwirksamkeit der Befristung zum Ausdruck gebracht, mit dem Ablauf der befristeten Urlaubsvertretung sei der Beschäftigungsbedarf für den Kläger entfallen. Deswegen sei dem Kläger zu kündigen. Das reicht aus (zutreffend -).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1612 Nr. 22
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2006 S. 3312
WAAAB-94552

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein