BAG Urteil v. - 6 AZR 348/02

Leitsatz

[1] Der MTA-O findet keine Anwendung, wenn ein Angestellter, der im Beitrittsgebiet ausgebildet worden ist, nach Abschluß der Ausbildung erstmals im Geltungsbereich des MTA ein Arbeitsverhältnis begründet und zu einem späteren Zeitraum an einen im Beitrittsgebiet gelegenen Arbeitsort versetzt wird.

Gesetze: Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom (MTA); Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (MTA-O) vom § 1

Instanzenzug: ArbG Erfurt 9/2 Ca 1610/01 vom LAG Thüringen 8 Sa 457/01 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nach einer Versetzung in das Beitrittsgebiet die Bestimmungen des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (MTA-O) vom und den diesen ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.

Die Klägerin absolvierte bei der Beklagten im Arbeitsamt G. vom bis zum eine Berufsausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsförderung. Mit Schreiben vom lehnte die Beklagte eine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis im Bezirk des Arbeitsamtes G. ab. Im Anschluß daran wurde der Klägerin eine Einstellung bei einer Dienststelle des Landesarbeitsamtsbezirkes Sachsen-Anhalt-Thüringen oder Niedersachsen-Bremen in Aussicht gestellt. Mit Schreiben vom bewarb sich die Klägerin auf eine Stelle beim Arbeitsamt Bremen. Nach bestandener Abschlußprüfung wurde sie dort mit Arbeitsvertrag vom als vollbeschäftigte Angestellte auf unbestimmte Zeit eingestellt. In § 2 des Arbeitsvertrags wurde vereinbart, daß sich das Arbeitsverhältnis nach dem Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit vom (MTA) bestimmt. Beide Parteien sind tarifgebunden.

Auf Grund eines Versetzungsgesuchs wurde die Klägerin mit Wirkung vom an das Arbeitsamt E. versetzt. Die Beklagte ging davon aus, daß nach dieser Versetzung nunmehr der MTA-O auf Arbeitsverhältnis Anwendung findet. In § 1 MTA-O heißt es:

"Allgemeiner Geltungsbereich

(1) Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit - BA -, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet begründet sind."

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch nach der Versetzung vom Arbeitsamt B. an das Arbeitsamt E. stehe ihr die Vergütung nach dem MTA zu.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.159,70 DM brutto nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz gemäß § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, nach der Versetzung der Klägerin nach E. sei der für diesen Arbeitsort geltende MTA-O anzuwenden. Auf Arbeitsverhältnisse, die im Tarifgebiet Ost begründet worden seien, gelange trotz einer vorherigen Verwendung im Tarifgebiet West nach Rückkehr in den Tarifbereich Ost das dortige Tarifrecht zur Anwendung. Dies gelte auch für die im Tarifgebiet Ost ausgebildeten Arbeitnehmer, deren erste Verwendung im Angestelltenverhältnis in einer Dienststelle im Tarifgebiet West erfolgt und die später auf eigenen Wunsch auf eine Dienststelle im Tarifgebiet Ost versetzt würden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den sogn. "Ost-West-Ost-Rückkehrfällen" zutreffend angenommen, daß auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien trotz der Versetzung der Klägerin nach E. weiterhin der MTA und die ihn ergänzenden Tarifverträge anwendbar sind und die Klägerin demgemäß Zahlung der rechtzeitig geltend gemachten Vergütungsdifferenz verlangen kann.

1. Die Parteien haben die Geltung des MTA für die Zeit nach der Versetzung nach E. nicht arbeitsvertraglich vereinbart. Zwar haben sie in § 2 des Arbeitsvertrags vom die Geltung des MTA bestimmt. Diese Vereinbarung hat das Landesarbeitsgericht nicht als rechtsbegründend, sondern als deklaratorischen Hinweis auf die zum damaligen Zeitpunkt im Wege der Beschäftigung der Klägerin im Geltungsbereich des MTA geltende tarifliche Rechtslage ausgelegt. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die arbeitsvertragliche Verweisung auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis des öffentlichen Dienstes nur den Sinn hat, daß der Arbeitsvertrag das regeln soll, was nach allgemeinen Grundsätzen des Tarifrechts für tarifgebundene Angestellte gilt (vgl. - AP BAT § 23a Nr. 27, zu I 3 b der Gründe mwN; - 6 AZR 922/94 - BAGE 80, 152, 155; - 6 AZR 530/99 -, zu 2 der Gründe).

2. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt ungeachtet der Versetzung der Klägerin auf einen im Beitrittsgebiet gelegenen Arbeitsplatz der MTA kraft Tarifrechts. Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt das Arbeitsverhältnis nicht dem Geltungsbereich des MTA-O.

a) Nach § 1 Abs. 1 MTA-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit (BA), die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags (EV) genannten Gebiet begründet sind. Letztgenannte Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht. Sie übt zwar eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung bei der BA aus. Ihr Arbeitsverhältnis ist jedoch nicht im Beitrittsgebiet begründet worden.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 1 BAT-O und damit auch der gleichlautenden Tarifbestimmung des § 1 MTA-O ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben ( - BAGE 76, 57; - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend ( - BAGE 76, 57, 61 f.; - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108, 112; - 6 AZR 614/94 - BAGE 79, 215, 217; - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 327 f.; - 6 AZR 515/97 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2, zu II 1 a der Gründe und - 6 AZR 475/96 - BAGE 89, 202, 206). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich westlichen Tarifrechts beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit westliches Tarifrecht Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem östlichen Tarifrecht ( - BAGE 79, 224; - 6 AZR 151/95 - AP BAT-O § 1 Nr. 6 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 11, zu III 2 der Gründe; - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207, 209; - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 329; - 6 AZR 515/97 - aaO, zu II 1 c der Gründe).

bb) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der zwischen der Ausbildung im Beitrittsgebiet und dem Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien bestehende faktische Zusammenhang nicht zur Anwendbarkeit des MTA-O und damit auch nicht des Vergütungstarifvertrags Ost führt. Der MTA-O stellt seinem Wortlaut nach allein darauf ab, daß ein Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet wurde. Das einen Bezug zum Beitrittsgebiet aufweisende Rechtsverhältnis der Parteien vor der Versetzung in der Zeit vom bis zum war aber ein Ausbildungsverhältnis. Das steht einem Arbeitsverhältnis nicht gleich. Es entspricht allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, daß Tarifvertragsparteien bei der Verwendung eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, diesen Begriff auch in ihren Tarifverträgen in aller Regel in dieser allgemeinen juristischen Bedeutung verwenden wollten. Nach allgemeinem juristischen Sprachgebrauch ist ein Arbeitsverhältnis einem Ausbildungsverhältnis nicht gleichzusetzen. Das kommt wegen der ganz unterschiedlichen Pflichtenbindungen beider Vetragsverhältnisse nicht in Betracht ( - AP BBiG § 3 Nr. 7 = EzA BBiG § 16 Nr. 3). Inhalt des Arbeitsverhältnisses ist die Pflicht zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gegen Zahlung eines Entgelts. Demgegenüber ist der Auszubildende verpflichtet, sich ausbilden zu lassen, während die Hauptpflicht des Ausbilders nach § 6 BBiG darin besteht, dem Auszubildenden die für das Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Dementsprechend sind auch nach § 3 Abs. 2 BBiG auf das Berufsausbildungsverhältnis die für das Arbeitsverhältnis geltenden Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätze nur anzuwenden, soweit sich aus Wesen und Zweck des Ausbildungsverhältnisses und dem BBiG nichts anderes ergibt.

Auch tarifsystematische Gründe sprechen dagegen, das Ausbildungsverhältnis einem Arbeitsverhältnis iSd. § 1 MTA-O gleichzustellen. Im Bereich der Tarifverträge der öffentlichen Arbeitgeber wird zwischen Tarifverträgen, die für Arbeitnehmer gelten, und solchen, die für Auszubildende gelten, unterschieden. So richtete sich das Berufsausbildungsverhältnis der Klägerin gemäß § 3 des Berufsausbildungsvertrages nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Auszubildenden in der BA (TV-Auszubildende) vom und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie nach der Verordnung über die Berufsausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsförderung vom . Eine Gleichsetzung von Arbeitsverhältnis und Ausbildungsverhältnis liegt danach auch angesichts der unterschiedlichen tariflichen Regelungen im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der davon betroffenen Rechtsverhältnisse nicht nahe.

cc) Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des BAT-O. Nach der Rechtsprechung des Senats sollen die gegenüber dem BAT ungünstigeren Arbeitsbedingungen des BAT-O einen Anreiz dafür bieten, in dem von den Tarifvertragsparteien wirtschaftlich schwächer eingeschätzten Beitrittsgebiet Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. Deshalb gelten für Angestellte, die auf solchen Arbeitsplätzen beschäftigt werden, grundsätzlich die ungünstigeren Bedingungen des BAT-O. Eine Ausnahme gilt nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nur für Angestellte, die zunächst für eine Tätigkeit außerhalb des Beitrittsgebiets eingestellt wurden und die später auf Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet beschäftigt werden. Diese Angestellten unterfallen nicht dem Geltungsbereich des BAT-O, weil der Entstehungsgrund für ihre Arbeitsverhältnisse nicht im Beitrittsgebiet liegt. Für sie gelten die günstigeren Bedingungen des BAT weiter ( - EzBAT § 1 BAT Allg. Geltungsbereich Nr. 16). Damit haben die Tarifvertragsparteien verhindern wollen, daß Angestellte, deren Arbeitsverhältnisse ohne einen Bezug zum Beitrittsgebiet entstanden sind, bei einer Umsetzung oder Versetzung ins Beitrittsgebiet Arbeitsbedingungen hinzunehmen haben, die für sie ungünstiger sind und mit denen sie zuvor nicht rechnen mußten. Eines solchen Schutzes bedürfen aber auch diejenigen Angestellten, die nach dem Abschluß ihrer Ausbildung im Beitrittsgebiet mangels einer dortigen Verwendung erstmals ein Arbeitsverhältnis außerhalb des Beitrittsgebiets begründet haben und erst danach im Beitrittsgebiet eingesetzt werden. Auch sie haben sich von Beginn ihrer eigentlichen Berufstätigkeit an auf die günstigeren Tarifbedingungen des MTA eingestellt ohne zwingend mit einer dauerhaften Rückkehr ins Beitrittsgebiet rechnen zu müssen. Dementsprechend haben die Tarifvertragsparteien für die Fortgeltung der günstigeren Arbeitsbedingungen nicht jeden Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsverhältnis und der dafür notwendigen Ausbildung genügen lassen. Sie haben die Fortgeltung der günstigeren wie der ungünstigen Arbeitsbedingungen an die Identität der jeweiligen Rechtsverhältnisse geknüpft. Nicht der Ort der Ausbildung, sondern der Ort der erstmaligen Verwendung in einem Arbeitsverhältnis nach Abschluß der Ausbildung bestimmt die Tarifgeltung. Es ist danach unerheblich, daß die Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses und des nachfolgenden Arbeitsverhältnisses identisch sind. Eine solche Identität wird von der Tarifnorm des § 1 MTA-O nicht verlangt. Ebensowenig stellt der persönliche Geltungsbereich darauf ab, ob der Einsatz im Beitrittsgebiet auf Wunsch des Angestellten erfolgt. Die Begründung oder die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses im Beitrittsgebiet setzt stets eine Einigung der Vertragsparteien voraus. § 1 MTA-O bestimmt den persönlichen Geltungsbereich nicht danach, welche Partei die Initiative für eine Vereinbarung ergriffen hat, die zu einem Einsatz im Beitrittsgebiet führt.

b) Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Senats vom (- 6 AZR 530/99 - EzBAT § 1 BAT Allg. Geltungsbereich Nr. 16) nicht entgegen. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war der Kläger als ABM-Kraft zunächst für eine Tätigkeit als Arbeitnehmer im Beitrittsgebiet eingestellt worden. Daran schloß sich ohne zeitliche Unterbrechung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis im Tarifgebiet West an. Der Senat hat unter diesen Umständen den Schluß gezogen, daß auf dieses Arbeitsverhältnis nach Rückkehr des Arbeitnehmers in das Beitrittsgebiet die Vergütungstarifverträge Ost Anwendung finden, weil der Grund für die Entstehung dieses einheitlichen Arbeitsverhältnisses in der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und damit im Beitrittsgebiet lag. Vorliegend wurde aber kein Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begonnen, sondern es wurde dort ein Ausbildungsverhältnis absolviert. Das sich anschließende Arbeitsverhältnis wurde erst im Tarifgebiet West begründet.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 276 Nr. 5
UAAAB-94476

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