BAG Urteil v. - 6 AZR 217/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BAT § 70 Satz 1; BGB § 242; BGB § 812

Instanzenzug: ArbG Oberhausen 4 Ca 1769/03 vom LAG Düsseldorf 12 Sa 177/04 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung überzahlter Vergütung.

Die Beklagte ist seit 1975 bei dem klagenden Land als Schreibkraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Zum Ende des Erziehungsurlaubs der Beklagten vereinbarten die Parteien die Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 19,25 Stunden ab dem . Die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten und die Beklagte teilten dies dem Landesamt für Besoldung und Versorgung mit. Trotz ihrer verminderten Wochenarbeitszeit erhielt die Beklagte die für entsprechende vollbeschäftigte Angestellte festgelegte Vergütung. Am erlangte die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten Kenntnis von der Gehaltsüberzahlung. Sie unterrichtete am das für die Rückforderung der zuviel gezahlten Vergütung zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung. Dieses verlangte erstmals mit einem Schreiben vom von der Beklagten die Rückzahlung der überzahlten Vergütung. Es bezifferte in diesem Schreiben den Rückzahlungsbetrag auf ca. 300.000,00 DM und in einem weiteren Schreiben vom auf 118.879,39 Euro. Nachdem die Beklagte im Kündigungsrechtsstreit der Parteien mit Erfolg die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des klagenden Landes vom geltend gemacht hatte, rechnete das klagende Land seine nach August 2001 entstandenen Rückzahlungsansprüche gegen einen Vergütungsanspruch der Beklagten iHv. 4.862,52 Euro für die Zeit nach dem auf und verminderte den Rückforderungsbetrag auf 113.932,97 Euro.

Das klagende Land hat die Auffassung vertreten, sein Rückzahlungsanspruch wegen der Gehaltsüberzahlungen von Dezember 1990 bis August 2001 sei nicht verfallen. Die Beklagte berufe sich rechtsmißbräuchlich auf die tarifliche Ausschlussfrist des § 70 Satz 1 BAT. Sie habe die irrtümlichen Überzahlungen erkannt und es pflichtwidrig unterlassen, diese anzuzeigen.

Das klagende Land hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an das klagende Land 113.932,97 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, sie habe nicht bemerkt, dass dem klagenden Land bei den Gehaltszahlungen ein Irrtum unterlaufen sei, und hat gemeint, der Klageanspruch sei verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das klagende Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Beklagte beantragt, die Revision des klagenden Landes zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision des klagenden Landes hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist zur Rückzahlung der von Dezember 1990 bis August 2001 überzahlten Vergütung nicht verpflichtet.

I. Der Anspruch des klagenden Landes aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB auf Rückzahlung der von der Beklagten im Anspruchszeitraum ohne rechtlichen Grund erlangten Vergütung ist gemäß § 70 Satz 1 BAT erloschen.

1. Nach dieser Tarifbestimmung verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütung sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und unterliegen der Ausschlussfrist des § 70 BAT (st. Rspr., vgl. - AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 174, zu I 4 a der Gründe; - 5 AZR 374/99 - BAGE 98, 25, 32; - 6 AZR 912/94 - BAGE 80, 144, 148; - 6 AZR 334/91 - BAGE 72, 290, 296; - 6 AZR 114/88 - BAGE 63, 246, 252).

a) Berechnet der Arbeitgeber die Vergütung fehlerhaft, obwohl ihm die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, entsteht sein Rückzahlungsanspruch bei überzahlter Vergütung im Zeitpunkt der Überzahlung und wird auch zugleich fällig ( - AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 174, zu I 4 b aa der Gründe). Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es in einem solchen Fall nicht an. Sind dem Arbeitgeber die Grundlagen der Berechnung bekannt, fallen Fehler bei der Berechnung der Vergütung regelmäßig in seine Sphäre, weil sie von ihm eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können als vom Empfänger der Leistung (st. Rspr., - aaO, zu I 4 b aa der Gründe; - 6 AZR 912/94 - BAGE 80, 144, 149; - 6 AZR 114/88 - BAGE 63, 246, 253).

b) Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Arbeitgeber die Überzahlung nicht erkennen kann, weil die Fehler bei der Berechnung der Vergütung in die Sphäre des Arbeitnehmers fallen. Teilt dieser Änderungen in seinen persönlichen Verhältnissen, die sich auf die Höhe der Vergütung auswirken, dem Arbeitgeber nicht mit, wird der Rückzahlungsanspruch erst dann fällig, wenn der Arbeitgeber von den rechtsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt ( - AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 174, zu I 4 b bb der Gründe; - 5 AZR 407/93 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 127 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 106, zu II 3 b der Gründe; - 6 AZR 114/88 - BAGE 63, 246, 254).

c) An diesen Grundsätzen gemessen ist der Anspruch des klagenden Landes auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung im Anspruchszeitraum anteilig mit der jeweiligen Gehaltszahlung am 15. der Monate Dezember 1990 bis August 2001 (§ 36 Abs. 1 BAT in der bis zum geltenden Fassung) entstanden und fällig geworden. Der Fehler bei der Berechnung des Gehalts der Beklagten fiel in die Sphäre des klagenden Landes. Diesem war die ab dem verminderte Wochenarbeitszeit bekannt, die es selbst mit der Beklagten vereinbart hat. Auch das für die Berechnung und Zahlung des Gehalts zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung hatte davon Kenntnis. Sowohl die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten als auch die Beklagte haben diesem Amt mit Schreiben vom und die Herabsetzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 19,25 Stunden angezeigt.

2. Den im Anspruchszeitraum anteilig mit der jeweiligen Gehaltszahlung am 15. des Kalendermonats entstandenen und fällig gewordenen Rückzahlungsansprüchen steht die tarifliche Ausschlussfrist des § 70 Satz 1 BAT entgegen. Das klagende Land hat von der Beklagten erstmals mit seinem Schreiben vom schriftlich die Rückzahlung der überzahlten Vergütung verlangt. Die tarifliche Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit zur schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs ist damit für die vor dem fällig gewordenen Rückzahlungsansprüche nicht gewahrt.

II. Entgegen der Auffassung des klagenden Landes verstößt der Verfall des Klageanspruchs nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Beklagte beruft sich nicht rechtsmissbräuchlich auf den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist (§ 70 Satz 1 BAT).

1. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, eine Korrektur der Verfallwirkung einer tariflichen Ausschlussfrist gemäß § 242 BGB komme nicht in Betracht, weil eine solche Korrektur auf eine unzulässige Billigkeitskontrolle von Tarifnormen hinauslaufe. Aus § 242 BGB ist der für den gesamten Rechtsverkehr geltende Grundsatz zu entnehmen, dass jedermann in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat (Palandt/Heinrichs BGB 64. Aufl. § 242 Rn. 1 und 16 mwN). Der Arbeitgeber kann deshalb auch dem Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begegnen, wenn der Arbeitnehmer ihn durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten oder es pflichtwidrig unterlassen hat, ihm Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten ( - BAGE 98, 25, 32; - 6 AZR 912/94 - BAGE 80, 144, 150). Eine solche pflichtwidrige Unterlassung ist in der Regel anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer erkennt, dass seinem Arbeitgeber bei der Berechnung der Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, und er diese nicht anzeigt ( - aaO; - 6 AZR 912/94 - aaO; - 4 AZR 443/78 - AP BAT § 70 Nr. 7). Zwar ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, eine vom Arbeitgeber erstellte Vergütungsabrechnung zu überprüfen. Erhält er jedoch eine erhebliche Mehrzahlung, die er sich nicht erklären kann, hat er diese dem Arbeitgeber mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Prüfung und eventuellen Berichtigung zu geben. Das folgt aus seiner Pflicht, dem Arbeitgeber drohende Schäden anzuzeigen ( - aaO).

2. Die Voraussetzungen einer unzulässigen Rechtsausübung sind nicht erfüllt.

a) Die Beklagte hat das klagende Land nicht durch aktives Handeln an der Einhaltung der tariflichen Ausschlussfrist gehindert. Sie hat dem Landesamt für Besoldung und Versorgung die Herabsetzung ihrer Wochenarbeitszeit auf 19,25 Stunden im Oktober 1990 selbst mitgeteilt und auch danach den Umfang ihrer verminderten wöchentlichen Arbeitszeit stets zutreffend angegeben.

b) Die Frage, ob die Beklagte erkannt hat, dass das klagende Land ihr irrtümlich die für entsprechende vollbeschäftigte Angestellte festgelegte Vergütung gezahlt hat, und sie deshalb die Überzahlungen dem klagenden Land anzeigen musste, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Das kann zu Gunsten des klagenden Landes unterstellt werden. Die Beklagte beriefe sich dennoch nicht rechtsmissbräuchlich auf den Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist.

aa) Erkennt der Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber ihm irrtümlich eine zu hohe Vergütung zahlt, beruht der Vorwurf einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf den Verfall des Rückzahlungsanspruchs darauf, dass der Arbeitnehmer in Kenntnis des Irrtums des Arbeitgebers diesem Informationen vorenthalten hat, die zu einer Entdeckung des Irrtums geführt und dem Arbeitgeber die Wahrung der Ausschlussfrist bei der Rückforderung der überzahlten Vergütung ermöglicht hätten ( - BAGE 98, 25, 33). Die Berücksichtigung eines solchen Rechtsmissbrauchs durch den Arbeitnehmer setzt damit voraus, dass das pflichtwidrige Unterlassen des Arbeitnehmers für das Untätigbleiben des Arbeitgebers kausal ist. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber dem Ablauf einer Ausschlussfrist steht dem Verfall des Rückzahlungsanspruchs daher nur solange entgegen, wie der Arbeitgeber auf Grund des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Arbeitnehmers von der Einhaltung der Ausschlussfrist abgehalten wird ( - AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 162, zu II 2 c der Gründe). Hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber pflichtwidrig Vergütungsüberzahlungen nicht angezeigt und der Arbeitgeber deshalb seinen Rückzahlungsanspruch nicht innerhalb einer Ausschlussfrist geltend gemacht, fällt der Einwand des Rechtsmissbrauchs weg, wenn der Arbeitgeber anderweitig vom Überzahlungstatbestand Kenntnis erhält. Entgegen der Auffassung des klagenden Landes läuft nicht eine neue Ausschlussfrist. Vielmehr muss der Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seinen Rückzahlungsanspruch innerhalb einer kurzen, nach den Umständen des Falles sowie Treu und Glauben zu bestimmenden Frist in der nach dem Tarifvertrag gebotenen Form geltend machen ( - 8 AZR 236/02 - AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 162, zu II 2 c der Gründe; - 8 AZR 8/02 - BAGE 103, 71, 80; - 5 AZR 374/99 - BAGE 98, 25, 34; - 2 AZR 46/86 - zu II 4 b der Gründe; - 5 AZR 208/70 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 46 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 3; vgl. auch Reinecke in Festschrift Schaub S. 602).

bb) Bei einer von der Beklagten pflichtwidrig unterlassenen Anzeige der Gehaltsüberzahlungen hätte das klagende Land seine Rückzahlungsansprüche nicht innerhalb kurzer Frist geltend gemacht.

(1) Die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten erlangte am Kenntnis von den Überzahlungen. Dieses Wissen seiner Dienststelle muss sich das klagende Land zurechnen lassen (vgl. - BAGE 98, 25, 34 mwN). Es ist längere Zeit untätig geblieben und hat erst nach deutlich mehr als vier Monaten von der Beklagten mit einem Schreiben vom die Rückzahlung der überzahlten Vergütung verlangt. Selbst wenn es entsprechend der Ansicht des klagenden Landes für den Beginn der einzuhaltenden kurzen Frist zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs nicht auf die Kenntnis der Beschäftigungsdienststelle der Beklagten, sondern auf die des für die Rückforderung zuständigen Landesamtes für Besoldung und Versorgung ankäme, wäre der Rückzahlungsanspruch nach weit mehr als zwei Monaten auch nicht innerhalb kurzer Frist erhoben worden. Die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten hatte dem Landesamt bereits am die Überzahlungen angezeigt.

(2) Gründe, die einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten bis zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs sachlich rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Das klagende Land musste den überzahlten Betrag zur Einhaltung der kurzen Frist nicht ermitteln. Es hat den Rückforderungsbetrag im Schreiben vom mit "ca. 300.000,00 DM" auch nur annähernd angegeben. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung des klagenden Landes begründen Größe und Aufgabenstellung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung keine Verlängerung der einzuhaltenden kurzen Frist. Größe und Aufgabenstellung des Landesamtes sind ohne Bedeutung dafür, dass die Beschäftigungsdienststelle der Beklagten die Gehaltsüberzahlungen diesem Amt erst nach zwei Monaten angezeigt hat, und sind für die einzuhaltende kurze Frist nicht maßgebend. Es oblag dem klagenden Land, das für die Rückforderung der von ihm irrtümlich überzahlten Vergütung zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung so auszustatten und zu organisieren, dass es ungeachtet seiner Größe seine Aufgaben erfüllen und dabei einzuhaltende Fristen wahren konnte.

Fundstelle(n):
DB 2005 S. 1172 Nr. 21
EWiR 2005 S. 557 Nr. 14
NZA 2005 S. 812 Nr. 14
ZAAAB-94444

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