BAG Urteil v. - 5 AZR 560/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 611; BGB § 242; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug: LAG Hamm 16 Sa 1457/02 vom ArbG Paderborn 1 Ca 831/02 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin weiterhin in Dauernachtschicht zu beschäftigen.

Die Klägerin ist seit 1990 als Maschinenbedienerin im Betrieb der Beklagten tätig. Seit der Produktionsbereich im Jahre 1992 auf den Drei-Schicht-Betrieb umgestellt worden ist, wird die Klägerin ausschließlich in der Dauernachtschicht beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom ist Folgendes vereinbart:

"...

§ 2

Die Beschäftigung erfolgt entsprechend den jeweiligen Betriebserfordernissen im 1- oder im 2- oder im 3-Schicht-System. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die in der 5-seitigen Anlage dieses Arbeitsvertrages geregelte Arbeitszeit einzuhalten. Die Anlage ist ausdrücklich Vertragsbestandteil.

..."

In der im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Anlage sind die Arbeitszeiten der einzelnen Schichten für das Ein-, Zwei- und Drei-Schicht-System genannt.

Im Produktionsbereich, in dem die Klägerin eingesetzt wird, werden etwa 120 Mitarbeiter beschäftigt, davon 14 ausschließlich in der Nachtschicht. Letztere erhalten ein um bis zu 400,00 Euro höheres Arbeitsentgelt.

Durch Einigungsstellenspruch vom wurden die Arbeitszeiten für die drei Schichtsysteme neu geregelt. § 2 Ziff. 1 des Spruchs lautet:

"Die Beschäftigung erfolgt entsprechend den jeweiligen Betriebserfordernissen im 1- oder im 2- oder im 3-Schicht-System.

Bei Wechsel der Schichtsysteme ist der Arbeitnehmer zur Tätigkeit in einem geänderten Schichtsystem nur unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von vier Kalendertagen verpflichtet. Dem Betriebsrat ist mit einem Vorlauf von vier Kalendertagen Kenntnis von der Änderung des Schichtsystems zu geben."

Unter Ziff. 2.2 des Einigungsstellenspruchs ist die Arbeitszeit im Ein-, Zwei- oder im Drei-Schicht-System im Einzelnen geregelt. Für die Wochentage Montag bis Freitag ist der jeweilige Arbeitsbeginn und das entsprechende Arbeitsende jeder Schicht festgelegt.

Nach In-Kraft-Treten dieses Spruchs am wies die Beklagte die in Dauernachtschicht tätigen Arbeitnehmer an, ab dem im Drei-Schicht-System zu arbeiten. Die Beklagte beteiligte den Betriebsrat an dieser konkreten Maßnahme nicht.

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihre Arbeitspflicht habe sich auf die Dauernachtschicht konkretisiert. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei durch den Spruch der Einigungsstelle nicht gewahrt. Die Änderung der Einsatzzeiten sei sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Klägerin hat in der Revision beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, sie weiterhin in der Dauernachtschicht zu beschäftigen;

hilfsweise

festzustellen, dass die Umsetzung der Klägerin durch die Beklagte vom in die Wechselschicht rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, eine Konkretisierung auf eine Tätigkeit in Dauernachtschicht sei nicht eingetreten. Eine entsprechende Zusage sei der Klägerin nicht erteilt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab dem weiterhin in der Dauernachtschicht zu beschäftigen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Anweisung, ab im Drei-Schicht-System zu arbeiten, war unwirksam. Eine Konkretisierung der Arbeitspflicht auf die Nachtzeit ist zwar nicht eingetreten. Die Zuweisung der Wechselschichtarbeit ist jedoch unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG erfolgt und deshalb unwirksam.

I. Die Beklagte war nach dem Arbeitsvertrag vom individualrechtlich berechtigt, die Klägerin auch im Drei-Schicht-System einzusetzen.

1. Im Arbeitsvertrag ist eine Beschränkung der Arbeitszeit der Klägerin auf die Nachtschicht nicht vereinbart worden. Nach § 2 des Arbeitsvertrags erfolgt die Beschäftigung vielmehr nach den jeweiligen Betriebserfordernissen im Ein-, Zwei- oder Drei-Schicht-System.

2. Die Lage der täglichen Arbeitszeit der Klägerin hat sich nicht auf die ausschließliche Beschäftigung in der Nachtschicht konkretisiert. Dazu genügt nicht schon der bloße Zeitablauf. Allein daraus, dass eine betriebliche Regelung hinsichtlich der Zeit der Arbeitsleistung über einen längeren Zeitraum hinweg beibehalten wird, kann ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den Willen des Arbeitgebers schließen, diese Regelung auch künftig unverändert beizubehalten (Senat - 5 AZR 1032/94 - PersR 1997, 179, zu II 2 e aa der Gründe; - 5 AZR 6/91 -, zu II 2 der Gründe; - 5 AZR 802/94 - AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 9 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 33, zu II 2 c der Gründe; - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 61 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 23; - 1 AZR 57/92 - AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 1). Besondere Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitnehmer nicht in anderer Weise eingesetzt werden sollte, liegen hier nicht vor. Nach den von der Klägerin nicht mit Gegenrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte die Klägerin aus der von ihr behaupteten Ankündigung des Betriebsleiters bei Abschluss des Arbeitsvertrags vom , die Klägerin weiterhin in der Nachtschicht einzusetzen, nicht darauf schließen, die Beklagte werde diese Regelung künftig unverändert beibehalten. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, aus dem Abschluss des anderslautenden Arbeitsvertrags ergebe sich, dass sich die Beklagte das Recht, einen Wechsel der Schicht anordnen zu können, vorbehalten wollte.

II. Die Zuweisung der Wechselschichttätigkeit verstößt jedoch gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und ist daher unwirksam.

1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage.

a) Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage der Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien Zeit für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Geltung zu bringen. Danach erfasst das Mitbestimmungsrecht nicht nur die Frage, ob im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten und die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit zu leisten hat. Mitbestimmungspflichtig ist auch der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten ( - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65). Der Betriebsrat hat ferner darüber mitzubestimmen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise von bereits aufgestellten Schichtplänen abgewichen werden kann. Dies gilt insbesondere bei Schichtumsetzungen ( - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 103 = EzA BetrVG 2001 § 87 Arbeitszeit Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Betriebsparteien sind frei in der Entscheidung, ob sie sich auf eine Regelung über die Grundsätze der Schichtplanung beschränken, oder ob sie jeden einzelnen Schichtplan selbst aufstellen wollen ( - BAGE 61, 305). Begnügen sie sich mit der Regelung von Kriterien und Grundsätzen, ist es zulässig, die Aufstellung von Einzelschichtplänen nach diesen Vorgaben dem Arbeitgeber zu überlassen ( - aaO; - 1 ABR 11/85 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 20 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 20).

b) Wird das Mitbestimmungsrecht durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung ausgeübt, kann diese vorsehen, dass der Arbeitgeber unter bestimmten - in der Betriebsvereinbarung geregelten - Voraussetzungen eine Maßnahme allein treffen kann. Durch eine solche Regelung darf das Mitbestimmungsrecht allerdings nicht in seiner Substanz beeinträchtigt werden ( - AP BetrVG 1972 § 87 Provision Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 87 Leistungslohn Nr. 16). Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht deshalb nicht in der Weise ausüben, dass er dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet ( - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 80 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 60; - 1 ABR 12/98 - BAGE 90, 194, 202).

2. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte durch den Spruch der Einigungsstelle das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Einführung des Drei-Schicht-Systems für alle Arbeitnehmer im Produktionsbereich nicht gewahrt. Hierdurch sind weder einzelne, konkrete Schichtpläne für bestimmte Zeitabschnitte erstellt worden, noch Kriterien und Grundsätze für die Aufstellung künftiger Schichtpläne vereinbart worden. Der Spruch der Einigungsstelle beschränkt sich vielmehr auf die Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit beim Ein-, Zwei- und Drei-Schicht-System sowie die Bestimmung einer Ankündigungsfrist von vier Kalendertagen bei einem Schichtwechsel, ohne die Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten sowie die Voraussetzungen, unter denen Schichtumsetzungen erfolgen können, auch nur rahmenmäßig zu regeln. Damit soll der Beklagten die alleinige Befugnis zustehen, über die sachlichen Voraussetzungen für die Einführung und Änderung der Schichtarbeit sowie die Zuweisung der Arbeitnehmer in die Schichtsysteme zu entscheiden. Da in dem Einigungsstellenspruch hierzu keine allgemeinen Grundsätze und Kriterien enthalten sind, ist durch den Einigungsstellenspruch das Mitbestimmungsrecht zur Einführung der Wechselschicht noch nicht vollständig ausgeübt worden. Die Beklagte hätte den Betriebsrat vor der Einführung des Drei-Schicht-Systems nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG um Zustimmung zum Schichtwechsel ersuchen müssen. Nachdem dies unterblieben ist, ist die Weisung der Beklagten, die Klägerin solle ab dem in Wechselschicht arbeiten, unwirksam. Die Klägerin kann deshalb Beschäftigung wie bisher verlangen, solange nicht eine wirksame anders lautende Weisung erfolgt ist. Ob die Weisung billigem Ermessen nach § 315 Abs. 1 BGB entsprach, bedurfte keiner Entscheidung.

III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
ZAAAB-94363

1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein