BAG Urteil v. - 5 AZR 430/00

Leitsatz

[1] Die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes werden nicht dadurch berührt (§ 12 EFZG), daß Ansprüche kraft einer tariflichen Ausschlußfrist nach Ablauf bestimmter Fristen erlöschen.

Gesetze: EFZG § 3; EFZG § 4; EFZG § 12; Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe des Landes Schleswig-Holstein vom § 14

Instanzenzug: ArbG Lübeck 1 Ca 1920/99 LAG Schleswig-Holstein 2 Sa 113/00

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine sechswöchige Entgeltfortzahlung.

Die Klägerin war seit dem als Beiköchin in dem Restaurationsbetrieb des Beklagten zu einem Monatslohn von 2.186,00 DM brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe des Landes Schleswig-Holstein vom , geändert mit Wirkung ab (MTV) Anwendung. Seit dem war die Klägerin durchgehend bis mindestens zum Jahresende arbeitsunfähig krank. Sie hat das Arbeitsverhältnis nach der Behauptung des Beklagten am selbst gekündigt. Jedenfalls schied sie auf Grund einer vorsorglichen Kündigung des Beklagten vom spätestens zum aus dem Betrieb aus.

Mit der am beim Arbeitsgericht eingereichten und dem Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin zunächst beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch arbeitnehmerseitige Kündigung aufgelöst worden sei, sondern fortbestehe. Sie hat dann auf Grund eines gerichtlichen Hinweises die Klage mit Schriftsatz vom (bei Gericht eingegangen am , dem Beklagten zugestellt am ) geändert und Entgeltfortzahlung in Höhe von 1.300,00 DM für die Zeit vom bis zum begehrt. Mit Schriftsatz vom (bei Gericht eingereicht am , dem Beklagten zugestellt am ) hat sie geltend gemacht, der Beklagte habe aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gekündigt, und die Klage auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen ab dem in Höhe von 3.029,10 DM erweitert.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 3.029,10 DM brutto nebst 10 % Zinsen hieraus seit dem zu verurteilen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Anspruch sei wegen der Kündigung der Klägerin schon gar nicht entstanden. Jedenfalls sei er auf Grund der Ausschlußfrist des MTV erloschen.

Demgegenüber hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe nicht gekündigt. Die Ausschlußfrist sei durch die rechtzeitig erhobene Feststellungsklage gewahrt, der Klageänderung komme Rückwirkung zu. Der gesetzliche Entgeltfortzahlungsanspruch unterliege im übrigen nicht der tariflichen Ausschlußfrist; jedenfalls stehe seine Unabdingbarkeit einem Verfall entgegen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren zuletzt gestellten Zahlungsantrag unverändert weiter.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin kann keine Zahlung von dem Beklagten verlangen.

1. Zugunsten der Klägerin kann unterstellt werden, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien erst durch die Kündigung des Beklagten vom mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 12 Ziff. 1 a) MTV zum geendet hat und daß der Beklagte aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit (§ 8 EFZG) gekündigt hat. Die Klägerin hätte dann gem. § 8 Ziff. 2.1 MTV und der Protokollnotiz vom hierzu sowie gemäß den §§ 3, 4 EFZG einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit im Anschluß an die vierwöchige Wartezeit (also vom bis zum , § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 BGB) in der unstreitigen Höhe von 3.029,10 DM brutto erworben (vgl. - BAGE 91, 370).

2. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist der Anspruch jedenfalls erloschen.

a) Der MTV enthält folgende Regelung:

"§ 14

Ausschlußfristen

1. Forderungen aus angeblich falscher Tarifeinstufung, unzutreffender Entlohnung und auf Bezahlung von Überstunden und Zuschlägen erlöschen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Alle übrigen Ansprüche erlöschen 3 Monate nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb.

Die Geltendmachung muß während oben genannter Fristen gerichtlich erfolgen.

Mitglieder der Tarifvertragsparteien können ihre Ansprüche innerhalb der gleichen Fristen auch über die Tarifvertragsparteien oder deren Bevollmächtigte schriftlich geltend machen."

b) Die etwaigen Entgeltfortzahlungsansprüche der Klägerin unterlagen der Ausschlußfrist des § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV.

aa) Bei der streitigen Entgeltfortzahlung handelt es sich nicht um falsche Tarifeinstufung, unzutreffende Entlohnung oder Überstunden und Zuschläge im Sinne von § 14 Ziff. 1 Satz 1 MTV. § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV erfaßt "alle übrigen Ansprüche". Das sind jedenfalls alle Ansprüche aus dem MTV und mit ihnen konkurrierende gesetzliche Ansprüche. Ob darüber hinaus auch einzelvertragliche Ansprüche oder allein auf Gesetz beruhende Ansprüche gemeint sind, kann dahinstehen.

bb) § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV erfaßt den Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 8 Ziff. 2.1 MTV bzw. gemäß der Protokollnotiz zu dieser Bestimmung vom . Die Tarifvertragsparteien haben hier einen tariflichen Anspruch zur Entgeltfortzahlung begründet, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. In § 1 Abs. 1 Satz 1 der Protokollnotiz heißt es, unbeschadet der bestehenden gesetzlichen Regelungen werde vereinbart, daß für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Arbeitnehmerinnen das für die maßgebende Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen ist. Schon der Wortlaut macht deutlich, daß damit eine tarifliche Grundlage für die Entgeltfortzahlung vorliegt (vgl. auch - nv., zu II 2 der Gründe, zu § 8 Ziff. 2.1 MTV vor Inkrafttreten der Protokollnotiz vom ). Zudem hat der Entgeltfortzahlungsanspruch wie die früheren Lohn- und Gehaltsfortzahlungsansprüche trotz des abweichenden Wortlauts von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG keinen selbständigen Vergütungscharakter (vgl. § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG). Er ist der während der Arbeitsunfähigkeit aufrecht erhaltene Vergütungsanspruch und teilt dessen rechtliches Schicksal (vgl. - BAGE 24, 1, 6; - 5 AZR 226/73 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 53, zu 2 der Gründe; - 5 AZR 955/78 - AP LohnFG § 6 Nr. 12 = EzA LohnFG § 9 Nr. 6, zu II 3 a der Gründe; Schmitt EFZG 4. Aufl. § 3 Rn. 157 ff., 163; Dunkl in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge EFZG 5. Aufl. § 3 Rn. 184 ff., 190; Vossen Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen Rn. 603; ErfK/Dörner 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 100; Brecht Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall 2. Aufl. § 3 Rn. 40; Müller/Berenz 3. Aufl. § 3 EFZG Rn. 79 ff., 83, alle mwN; vgl. auch Kunz/Wedde § 3 EFZG Rn. 19 ff., 22; Worzalla/Süllwald 2. Aufl. § 3 EFZG Rn. 1). Wenn die Tarifvertragsparteien den Vergütungsanspruch tariflich geregelt haben, handelt es sich bei der tariflich vorgesehenen Verpflichtung zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts ebenfalls um einen tariflichen Anspruch, der ebenso wie der Vergütungsanspruch der Ausschlußklausel unterliegt. Einer Auslegung des § 14 MTV, die Tarifvertragsparteien hätten die Obliegenheit zur Geltendmachung und das Erlöschen nur für tarifliche Ansprüche vorgesehen und den inhaltsgleichen gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch unberührt lassen wollen, steht der eindeutige Zweck der tariflichen Ausschlußfrist entgegen.

cc) § 12 EFZG steht der Anwendung der tariflichen Ausschlußfrist auf den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht entgegen.

Nach § 12 EFZG kann abgesehen von § 4 Abs. 4 von den Vorschriften des EFZG nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Fristen für die Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen stellen keine Abweichung vom EFZG dar. Die Ansprüche sind weder gesetzlich befristet noch ausdrücklich unbefristet. Die Vorschriften des EFZG werden deshalb nicht dadurch berührt, daß Ansprüche kraft einer tariflichen Ausschlußfrist nach Ablauf bestimmter Fristen erlöschen. Die Ausschlußfrist betrifft eben nicht den Inhalt des Anspruchs, sondern dessen Geltendmachung und zeitliche Begrenzung (vgl. - BAGE 13, 57, 59; Hold in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge aaO § 12 Rn. 38; Vossen aaO Rn. 605; im Ergebnis auch Gola 2. Aufl. § 12 EFZG Anm. 3.3). Von dieser Rechtslage ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nach 1962 stets ausgegangen, ohne die Frage erneut zu problematisieren (vgl. - 5 AZR 21/73 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 52; aaO; - 5 AZR 425/80 - BAGE 44, 337; vgl. ferner - 5 AZR 447/94 - BAGE 81, 317). Für § 12 EFZG kann nichts anderes gelten als für den früheren § 9 LohnFG.

Die Anwendung von § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV auf Entgeltfortzahlungsansprüche unterliegt darüber hinaus deshalb keinen Bedenken, weil die Verfallklausel nur rückständige Ansprüche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses betrifft. Auf bereits entstandene Entgeltfortzahlungsansprüche kann der Arbeitnehmer nach beendetem Arbeitsverhältnis aber sogar verzichten ( - AP LohnFG § 9 Nr. 2 = EzA LohnFG § 9 Nr. 4; - 5 AZR 218/78 - AP LohnFG § 6 Nr. 11 = EzA LohnFG § 6 Nr. 14, zu III 2 a der Gründe; - 5 AZR 955/78 - AP LohnFG § 6 Nr. 12 = EzA LohnFG § 9 Nr. 6, zu II 2 der Gründe; Schmitt aaO § 12 EFZG Rn. 14 ff., 21 mwN).

c) Die Klägerin hat eine Verletzung der Nachweispflicht gemäß § 2 NachwG nicht behauptet. Deswegen ist eine Anwendung der Verfallklausel nicht ausgeschlossen und es bedarf keiner Entscheidung, welche Pflicht den Arbeitgeber insoweit speziell im Hinblick auf tarifliche Ausschlußfristen trifft und welche Rechtsfolgen die etwaige Pflichtverletzung nach sich zieht.

d) Die Klägerin hat die Ausschlußfrist des § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV nicht gewahrt.

aa) Die Klägerin hat ihre Ansprüche nicht nach § 14 Ziff. 1 Abs. 3 MTV schriftlich geltend gemacht.

bb) Eine gerichtliche Geltendmachung gem. § 14 Ziff. 1 Abs. 2 MTV ist nicht durch die Klageerhebung vom erfolgt. Bestimmt eine tarifliche Ausschlußklausel, daß Zahlungsansprüche innerhalb bestimmter Fristen gerichtlich geltend gemacht werden müssen, so genügt dem nur die fristgerechte Zahlungsklage. Eine Feststellungsklage, die nur einzelne Vorfragen klärt, aber mögliche weitere Streitfragen nicht zur Entscheidung stellt, wahrt die Frist nicht ( - BAGE 30, 135, 138; - 3 AZR 472/77 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 66 = EzA § 4 Ausschlußfristen Nr. 38, zu 2 b der Gründe). Das stellt auch die Revision nicht in Abrede.

Die Klägerin hat mit der Klageerhebung am keinen Zahlungsanspruch geltend gemacht. Die begehrte Feststellung diente sogar erklärtermaßen nur der Sicherung des Anspruchs auf Krankengeld gegen die Krankenkasse.

cc) Die Klageänderung mit Schriftsatz vom wirkt nicht als Geltendmachung zurück. Für die von der Klägerin vertretene Rückwirkung gibt es keine Rechtsgrundlage. Dasselbe gilt für die Klageerweiterung mit Schriftsatz vom . Die Rechtshängigkeit tritt bei nachträglich erhobenen Ansprüchen gem. § 261 Abs. 2 ZPO erst mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechender Schriftsatz zugestellt wird (vgl. Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 261 Rn. 3, § 263 Rn. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 59. Aufl. § 261 Rn. 21; Zöller/Greger ZPO 22. Aufl. § 261 Rn. 6, § 263 Rn. 16; MünchKommZPO-Lüke § 261 Rn. 31 ff.). Für die gerichtliche Geltendmachung ist § 270 Abs. 3 ZPO anwendbar. Eine darüber hinausgehende Rückwirkung würde den Zweck der Vorschrift, die eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen verlangt, jedoch verfehlen; "irgendeine" Klageerhebung, auch wenn sie mit der Forderung in einem gewissen Zusammenhang steht, kann nicht genügen, weil gerade die Forderung geltend zu machen ist. Ob derselbe Prozeß nach der Klageänderung fortgeführt wird, ist entgegen der Auffassung der Revision unerheblich. Dementsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht in dem zitierten Urteil vom eine gerichtliche Geltendmachung erst mit der Klageänderung angenommen (aaO, zu 2 b der Gründe).

dd) Ist die Klägerin am aus dem Betrieb ausgeschieden, hätte sie jedenfalls die bis dahin fälligen Ansprüche bis einschließlich gerichtlich geltend machen müssen. Das betraf die Entgeltfortzahlungsansprüche für Mai und Juni 1999, die gem. § 5 Ziff. 1 Abs. 3 MTV am 31. Mai bzw. fällig wurden. Die gerichtliche Geltendmachung ist aber erst am und hier auch nur zum Teil erfolgt.

ee) Es bedarf keiner Entscheidung, ob ein am fällig gewordener Anspruch für Juli 1999 ebenfalls innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb geltend gemacht werden mußte. Die Ausschlußfrist kann in Fällen der vorliegenden Art nicht stets vor Fälligkeit des Anspruchs zu laufen beginnen; das würde die eingeräumte Überlegungsfrist, die auch dem Versuch einer anderweitigen Klärung zu dienen hat, vielfach unangemessen verkürzen. Geltend zu machen sind eben nur fällige Forderungen. Andererseits ist nicht anzunehmen, die Tarifvertragsparteien hätten nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb fällig werdende Ansprüche überhaupt keiner Ausschlußfrist unterwerfen wollen; einer solchen Annahme steht der Wortlaut der Norm und der deutlich zum Ausdruck kommende Zweck entgegen, "alle" Ansprüche nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb einer raschen Klärung zuzuführen. Scheidet der Arbeitnehmer während des vereinbarten Vergütungszeitraums aus dem Betrieb aus und wird der Restlohn erst am Monatsschluß fällig, dürfte die Auslegung nach dem Wortlaut des § 14 Ziff. 1 Satz 2 MTV vorzuziehen sein. In anderen Fällen, die von den Tarifvertragsparteien möglicherweise nicht ausreichend bedacht worden sind, entspricht es dem Zusammenhang mit § 14 Ziff. 1 Satz 1 MTV und dem Zweck der Vorschrift, die Dreimonatsfrist bis zur Fälligkeit des Anspruchs als gehemmt anzusehen und ihren Beginn erst ab Fälligkeit anzunehmen. Das mag auch für den Streitfall gelten. In jedem Falle hätte danach die gerichtliche Geltendmachung durch die Klägerin spätestens am erfolgen müssen. Die Klageerweiterung im Dezember war verspätet.

3. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 1102 Nr. 21
BB 2002 S. 947 Nr. 18
DB 2002 S. 797 Nr. 15
UAAAB-94330

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