BAG Urteil v. - 2 AZR 96/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 15 Abs. 3a; KSchG § 15 Abs. 4

Instanzenzug: ArbG Bayreuth 5 Ca 1143/02 vom LAG Nürnberg 5 Sa 607/03 vom

Tatbestand

Der Kläger macht die Unwirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Kündigung geltend.

Der Kläger trat 1980 in die Dienste der Beklagten, die in mehreren süddeutschen Städten Modehäuser betreibt. Er war zuletzt Leiter der Dekorationsabteilung in B.

Die Beklagte entschloss sich im Juli 2002, ua. das Modehaus in B zum zu schließen.

In B bestand zunächst kein Betriebsrat. Am lud der Kläger zu einer Betriebsversammlung mit dem Ziel der Wahl eines Betriebsrates ein. Das Ergebnis der Betriebsratswahlen wurde im Oktober 2002 bekannt gegeben. Der Kläger wurde zum Mitglied des Betriebsrates und von diesem zum Vorsitzenden gewählt. Zuvor hatte die Beklagte mit Schreiben vom , das dem Kläger am zuging, das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum gekündigt.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil § 15 Abs. 3a KSchG die ordentliche Kündigung gegenüber Wahlinitiatoren ausnahmslos verbiete und auch nicht für den Fall der Betriebsstilllegung (§ 15 Abs. 4 KSchG) zulasse. Sehe man dies anders, so sei die Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG unwirksam, weil das Modehaus in B kein eigenständiger Betrieb, sondern nur eine Betriebsabteilung sei. Die Beklagte habe den Kläger in eine andere Betriebsabteilung - zB in das Modehaus in L - übernehmen müssen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom zum nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Kündigung für wirksam. Die Vorschriften des § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG müssten trotz fehlender ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers auch auf Wahlinitiatoren nach § 15 Abs. 3a KSchG angewandt werden. Ansonsten würden Wahlinitiatoren besser geschützt als die übrigen Mandatsträger. Da es sich bei dem Modehaus in B um einen Betrieb, nicht aber um eine Betriebsabteilung gehandelt habe, könne der Kläger nicht verlangen, dass in einem anderen Modehaus ein Arbeitsplatz für ihn freigekündigt werde.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung sei nicht nach § 15 Abs. 3a KSchG unwirksam. Sie sei wegen Betriebsstilllegung ausgesprochen worden und deshalb nach § 15 Abs. 4 KSchG zulässig. Die Anwendung von § 15 Abs. 4 KSchG auf Wahlinitiatoren sei geboten, weil kein vernünftiger Grund ersichtlich sei, weshalb den Wahlinitiatoren ein weiter gehender Schutz als den nach § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG geschützten Mandatsträgern gewährt werden solle. Der Kläger könne von der Beklagten nicht nach § 15 Abs. 5 KSchG verlangen, für ihn einen Arbeitsplatz in einem anderen Modehaus freizukündigen. Da in B ein Betriebsrat gewählt worden sei, habe das dortige Modehaus nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als eigenständiger Betrieb gegolten, auch wenn es sich um einen selbständigen Betriebsteil gehandelt habe. Im Übrigen sei die Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG und nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam.

B. Dem folgt der Senat.

I. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Kündigung nicht nach § 15 Abs. 3a KSchG unwirksam ist.

1. Zwar gehört der Kläger zu dem nach § 15 Abs. 3a KSchG geschützten Personenkreis der Einladenden, denen gegenüber eine ordentliche Kündigung vom Tage der Einladung bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der Betriebsratswahl und im Falle, dass ein Betriebsrat nicht gewählt wird, längstens für drei Monate unzulässig ist.

2. Zu Recht hat jedoch das Landesarbeitsgericht auch auf den nach § 15 Abs. 3a KSchG geschützten Personenkreis § 15 Abs. 4 KSchG angewandt. Die Nichterwähnung des § 15 Abs. 3a KSchG in § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG bedeutet nicht, dass die Kündigung gegenüber dem Einladenden bei Betriebsstilllegung auch unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 KSchG unzulässig wäre.

a) Dass die Anwendbarkeit von § 15 Abs. 4 KSchG auch auf die nach § 15 Abs. 3a KSchG geschützten Personen im Wortlaut des § 15 Abs. 4 KSchG nicht ausdrücklich angeordnet ist, beruht auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Das ergibt sich aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Regelung und aus dem erkennbaren Ziel des Gesetzes (im Ergebnis ebenso: KR-Etzel 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 144 f.; APS/Linck 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 58a; HaKo-Fiebig 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 25b; ErfK/Ascheid 5. Aufl. § 15 KSchG Rn. 40; aA Löwisch/Spinner 9. Aufl. § 15 KSchG Rn. 61; Stahlhacke/Stahlhacke Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 1623).

b) Das zeigt zunächst § 16 Satz 1 KSchG. Dort sind Wahlinitiatoren ausdrücklich einbezogen. Nach der Vorschrift kann eine nach § 15 Abs. 1 bis 3a KSchG geschützte Person, wenn das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt hat, sie jedoch ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bei diesem verweigern. In § 16 Satz 1 KSchG ist also als selbstverständlich vorausgesetzt, dass bei Unwirksamkeit der Kündigung eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Eine solche besteht aber im Falle der Betriebsstilllegung gerade nicht. Die Möglichkeit, dass eine Kündigung nach § 15 Abs. 1 bis 3a KSchG unwirksam ist, obwohl der Betrieb stillgelegt wurde, sieht die Vorschrift des § 16 Satz 1 KSchG demnach nicht vor. Dann aber muss aus der Erwähnung der nach § 15 Abs. 3a KSchG geschützten Personen in § 16 Satz 1 KSchG geschlossen werden, dass die Kündigung gegenüber Initiatoren zumindest bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 KSchG zulässig ist.

c) Die Einführung des § 15 Abs. 3a KSchG sollte den Einladenden für die Zeit zwischen Einladung und Bekanntgabe des Ergebnisses der Betriebsratswahl vor ordentlichen Kündigungen schützen und auf diese Weise die Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Initiative für die Wahl eines Betriebsrates erhöhen (Begründung des RegE BT- Drucks. 14/5741 S. 55). Der in § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG vorgesehene Schutz sollte in zeitlicher und persönlicher Hinsicht ergänzt werden, weil er für die Zeit vor Bildung eines Wahlvorstands als lückenhaft angesehen wurde. Diese Absicht des Gesetzgebers legt es nahe, den Schutzumfang, der für den nach § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG geschützten Personenkreis gilt, in diesem Sinne, nämlich zeitlich und persönlich, auf die Initiatoren zu erstrecken, nicht aber ihn inhaltlich zu verändern.

d) Eine Absicht des Gesetzgebers, die Wahlinitiatoren gegenüber den Betriebsratsmitgliedern und Wahlvorständen besser zu stellen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Im Gegenteil hat das Gesetz den Schutz der Betriebsratsmitglieder und des Wahlvorstands durch die Nachwirkungsanordnung und durch das für Initiatoren nicht geltende Zustimmungserfordernis des § 103 Abs. 1 BetrVG ausdrücklich weitergehend ausgestaltet als den Schutz der Wahlinitiatoren. Demgegenüber ist der Schutz der Einladenden auf die relativ kurze Zeitspanne bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses oder bis zum Ablauf von drei Monaten nach Wahleinladung begrenzt. Irgendein Grund, dass sie in dieser Zeit von einer bevorstehenden Betriebsstilllegung nicht betroffen werden sollten, ist nicht erkennbar. Dass ein solcher Kündigungsausschluss für den Fall der Betriebsstilllegung zum Gesamtzusammenhang des § 15 Abs. 1 bis 5 KSchG nicht passen würde, zeigt auch die folgende Überlegung: Wenn, was in der Praxis nicht selten der Fall sein wird und auch im vorliegenden Fall geschah, der Einladende vor Beendigung des Sonderkündigungsschutzes als Wahlinitiator in den Betriebsrat gewählt wird, so kann er in seiner Eigenschaft als Betriebsrat unzweifelhaft bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 KSchG gekündigt werden. Er würde also durch die Wahl in den Betriebsrat gegenüber dem vorherigen Status einen Nachteil erleiden, wenn man § 15 Abs. 4 KSchG nicht auf § 15 Abs. 3a KSchG anwenden würde.

e) Die Überlegung der Revision, das Gesetz ordne die Unzulässigkeit der Kündigung bei Betriebsstilllegung gegenüber Initiatoren zur Kompensation dafür an, dass der Schutz im Übrigen schwächer ausgeprägt sei, ist nicht überzeugend. Wie ausgeführt, ist dem Gesetz eine solche Absicht nicht zu entnehmen. Es sollten durch § 15 Abs. 3a KSchG in den dort aufgeführten zeitlichen Grenzen weitere Personen unter den "Schirm" des Sonderkündigungsschutzes für Mandatsträger gestellt werden.

f) Auch die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 14/5741 S. 55) erweist, dass die Nichterwähnung des Absatzes 3a in § 15 Abs. 4 KSchG auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Hätte die Absicht bestanden, durch die Nichterwähnung des Absatzes 3a in Abs. 4 eine inhaltliche Änderung des Kündigungsschutzes zu bewirken, so hätte es nahe gelegen, dies in der Begründung zu erwähnen. Das ist aber nicht geschehen, obwohl die Begründung ansonsten jede auch nur redaktionelle Anpassung ausdrücklich erläutert.

II. Die Kündigung ist auch nicht nach § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG unwirksam. Die Beklagte brauchte den Kläger nicht in ein anderes Modehaus zu übernehmen.

1. Ein freier Arbeitsplatz war, wie das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt hat, nicht vorhanden (vgl. zur Weiterbeschäftigungspflicht auf einem freien Arbeitsplatz auch in einem anderen Betrieb: Senat - 2 AZR 22/92 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 32 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 39; KR-Etzel 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 126).

2. Die Beklagte brauchte auch keinen Arbeitsplatz für den Kläger frei zu machen.

Selbst wenn man grundsätzlich § 15 Abs. 5 KSchG eine Freikündigungspflicht auch im Interesse von Einladenden iSd. § 15 Abs. 3a KSchG entnimmt, so sind doch die Voraussetzungen einer Übernahmepflicht hier nicht gegeben. Denn das Kaufhaus in B galt nicht als Betriebsabteilung, sondern als selbständiger Betrieb im Sinne des § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

a) Fraglich erscheint bereits, ob der Kläger, der selbst zum Betriebsrat in B gewählt worden ist, im Rahmen des § 15 Abs. 5 KSchG geltend machen kann, der Betriebsbegriff sei bei der - nicht angefochtenen - Betriebsratswahl verkannt worden (vgl. Senat - 2 AZR 577/03 -).

b) Wie ausgeführt, bezweckt § 15 Abs. 5 KSchG, die Funktionsfähigkeit des Vertretungsorgans zu gewährleisten (APS/Linck 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 181; KR-Etzel 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 122). Sind Betriebsabteilungen ihrerseits Betriebsteile iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVerfG, die als selbständige Betriebe gelten und deshalb auch einen eigenen Betriebsrat gewählt haben, so scheidet bei Stilllegung einer solchen Abteilung die Anwendung des § 15 Abs. 5 KSchG aus (APS/Linck 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 182). Denn mit der Stilllegung einer solchen Betriebsabteilung endet das Mandat des Betriebsrates. Es gibt keinen Grund, seine Funktionsfähigkeit erhalten zu wollen (vgl. KR- Etzel 7. Aufl. § 15 KSchG Rn. 73). Der geschützte Arbeitnehmer würde in einen Bereich wechseln, für den er nicht gewählt ist. Die Ausübung eines etwaigen Restmandates (§ 21b BetrVG) erfordert nicht den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Stilllegungszeitpunkt hinaus ( - BAGE 41, 72; HaKo-Fiebig 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 134).

III. Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozialwidrig, sondern durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt. Die Revision greift die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts nicht an. Sie sind auch offenkundig zutreffend. Gleiches gilt für die Würdigung des Landesarbeitsgericht, die Kündigung gelte auch nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG als sozialwidrig.

C. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Revision fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2005 S. 1227 Nr. 22
ZIP 2005 S. 1615 Nr. 36
CAAAB-93808

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