BAG Urteil v. - 10 AZR 469/03

Leitsatz

[1] 1. Für die Postulationsfähigkeit eines Gewerkschaftsvertreters nach § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ist lediglich maßgebend, dass er kraft Satzung oder kraft Vollmacht der Gewerkschaft zur Vertretung befugt und die von ihm vertretene Partei Mitglied der Gewerkschaft ist.

2. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die Satzung und die Rechtsschutzrichtlinien eine Rechtsschutzgewährung für den jeweiligen Rechtsstreit vorsehen oder zulassen.

Gesetze: ArbGG § 11 Abs. 2 Satz 2

Instanzenzug: ArbG Suhl 3 (2) Ca 2106/94 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des Klägers aus dessen Tätigkeit als freier Handelsvertreter für die Beklagte.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit einem am verkündeten Urteil abgewiesen. Gegen dieses dem Kläger am zugestellte Urteil hat er mit einem am beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz des DGB (Landesrechtsstelle Erfurt) Berufung eingelegt. Zuvor hatte der Kläger mit Schreiben vom einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung gestellt, über den noch nicht entschieden worden war.

Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum begründete der Kläger die Berufung mit einem Schriftsatz des DGB vom , der am beim Berufungsgericht einging. Mit Schriftsatz vom , beim Landesarbeitsgericht eingegangen am , legte der DGB das Mandat nieder. Der Kläger beantragte unter Hinweis auf seinen Antrag vom mit einem beim Landesarbeitsgericht am eingegangenen Schreiben vom erneut Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung, wobei er mitteilte, seine Gewerkschaft vertrete die Ansicht, für Versicherungsvermittlungstätigkeiten keinen Rechtsschutz gewähren zu können. Ihm wurde mit Beschluss vom Prozesskostenhilfe bewilligt. Mit Schriftsatz vom trug die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf eine Streitverkündung des Kläger hin vor, dieser habe keinen Anspruch auf Gewährung von Rechtsschutz, weil Umfang und Ausmaß des beantragten Rechtsschutzes nicht mit der studentischen Mitgliedschaft des Klägers in der GEW zu vereinbaren wären; es gehe überwiegend um Tätigkeiten, die nicht dem Organisationsbereich der GEW zugeordnet werden könnten und damit auch nicht vom Rechtsschutz umfasst würden.

Mit Schriftsatz seiner neuen Prozessbevollmächtigten vom wiederholte der Kläger die Berufungsanträge unter Bezugnahme auf die Berufungsbegründungsschrift. Durch Beschluss vom wurde auf übereinstimmenden Antrag beider Prozessvertreter das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Schriftsatz vom rief der Kläger das Verfahren wieder auf.

Der Kläger hat ua. die Auffassung vertreten, auch wenn seine Vertretung bei der ursprünglichen Berufungseinlegung und -begründung nicht im Rahmen der Satzung der GEW erfolgt sei, führe dies nicht zur Unwirksamkeit der Berufungseinlegung, da nach § 11 ArbGG lediglich erforderlich sei, dass der Zusammenschluss von Gewerkschaften kraft Satzung oder kraft Vollmacht zur Vertretung befugt sei und für ein Mitglied auftrete. Jedenfalls sei ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Kläger hat beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom - 2 Ca 2106/94 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.339,00 Euro nebst 9,8 % Zinsen seit dem auf 3.068,00 Euro sowie 5 % Zinsen auf die Restforderung seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Antrag auf Zurückweisung der Berufung ua. die Ansicht vertreten, der Kläger sei zum Zeitpunkt der Mandatserteilung für das Berufungsverfahren prozessunfähig gewesen und auch gegenwärtig weiterhin prozessunfähig mit der Folge, dass seine Rechtsverfolgung unzulässig sei. Eine Sachprüfung der geltend gemachten Ansprüche komme daher nicht in Betracht.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die erhobenen Zahlungsansprüche weiter.

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Berufungseinlegung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil sie nicht von einem beim Berufungsgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet worden sei. Im Rahmen von § 11 Abs. 2 ArbGG sei die Prozessvertretungsbefugnis auf solche Rechtsstreitigkeiten beschränkt, deren Gegenstand im Rahmen der satzungsgemäßen Aufgaben des betreffenden Verbandes lägen. Die Vertretung durch einen Verbandsvertreter sei dementsprechend ausgeschlossen, wenn es um einen Rechtsstreit gehe, der mit der Verbandsmitgliedschaft in keinem Zusammenhang stehe. Hier sei die GEW nicht satzungsmäßig befugt gewesen, den Kläger im Berufungsrechtszug zu vertreten. Nach § 6 Ziff. 3 der Satzung sei die GEW zuständig für die ihr im Rahmen des DGB zufallenden Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Ruheständlerinnen und Ruheständlern und Arbeitslosen aller pädagogischen und sozialpädagogischen Berufe (a), Angehörige von Hochschulen, wissenschaftlichen Instituten und Forschungseinrichtungen (b) und Beschäftigte in privaten Bildungseinrichtungen (c). Zu diesen habe der Kläger unstreitig nicht gehört. Vielmehr sei er gem. § 6 Abs. 4 der Satzung als studentisches Mitglied aufgenommen worden. Studierende könnten aber gem. § 2 Ziff. 6 der zu § 27 der Satzung beschlossenen Richtlinien für den Rechtsschutz lediglich Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten erhalten, die ihre Berufsausbildung betreffen. Darum sei es aber bei den aus der Tätigkeit des Klägers als Handelsvertreter resultierenden Ansprüchen nicht gegangen. Da die GEW deshalb satzungsmäßig nicht zur Prozessvertretung befugt gewesen sei, habe sie eine solche auch nicht gem. § 5 ihrer Rechtsschutzrichtlinien auf den DGB übertragen können.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe dem Kläger wegen Versäumung der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht gewährt werden können, da die Unzulässigkeit der Berufung erst mit dem Schriftsatz der GEW vom offenbar geworden sei, die Entscheidung über die form- und fristgerechte Einlegung der Berufung innerhalb der Jahresfrist also nicht allein aus in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen unterblieben sei.

II. Dem folgt der Senat nicht.

1. Nach der Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts ist maßgeblich für die Postulationsfähigkeit eines Verbandsvertreters nach § 11 Abs. 2 ArbGG lediglich, dass er kraft Satzung oder kraft Vollmacht des Verbandes zur Vertretung befugt und die von ihm vertretene Partei Mitglied des Verbandes ist. Nach § 11 Abs. 2 ArbGG ist damit diesen Personen für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine den Anwälten entsprechende Rechtsstellung zugestanden und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie zu einer interessen- und sachgerechten Vertretung der Mitglieder ihrer jeweiligen Verbände in der Lage sind ( - BAGE 63, 255, 258). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Darüber hinaus zu verlangen, dass die Verbandssatzung oder in deren Ausfüllung ergangene Rechtsschutzrichtlinien eine Rechtsschutzgewährung für die konkrete Art des Prozesses vorsehen oder zulassen, findet in § 11 ArbGG keine Grundlage; auf satzungsmäßige Beschränkungen des Verbandes zur Gewährung von Rechtsschutz für seine Mitglieder kommt es nicht an (ebenso - AuR 2004, 119).

2. Nach den vorstehenden Grundsätzen war der Kläger entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts bei Einlegung und Begründung der Berufung durch einen gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG postulationsfähigen Vertreter des DGB (Landesrechtsstelle Erfurt) ordnungsgemäß vertreten. Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob für den Fall einer bloßen Gastmitgliedschaft in der Gewerkschaft ohne wesentliche Mitgliedschaftsrechte noch an dem - 6 AZR 236/84 - BAGE 51, 163) festzuhalten wäre. Der Kläger war nämlich nicht bloßes Gastmitglied in der GEW, sondern studentisches Mitglied gem. § 6 Ziff. 4 der Satzung. Weder ist aus dieser Satzungsbestimmung zu entnehmen, dass studentischen Mitgliedern die wesentlichen Mitgliedschaftsrechte nicht zustehen sollen, noch bestehen dafür sonstige Anhaltspunkte. Somit konnte die GEW gemäß § 5 ihrer Rechtsschutzrichtlinien den DGB mit der Durchführung der Berufung beauftragen und dessen Vertreter konnte die Berufung für den Kläger gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG wirksam einlegen und begründen.

3. Es bedarf folglich keiner Entscheidung, ob das Landesarbeitsgericht, ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt der Unwirksamkeit der Vertretung des Klägers durch den DGB, dem Kläger von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewähren müssen, wofür spricht, dass der Kläger seinen Prozesskostenhilfeantrag bereits mit seinem Schreiben vom , also innerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO, unter Hinweis auf die von der GEW vertretene Ansicht erneuert hatte (vgl. - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

4. Das Landesarbeitsgericht wird nun zunächst die bestrittene Prozessfähigkeit des Klägers (§§ 51 f. ZPO) zu klären haben (§ 56 Abs. 1 ZPO). Sollte diese durchgehend oder zeitweise nicht gegeben gewesen sein, wäre zu prüfen, ob der Mangel durch wirksame Genehmigung der Prozessführung geheilt wurde (vgl. im Einzelnen - BAGE 93, 248 mwN).

5. In seinem Urteil wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HAAAB-93533

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein