BAG Beschluss v. - 1 ABR 7/03

Leitsatz

[1] Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmer anweist, sich in einem Kundenbetrieb der dort eingerichteten biometrischen Zugangskontrolle (Fingerabdruckerfassung) zu unterziehen.

Gesetze: BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6

Instanzenzug: ArbG Frankfurt am Main 15/6 BV 66/02 vom LAG Hessen 5 TaBV 83/02 vom

Gründe

Die Beteiligten streiten über Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Einsatz von Arbeitnehmern in einem Kundenbetrieb der Arbeitgeberin, in dem ein biometrisches Zugangskontrollsystem angewandt wird.

Die Arbeitgeberin, ein Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost, beschäftigt in der Service Niederlassung M. ca. 2.000 Arbeitnehmer und Beamte. Sie hat auf Grund eines mit der I. GmbH (im Folgenden: I.) geschlossenen Werkvertrags im Betrieb der Kundin einen 24-Stunden-Service für Störfälle sicherzustellen. Die I. richtete am unter Beteiligung des bei ihr gebildeten Betriebsrats zum Zwecke der Zugangskontrolle zu ihrem Betrieb sog. Personenvereinzelungsanlagen (Personalschleusen) ein. Diese sind mit einem biometrischen Kontrollsystem ausgestattet. Zu ihrer Identifizierung müssen die zugangsberechtigten Personen Fingerabdrücke hinterlegt haben. Mit diesen werden mittels eines in der Personalschleuse befindlichen sog. Fingerprint-Scanners (FPS) die Fingerabdrücke der Zugang suchenden Personen verglichen. Ist die Identifizierung erfolgt, öffnet sich die Innentüre der Schleuse. Das Verlassen des Gebäudes erfolgt in gleicher Weise.

Der bei der Arbeitgeberin errichtete Betriebsrat teilte dieser mit, er halte das Verfahren der Zugangskontrolle für mitbestimmungspflichtig. Am schloss die Arbeitgeberin mit der I. eine "Zusatzvereinbarung für die Zugangsprozeduren", nach der das Zugangskontrollsystem auch für die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zur Anwendung kommen soll. Die Fingerabdrücke sollen nach dieser Vereinbarung ausschließlich zur Schleusenöffnung verwendet werden. Die Arbeitgeberin erteilte ihren bei der I. eingesetzten Mitarbeitern die Anweisung, dort ihre Fingerabdrücke abzugeben. Am untersagte das Arbeitsgericht auf Antrag des Betriebsrats der Arbeitgeberin im Wege der einstweiligen Verfügung, Beschäftigte bei der I. einzusetzen, soweit von diesen verlangt wird, Fingerabdrücke zu hinterlegen. In der Folgezeit wurde den Mitarbeitern der Arbeitgeberin der Zugang zur I. ohne Abgabe von Fingerabdrücken dadurch ermöglicht, dass sie von Beschäftigten der I. durch die Personalschleuse begleitet wurden. Das einstweilige Verfügungsverfahren endete mit einem Vergleich, in dem sich die Arbeitgeberin verpflichtete, etwa ihr bekannt werdende Daten aus der Zugangskontrolle ersatzlos zu vernichten.

Im vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat die Auffassung vertreten, ihm stünden beim Einsatz von Arbeitnehmern bei der I. wegen des dortigen Zugangskontrollsystems Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG zu. Da die Arbeitgeberin diese verletzt habe, könne er die Unterlassung des mitbestimmungswidrigen Verhaltens verlangen. Der Anspruch ergebe sich auch aus § 75 Abs. 2 und aus § 80 BetrVG.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Beschäftigte der Niederlassung anzuweisen, bei der Firma I. GmbH, F., einzusetzen, soweit von diesen verlangt wird, dass sie über ein biometrisches System Fingerabdrücke in einem sogenannten Fingerprint-Scanner dort hinterlegen müssen, solange die Zustimmung des Betriebsrats nicht vorliegt bzw. die fehlende Zustimmung des Betriebsrats nicht durch den Spruch einer Einigungsstelle ersetzt worden ist;

hilfsweise zu 1.

2. festzustellen, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, Mitarbeiter anzuweisen, ihre Fingerabdrücke in einem biometrischen System der Firma I. GmbH zu hinterlegen, bevor mit dem Betriebsrat hierüber nicht verhandelt worden ist bzw. die fehlende Zustimmung des Betriebsrats durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist;

3. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nr. 1, bezogen auf jeden Tag und jeden Arbeitnehmer, der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Sie hat gemeint, der Betriebsrat besitze bezüglich der Zugangskontrollen im Betrieb der I. keine Mitbestimmungsrechte. Diese würden vielmehr vom dort errichteten Betriebsrat wahrgenommen. Es gebe für die Arbeitgeberin auch keinen Regelungsspielraum.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Betriebsrats stattgegeben und der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 Euro angedroht. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge des Betriebsrats zu Unrecht abgewiesen. Die Arbeitgeberin hat Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG verletzt, indem sie ohne dessen Zustimmung Arbeitnehmer angewiesen hat, bei der I. Fingerabdrücke zu hinterlegen und sich der im Kundenbetrieb eingerichteten biometrischen Zugangskontrolle zu unterwerfen. Der Betriebsrat kann die Unterlassung dieses mitbestimmungswidrigen Verhaltens verlangen.

I. Der (Haupt-) Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Er ist allerdings - in der auch vom Arbeitsgericht so tenorierten Fassung - sprachlich fehlerhaft. Wie sich aus dem Sinnzusammenhang ohne Weiteres ergibt, ist das Wort "anzuweisen" überflüssig.

Andere Personen oder Stellen sind nach § 83 Abs. 3 ArbGG nicht beteiligt. Das gilt auch für die einzelnen Arbeitnehmer. Diese sind nicht in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen. Ihre Persönlichkeitsrechte werden durch eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht beeinträchtigt. Sie bestehen unabhängig von den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats.

II. Der Antrag ist begründet. Der Betriebsrat hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch wegen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG. Er kann seinen Anspruch allerdings nicht auch auf § 75 Abs. 2 oder auf § 80 BetrVG stützen.

1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats steht dem Betriebsrat bei Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG ein Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahmen zu. Dieser Anspruch setzt keine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers iSd. § 23 Abs. 3 BetrVG voraus ( - BAGE 76, 364, 372 ff. = AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23 = EzA BetrVG 1972 § 23 Nr. 36, zu II B III der Gründe; - 1 ABR 13/96 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 68 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 56, zu B III 1 der Gründe; - 1 ABR 3/01 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 93 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 64, zu B II 1 der Gründe). Vorliegend hat die Arbeitgeberin die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG verletzt.

a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.

aa) Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer ( - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 31 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 25, zu B I 1 der Gründe; - 1 ABR 32/01 - BAGE 101, 216, 221 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 29, zu B I 2 a der Gründe; - 1 ABR 46/01 - BAGE 101, 285, 286 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebs Nr. 38 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 28, zu B I der Gründe). Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren ( - aaO). Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, die Arbeitnehmer hieran zu beteiligen. Sie sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens gleichberechtigt teilnehmen ( - aaO; - 1 ABR 46/01 - aaO).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen bei Maßnahmen, die das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen (vgl. - BAGE 101, 216, 223 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 29, zu B I 2 d der Gründe mwN). Nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sind dagegen Maßnahmen, die das sog. Arbeitsverhalten regeln sollen. Dies sind solche Maßnahmen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird ( - BAGE 101, 285, 287 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 38 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 28, zu B I der Gründe). Regelungen über das Betreten und Verlassen des Betriebs betreffen regelmäßig das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten ( - BAGE 54, 36, 44 f. = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 64, zu B II 3 der Gründe; - 1 AZR 567/89 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 17 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 16, zu II 1 a der Gründe; vgl. aber auch - 1 ABR 69/82 - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 10).

bb) Danach ist das außerbetriebliche Verhalten der Arbeitnehmer der Regelungskompetenz der Betriebsparteien entzogen. Dementsprechend berechtigt § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Betriebsparteien nicht, in die private Lebensführung der Arbeitnehmer einzugreifen ( - BAGE 90, 316, 324 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 28 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 24, zu A II 4 a der Gründe; - 1 ABR 32/01 - BAGE 101, 216, 222 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 29, zu B I 2 c der Gründe). Der "Betrieb" iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist allerdings nicht auf die Betriebsstätte beschränkt. Der Begriff des Betriebs ist nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen. Das folgt aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts. Dieses betrifft nicht die Organisation der dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Sachmittel, sondern das Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Das Mitbestimmungsrecht soll immer dann ausgeübt werden können, wenn der Arbeitgeber das mit ihrer Tätigkeit verbundene Verhalten der Arbeitnehmer regelt. Daher besteht es auch dann, wenn es um das Verhalten der Arbeitnehmer außerhalb der Betriebsstätte geht. Auch dann ist das "betriebliche" Verhalten betroffen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Arbeitnehmer, wie zB Außendienstmitarbeiter, Kraftfahrer oder Kundendienstmonteure ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit nicht in den Räumlichkeiten des Betriebs verrichten. Dementsprechend hat der Senat die Einführung von Namensschildern für das außerhalb der Betriebsstätte tätig werdende Fahrpersonal als nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig erachtet ( - BAGE 101, 285 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 38 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 28). Ebenso hat er die Einführung von Ethikregeln über den Privatbesitz von Wertpapieren und die Ausübung von Nebentätigkeiten bei Redakteuren einer Wirtschaftszeitung dem betrieblichen und damit grundsätzlich nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen Geschehen zugeordnet ( - aaO).

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitnehmer zur Verrichtung ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit auf Anweisung des Arbeitgebers in den Betrieb eines anderen Arbeitgebers begeben. Dies folgt ebenfalls aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts. Die Arbeitnehmer unterliegen auch bei der Arbeit in einem fremden Betrieb weiterhin den Weisungen ihres Vertragsarbeitgebers. Daher hat der von ihnen gewählte und sie repräsentierende Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auch dann mitzubestimmen, wenn die Weisungen ihr Ordnungsverhalten in einem fremden Betrieb betreffen. Andernfalls entstünde eine mit dem Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht zu vereinbarende Lücke. Ein im Kundenbetrieb errichteter Betriebsrat kann die Interessen der auf Grund von Werkverträgen dort tätigen fremden Arbeitnehmer regelmäßig nicht wahrnehmen. Er besitzt für diese Arbeitnehmer weder ein Mandat noch kann er mit deren Vertragsarbeitgeber verhandeln. Diese haben im Übrigen auch keine rechtliche Möglichkeit, die Errichtung eines im Kundenbetrieb fehlenden Betriebsrats herbeizuführen.

cc) Um das nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten geht es auch, wenn der Vertragsarbeitgeber seine Arbeitnehmer anweist, sich nach den in einem Kundenbetrieb bestehenden Regeln zu verhalten. Der Arbeitgeber übernimmt in einem solchen Fall die Verhaltensregelungen des Dritten und gibt sie seinen Arbeitnehmern vor. Dies ist ihm auf Grund seines mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Weisungsrechts möglich. Dagegen besitzt der Kunde keine unmittelbaren vertraglichen Befugnisse, den in seinem Betrieb eingesetzten fremden Arbeitnehmern Weisungen hinsichtlich ihres Ordnungsverhaltens zu geben. Daher macht es für das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG keinen Unterschied, ob ein Arbeitgeber seinen im Außendienst beschäftigten Mitarbeitern selbst bestimmte Vorschriften hinsichtlich ihres Verhaltens in den Räumlichkeiten von Kunden macht oder ob er sie anweist, die dort geltenden Regeln zu beachten.

Hiergegen kann der Arbeitgeber nicht erfolgreich einwenden, ihm selbst seien die Verhaltensregeln durch den Dritten vorgegeben. Allerdings steht die betriebliche Ordnung in einem Kundenbetrieb nicht zur Disposition des Arbeitgebers. Dieser hat aber als Vertragspartner des Kunden die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, unter welchen Bedingungen "seine" Arbeitnehmer dort zu arbeiten haben. Dementsprechend obliegt es nach der Rechtsprechung des Senats dem Arbeitgeber, sich in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Dritten gegenüber nicht in einer Weise zu binden, die eine Einflussnahme des Betriebsrats faktisch ausschließt (vgl. - BAGE 89, 128, 135 = AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 92 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 92, zu B II 1 b dd der Gründe; - 1 ABR 22/99 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 33 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 27, zu B II 1 b der Gründe). Vielmehr muss der Arbeitgeber durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gewährleistet ist ( - 1 ABR 22/99 - aaO). Der Arbeitgeber wird hierdurch in seiner unternehmerischen Freiheit nicht unzulässig eingeschränkt. Nicht selten betreffen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Entscheidungen, die Auswirkungen auch auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben können. Dieser Umstand lässt die Mitbestimmung nicht entfallen. Der Betriebsrat muss aber nach § 2 BetrVG bei der Ausübung seines Mitbestimmungsrechts die mögliche Beeinträchtigung betrieblicher Belange bedenken, die auch in der Gefährdung von Kundenbeziehungen liegen kann. Gleiches gilt für die Einigungsstelle bei einem die Einigung der Betriebsparteien ersetzenden Spruch.

b) Hiernach hat die Arbeitgeberin vorliegend das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verletzt, indem sie ohne dessen Zustimmung ihren Arbeitnehmern die Anweisung erteilt hat, sich der biometrischen Zugangskontrolle bei der I. zu unterziehen und hierzu Fingerabdrücke zu hinterlegen. Diese Anweisung betraf nicht etwa das Arbeits-, sondern das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Die Arbeitgeberin hätte den Betriebsrat an ihrer Entscheidung beteiligen müssen, ob überhaupt sowie ggf. nach welchen Grundsätzen welche Arbeitnehmer für welche Dauer sich der Zugangskontrolle bei der I. unterziehen müssen. Erforderlichenfalls hätte sie in Verhandlungen mit I. treten und bei der Vertragsgestaltung dafür sorgen müssen, dass die mit dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen umgesetzt werden. Wenn sie statt dessen ohne seine Beteiligung mit der I. am eine Vereinbarung über die Anwendung des biometrischen Zugangskontrollsystems auf ihre Arbeitnehmer abgeschlossen hat, kann sie sich gegenüber dem Betriebsrat nicht erfolgreich darauf berufen, es gebe keinen Gestaltungsspielraum mehr.

c) Die Arbeitgeberin hat außerdem das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verletzt. Sinn der Vorschrift ist es, Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung technischer Kontrolleinrichtungen nur bei gleichberechtigter Mitbestimmung des Betriebsrats zuzulassen ( - BAGE 37, 112, 118 = AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 3 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 7, zu B 2 der Gründe; - 1 ABR 20/94 - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 27 = EzA BetrVG 1972 § 87 Kontrolleinrichtung Nr. 20, zu B I 1 der Gründe).

aa) "Überwachung" im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers erhoben und - jedenfalls in der Regel - irgendwie aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen (vgl. - BAGE 44, 285, 310 = AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 7 = EzA BetrVG § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 7, zu C V 2 der Gründe). Zur Überwachung "bestimmt" sind technische Einrichtungen dann, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen; auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an ( - aaO).

Mitbestimmungspflichtig ist sowohl die Einführung als auch die Anwendung der technischen Einrichtung. Die Mitbestimmung bei der Einführung umfasst das "Ob" der Anschaffung einschließlich der hierzu erforderlichen näheren Modalitäten (vgl. etwa ErfK/Kania § 87 BetrVG Rn. 58; Wiese GK-BetrVG § 87 Rn. 568). Die Anwendung betrifft den Einsatz der Überwachungseinrichtung und die dadurch bewirkten Überwachungsmaßnahmen. Dazu gehört auch die Festlegung des zu überwachenden Teils der Arbeitnehmer (Kania aaO Rn. 59; Wiese aaO).

Die Vergabe der Überwachungstätigkeit an einen Dritten schließt das Mitbestimmungsrecht nicht aus (vgl. - AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 33 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 27, zu B II 1 b der Gründe; - 1 ABR 59/85 - BAGE 54, 278, 290 ff. = AP BetrVG 1972 § 80 Nr. 29 = EzA BetrVG 1972 § 80 Nr. 30, zu B II 5 der Gründe; ErfK/Kania § 87 BetrVG Rn. 59). Der Arbeitgeber muss in einem solchen Fall durch entsprechende Vertragsgestaltung mit dem Dritten sicherstellen, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht ausüben kann (vgl. - BAGE 89, 128, 135 = AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 92 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 64, zu B II 1 b dd der Gründe; - 1 ABR 22/99 - aaO; Fitting BetrVG § 87 Rn. 250).

Der Arbeitgeber wendet ein technisches Überwachungssystem im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch an, wenn er im Einvernehmen mit einem Dritten seine Arbeitnehmer anweist, sich der Überwachung durch dessen technische Einrichtung zu unterwerfen. Diese Anweisung ist nicht deshalb mitbestimmungsfrei, weil die Überwachung in erster Linie oder gar ausschließlich im Interesse des Dritten erfolgt. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber selbst Zugriff auf die erfassten Daten nehmen kann. Vielmehr ist es für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausreichend, wenn der Arbeitgeber die Entscheidung trifft, Informationen über das Verhalten der seiner Direktionsbefugnis unterliegenden Arbeitnehmer durch eine zur Überwachung bestimmte technische Einrichtung erfassen zu lassen.

bb) Hiernach hat die Arbeitgeberin vorliegend ein technisches Überwachungssystem angewendet, indem sie ihre Arbeitnehmer angewiesen hat, sich der biometrischen Zugangskontrolle bei I. zu unterziehen.

Das der Authentifizierung dienende Fingerprint-Scanner-System ist eine zur Überwachung des Verhaltens der Arbeitnehmer dienende technische Einrichtung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Es handelt sich nicht etwa um ein - mitbestimmungsfreies - anonymes Zugangssicherungssystem (vgl. dazu - AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 10).

Die Arbeitgeberin hat dieses System im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG "angewendet". Zwar übt sie selbst nicht die Sachherrschaft über die technische Einrichtung aus. Gleichwohl liegt in ihrer Anweisung an die Arbeitnehmer, sich der biometrischen Zugangskontrolle zu unterziehen, die Anwendung dieses Systems. Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeberin die erhobenen Daten nach der mit der I. getroffenen Vereinbarung nicht zur Verfügung gestellt werden.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG entfällt auch nicht deshalb, weil sich die Arbeitgeberin gegenüber I. vertraglich zur Anwendung des biometrischen Zugangssystems verpflichtet hat. Es ist vielmehr Sache der Arbeitgeberin, dafür zu sorgen, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht wahrnehmen kann. Im Übrigen zeigt die Verfahrensweise während der Geltung der einstweiligen Verfügung, dass eine andere Zugangsprozedur zu den Räumlichkeiten der I. auch nach dem nicht ausgeschlossen war.

2. Aus § 75 Abs. 2 BetrVG folgt der Unterlassungsanspruch entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht. Diese Vorschrift begründet keinen unmittelbaren Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber, persönlichkeitsverletzende Maßnahmen gegenüber einem Arbeitnehmer oder einer Gruppe von Arbeitnehmern zu unterlassen ( - BAGE 101, 216, 224 ff. = AP BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes Nr. 39 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 29, zu B I 3 der Gründe).

3. Auch aus dem Überwachungsrecht des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergibt sich kein Anspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber auf Unterlassung eines etwa gesetz- oder tarifwidrigen Verhaltens (vgl. - AP Nr. 96 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65, zu B III der Gründe).

III. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin, wie beantragt, gemäß § 890 Abs. 2 ZPO für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld angedroht (vgl. - BAGE 90, 194, 205 f. = AP Nr. 79 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B II 3 der Gründe). Dabei hat es die sich - mittelbar - aus § 23 Abs. 3 Satz 5 BetrVG ergebende Obergrenze von 10.000,00 Euro beachtet.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1389 Nr. 25
HAAAB-93371

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein