Besondere Sachkunde bei Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit
Leitsatz
Die Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit erfordert im Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde. Holt das Gericht in solchen Fällen kein Sachverständigengutachten ein, muss dies für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein. Die besondere Sachkunde des Gerichts muss sodann in den Urteilsgründen auch nachprüfbar dargelegt werden. Soweit sich dem Urteil vom IV R 105/85 (BFHE 149, 231, BStBl II 1987, 376) etwas anderes entnehmen lässt, hält der Senat daran nicht fest.
Gesetze: EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist seit 1962 als Graphikdesigner unter der Fa. „XY Werbung” selbständig tätig. Zuvor hatte er an der Werkkunstschule A eine Ausbildung zum Gebrauchs- und freien Graphiker abgeschlossen. Er entwirft graphische Darstellungen zu Werbezwecken und Gesamtkonzepte für Messestände oder Ausstellungen. Je nach Auftrag dienen als Medium Filme, Anzeigen, Plakate, Prospekte oder Plastiken. In der Regel erstellt er drei oder vier Entwürfe, von denen der Kunde einen auswählt. Zum Teil erfolgt anschließend im Rahmen eines weiteren Auftrages die Umsetzung, für die er in der Regel Anzeigen- oder Provisionserlöse erhält.
Der Kläger sah die Erstellung der Entwürfe als künstlerische Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, während er die Umsetzung als gewerbliche Tätigkeit behandelte.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gelangte nach einer Betriebsprüfung zu der Auffassung, dass die Tätigkeit insgesamt gewerblich sei, da sie den Werbeinteressen der Kunden diene und wegen der Vorgaben der auftraggebenden (Sanitär-)Unternehmen nicht über die erforderliche künstlerische Gestaltungshöhe verfüge.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, es handle sich um eigenschöpferische Leistungen, in denen sich seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft ausdrücke; die Gestaltungshöhe gehe über gewisse Techniken hinaus. Er reichte beim Finanzgericht (FG) eine Mappe mit Arbeitsproben ein, bei denen es sich vornehmlich um Werbeprospekte handelte, und legte in der mündlichen Verhandlung Fotos weiterer Arbeiten einschließlich zweier Plastiken vor.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es legte die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zur selbständig ausgeübten künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bei zweckfreier Kunst einerseits und Gebrauchskunst andererseits dar (u.a. Hinweis auf die Senatsentscheidungen vom IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465; vom IV R 70/97, BFH/NV 1999, 456; vom IV R 50/96, BFHE 185, 400, BStBl II 1998, 441). Das FG führte sodann aus, dass die Beurteilung, ob die vom Kläger zu Werbe- bzw. Gebrauchszwecken gestalteten Arbeiten als Kunst i.S. des § 18 EStG eingeordnet werden könnten, besondere Sachkunde erfordere; es legte weiter dar, dass die Senatsmitglieder über die erforderliche Sachkunde verfügten, wie den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, in der die Streitsache sachkundig erörtert worden sei, zu erkennen gegeben worden sei. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens habe es deshalb nicht bedurft (u.a. Hinweis auf das Senatsurteil vom IV R 105/85, BFHE 149, 231, BStBl II 1987, 376, zum Büttenredner).
Die zu Werbe- und sonstigen Gebrauchszwecken erstellten Arbeiten des Klägers genügten nicht den hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine Anerkennung der sog. Gebrauchskunst als künstlerisch i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG stelle. Zwar seien eine besondere Kreativität des Klägers und hohe technische Fähigkeiten erkennbar; in gewisser Weise seien auch eigenschöpferische Leistungen eingeflossen. Das reiche jedoch nicht aus. Es fehle der für eine gewisse Gestaltungshöhe erforderliche Abstraktionsgrad. Die zu verwendenden Materialien und Formen seien vorgegeben, ebenso der Zweck; daher sei ein Abstrahieren nur begrenzt möglich gewesen. Die Bindungen durch Produkt- und Gebrauchszweck seien so deutlich prägend, dass keine abstrakte Aussage erkennbar werde. Die Revision sei nicht zuzulassen. Der Senat habe die Abgrenzung zwischen gewerblicher und künstlerischer Tätigkeit nach Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen.
Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Weiter stehe das FG-Urteil im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung (u.a. zum , BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543).
Schließlich beruhe das angefochtene Urteil auch auf Verfahrensfehlern. Das FG habe insbesondere auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet, obwohl er, der Kläger, dies in der Klageschrift und in einem weiteren Schreiben beantragt habe. Das Erreichen einer „gewissen künstlerischen Gestaltungshöhe” könne nur anhand besonderer Sachkunde beurteilt werden. Dazu sei regelmäßig die Einholung von Sachverständigengutachten erforderlich. Bei den Oberfinanzdirektionen (OFD) seien zu diesem Zweck Gutachterausschüsse eingerichtet (Hinweis auf Schmidt/Wacker, EStG, 25. Aufl., § 18 Rz. 70).
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (dazu unter 1.) oder weicht das angefochtene Urteil von anderer Rechtsprechung ab (2.) noch beruht die Vorentscheidung auf einem Verfahrensmangel (3.).
1. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22, zu Nr. 1; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N.). Die bloße Behauptung, dass eine gesetzliche Regelung in unzulässiger Weise verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen einschränke oder verfassungsrechtlich zweifelhaft sei, reicht allerdings zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht aus (vgl. u.a. , BFH/NV 2005, 1238).
Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28; Senatsbeschluss vom IV B 24/04, BFH/NV 2006, 91).
a) Nach Auffassung des Klägers kommt der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob das durch die Rechtsprechung eingeführte Tatbestandsmerkmal der „gewissen Gestaltungshöhe” zur Abgrenzung der künstlerischen von der gewerblichen Tätigkeit bei sog. Gebrauchskunst verfassungsrechtlich zulässig sei; es sei wertungswidersprüchlich und verstoße gegen die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) und den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, eine solche Qualitätsanforderung bei einem Teil der künstlerischen Tätigkeit (der sog. Gebrauchskunst) aufzustellen, bei einem anderen Teil der künstlerischen Tätigkeit (zweckfreie Kunst) und bei der schriftstellerischen Tätigkeit dagegen nicht (Hinweis auf Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz. 67; Heuer, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1983, 638; Kempermann, Finanz-Rundschau —FR— 1992, 250, 252).
b) Der BFH hat jedoch bereits entschieden, dass die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „künstlerische Tätigkeit” durch die höchstrichterliche Rechtsprechung den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 GG in gebotenem Maße Rechnung trägt. Er hat sich dabei ausdrücklich mit der in der Literatur vertretenen Auffassung, die Prüfung der „künstlerischen Gestaltungshöhe” sei nicht zulässig, auseinander gesetzt und ist ihr nicht gefolgt (, BFH/NV 1999, 460, unter II.1.c, bb).
Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Entscheidung des BFH erforderlich erscheinen ließen, ergeben sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Das gilt auch, soweit darin eine Ungleichbehandlung der Gebrauchskunst gegenüber zweckfreier Kunst geltend gemacht wird. Denn im letzteren Falle stellt sich die Frage einer gewerblichen Tätigkeit grundsätzlich nicht, so dass das Kriterium der „gewissen Gestaltungshöhe” entbehrlich ist.
c) Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe abweichend von der bisherigen Rechtsprechung als weiteres Tatbestandsmerkmal einer künstlerischen Tätigkeit im Falle der sog. Gebrauchskunst verlangt, dass es sich um Werke mit unverwechselbarem Charakter handeln müsse, die sich als eigenständige Objekte auf dem Kunstmarkt behaupten könnten, ergibt sich daraus ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Denn das FG hat sich ausdrücklich auf die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung der künstlerischen von einer gewerblichen Tätigkeit gestützt und diese auf den Streitfall angewendet. In diesem Zusammenhang hat es zwar auch darauf abgestellt, dass die vom Kläger gefertigten Objekte nicht losgelöst vom Werbeprodukt einen eigenen Bestand als Kunstwerk hätten; das ist im Rahmen der vom FG vorzunehmenden Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles jedoch nicht zu beanstanden.
2. Deswegen ist das FG auch nicht vom BFH-Urteil in BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543 abgewichen.
3. Es liegt schließlich auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
a) Ein Verfahrensmangel ergibt sich nicht daraus, dass das FG dem schriftsätzlich gestellten Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefolgt ist. Denn dazu hätte der Kläger auch darlegen müssen, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom IV B 61/04, BFH/NV 2006, 85).
Daran fehlt es. Das FG hatte bis zur mündlichen Verhandlung kein Sachverständigengutachten eingeholt, wie für die Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne weiteres erkennbar war. In der mündlichen Verhandlung wurde —wie sich sowohl aus dem angefochtenen Urteil als auch aus der Beschwerde ergibt— über die künstlerische Einordnung der vom Kläger gefertigten Objekte gesprochen. Anhaltspunkte dafür, dass das FG die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Aussicht gestellt hätte, ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers nicht. Ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass das FG dies nicht beabsichtigte, war unter diesen Umständen nicht erforderlich. Wenn der Kläger gleichwohl der Auffassung war, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte, hätte er die Unterlassung rügen müssen. Das ist ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung nicht geschehen; der Beweisantrag wurde in der mündlichen Verhandlung auch nicht wiederholt.
b) Das FG hat auch weder die Sachaufklärungspflicht noch in diesem Zusammenhang den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Zwar erfordert die Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere im Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde (vgl. u.a. , BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22; vom VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474, und in BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543). Das Gericht muss sich diese verschaffen, sofern es sie nicht in dem konkret erforderlichen Maße selbst besitzt; dazu kann insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein (s. hierzu wiederum die BFH-Urteile in BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22; in BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474, und in BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543). Holt das Gericht in Grenz- und Übergangsfällen kein Sachverständigengutachten ein, muss dies für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein; die besondere Sachkunde des Gerichts muss dann in den Urteilsgründen nachprüfbar dargelegt werden (BFH-Urteil in BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22). Soweit sich aus dem Senatsurteil in BFHE 149, 231, BStBl II 1987, 376 über den entschiedenen Fall eines Büttenredners oder vergleichbare Fälle hinaus etwas anderes ergeben sollte, hält der Senat daran nicht fest.
Das FG hat nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, dass es nach eigener Auffassung selbst über die im Streitfall erforderliche Sachkunde verfügte. Die Gründe dafür hat es im angefochtenen Urteil dargelegt. Es war für den rechtskundig vertretenen Kläger erkennbar, dass das FG von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen würde. Wenn der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung gleichwohl weder den Beweisantrag wiederholt noch die unterlassene Beweiserhebung gerügt hat, war eine weitere Sachaufklärung nicht geboten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 709
BB 2006 S. 1954 Nr. 36
BFH/NV 2006 S. 1955 Nr. 10
BStBl II 2006 S. 709 Nr. 17
DB 2006 S. 1877 Nr. 35
DStRE 2006 S. 1118 Nr. 18
DStZ 2006 S. 606 Nr. 18
EStB 2006 S. 321 Nr. 9
FR 2006 S. 927 Nr. 20
HFR 2006 S. 1217 Nr. 12
INF 2006 S. 726 Nr. 19
NJW 2007 S. 1776 Nr. 24
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2007 S. 1229
NWB-Eilnachricht Nr. 35/2006 S. 2908
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2008 S. 541
SJ 2006 S. 4 Nr. 20
StB 2006 S. 362 Nr. 10
StBW 2006 S. 2 Nr. 18
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2006 S. 684
WPg 2006 S. 1288 Nr. 20
OAAAB-92657