BFH Beschluss v. - II B 99/05

Zu Unrecht ergangenes Prozessurteil als Verfahrensmangel; Feststellungslast für Tag der Aufgabe eines Verwaltungsaktes zur Post trägt Finanzamt

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; AO § 122

Instanzenzug:

Gründe

I. Das Finanzamt D setzte gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Grunderwerbsteuer fest und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Es gab die Einspruchsentscheidung dem Kläger mit einfachem Brief bekannt, ohne den Tag der Aufgabe zur Post wie vorgesehen auf Blatt 1 der Aktenausfertigung oder bei den Erledigungsvermerken festzuhalten.

Der Kläger führte in der auf den 19. Januar „2001” datierten, am beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klageschrift aus, er sei verreist gewesen. Die Post sei ihm nachgesandt worden und habe ihn erst am erreicht.

Das FG wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, der Kläger habe sie nicht fristgerecht erhoben. Die Einspruchsentscheidung sei am als einfacher Brief zur Post gegeben worden, wie der zuständige Mitarbeiter auf der Rückseite des Rubrums der in der Akte verbliebenen Ausfertigung der Einspruchsentscheidung vermerkt habe. Die Einspruchsentscheidung gelte damit am Montag, den , als zugegangen und habe den Kläger jedenfalls vor dem tatsächlich erreicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Versäumung der Klagefrist sei nicht zu gewähren. Der Angabe der früheren Anschrift des FG in der Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung komme keine Bedeutung zu.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Das Finanzamt D habe den Tag der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post nicht vermerkt. Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) greife daher nicht. Das FG habe die Klage zudem im Hinblick auf die Angabe einer unzutreffenden Anschrift des FG in der der Einspruchsentscheidung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung nicht als unzulässig abweisen dürfen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt —FA—) ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Dies ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die Vorentscheidung beruht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, und vom II B 140/03, BFH/NV 2005, 237). Der Senat entscheidet dabei aufgrund eigener Feststellungen (, BFH/NV 2005, 1120).

1. Die Klage wurde rechtzeitig erhoben.

a) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt grundsätzlich mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wird die Einspruchsentscheidung durch die Post übermittelt, gilt sie nach § 365 Abs. 1 i.V.m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese Dreitagesfrist verlängert sich, wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Samstag fällt, bis zum nächstfolgenden Werktag mit der Folge, dass die Einspruchsentscheidung an diesem Werktag als bekannt gegeben gilt (, BFHE 203, 26, BStBl II 2003, 898, und vom IX R 60/03, BFH/NV 2005, 327). Der Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist auch dann für den Beginn der Klagefrist maßgebend, wenn die Einspruchsentscheidung dem Adressaten bereits früher zugeht (, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274).

Das FA trägt die Feststellungslast (objektive Beweislast) für den Tag der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post. Aus dem Datum einer Einspruchsentscheidung lässt sich nicht auf den Tag der Aufgabe zur Post schließen (, BFH/NV 2001, 1365, m.w.N.; vgl. auch , BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695). Der Beweis der Aufgabe einer Einspruchsentscheidung zur Post an einem bestimmten Tag kann nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises geführt werden, wenn die Absendung des Bescheids nicht in einem Absendevermerk der Poststelle des FA festgehalten ist (vgl. , BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211).

b) Da das Finanzamt D den Tag der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post nicht festgehalten hat, lässt sich nicht feststellen, wann dies der Fall war. Die „Rückseite des Rubrums der in der Akte verbliebenen Ausfertigung der Einspruchsentscheidung”, auf der nach der Vorentscheidung der zuständige Mitarbeiter die Aufgabe zur Post vermerkt haben soll, enthält keinen entsprechenden Vermerk. Andere Beweismittel, wie etwa ein Postausgangsbuch, wurden nicht vorgelegt. Es ist daher zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass die Einspruchsentscheidung nicht vor dem zur Post gegeben wurde und dass daher die in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bestimmte Frist frühestens am endete, da der 22. und auf ein Wochenende fielen. Die Klagefrist war somit mit dem Eingang der Klageschrift am beim FG gewahrt.

c) Es kommt danach nicht darauf an, ob die Angabe der bisherigen Anschrift des FG in der der Einspruchsentscheidung beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung zu deren Unrichtigkeit mit der Folge führt, dass die Klagefrist nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO ein Jahr beträgt, oder ob bei einer Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren wäre.

2. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids zu entscheiden haben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1860 Nr. 10
BAAAB-92122