BVerfG Beschluss v. - 2 BvL 9/00

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 81a; BVerfGG § 80 Abs. 2 Satz 1; KEZG § 1 Abs. 1 Satz 1; KEZG § 1 Abs. 1 Satz 2; BeamtVG § 6 Abs. 1 a.F.; BeamtVG § 6 Abs. 1 Satz 4; BeamtVG § 6 Abs. 1 Satz 5; BeamtVG § 85 Abs. 7; BeamtVG §§ 50a ff.; BeamtVG § 85 Abs. 7 Satz 1; GG Art. 100 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1

Instanzenzug: VG Frankfurt am Main 9 E 3167/00 (V) vom

Gründe

I.

Gegenstand der Vorlage ist die Regelung, wonach sich die Berücksichtigung der Zeit einer Kindererziehung bei der Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit für ein vor dem geborenes Kind weiterhin nach § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) in der bis zum geltenden Fassung richtet (§ 85 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom , BGBl I S. 322).

1. Gemäß § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG in der bis zum geltenden Fassung (BGBl I 1987, S. 570, 1339) war die Zeit eines Erziehungsurlaubes bis zu dem Tag ruhegehaltfähig, an dem das Kind sechs Monate alt wird. Dies galt entsprechend für die in eine Freistellung vom Dienst aus arbeitsmarkt- oder familienbezogenen Gründen fallende Zeit einer Kindererziehung von der Geburt des Kindes bis zu dem Tag, an dem das Kind sechs Monate alt wird. Mit dem Gesetz zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl I S. 2218) wurden die Sätze 4 und 5 des § 6 Abs. 1 BeamtVG a.F. mit Wirkung ab gestrichen; gleichzeitig wurde als Art. 16 des genannten Gesetzes das Gesetz über die Gewährung eines Kindererziehungszuschlags (Kindererziehungszuschlagsgesetz - KEZG) eingeführt. In enger Anlehnung an das gleichzeitig verabschiedete Rentenreformgesetz 1992 erhöhte sich nach § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KEZG das Ruhegehalt eines Beamten oder Richters bei einem nach dem geborenen Kind für jeden Monat eines Erziehungsurlaubs nach Vollendung des 17. Lebensjahres während eines Beamtenverhältnisses oder eines anderen öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses um 6,25 vom Hundert des aktuellen Rentenwertes nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches, soweit nicht ein anderer Elternteil in dieser Zeit wegen Erziehung des Kindes in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Dies galt entsprechend für Zeiten einer Kindererziehung, die in eine Freistellung vom Dienst aus arbeitsmarkt- oder familienbezogenen Gründen fielen. Zugleich wurde in § 85 Abs. 7 BeamtVG angeordnet, dass sich die Berücksichtigung der Zeit einer Kindererziehung für ein vor dem geborenes Kind weiter nach § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG in der bis zum geltenden Fassung richtet.

Nach dem Beschluss des Ersten Senats des (BVerfGE 94, 241) führte das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom (BGBl I S. 2998 - Rentenreformgesetz 1999) erstmals eine so genannte additive Anrechnung von Kindererziehungszeiten, die mit vorhandenen Beitragszeiten zeitgleich zusammenfallen, bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze ein. Eine entsprechende Regelung wurde in § 1 Abs. 1 des durch Art. 8 des Gesetzes zur Umsetzung des Versorgungsberichts vom (BGBl I S. 1666 - Versorgungsreformgesetz 1998) zum neu gefassten Kindererziehungszuschlagsgesetzes übernommen. Hiernach erhöhte sich das Ruhegehalt eines Beamten oder Richters für jeden Monat einer ihm zuzuordnenden Kindererziehungszeit um einen Kindererziehungszuschlag nach Maßgabe des Kindererziehungszuschlagsgesetzes, dies allerdings nur dann, wenn es sich um ein nach dem geborenes Kind handelt. Für vor diesem Stichtag geborene Kinder galt § 85 Abs. 7 BeamtVG unverändert fort. Eine vergleichbare Stichtagsregelung war im Rentenreformgesetz 1999 nicht mehr enthalten. Das Versorgungsänderungsgesetz 2001 vom (BGBl I S. 3926) hat in der Beamtenversorgung keine inhaltlichen Änderungen an der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vorgenommen; das am außer Kraft getretene Kindererziehungszuschlagsgesetz ist nunmehr in den §§ 50a ff. BeamtVG enthalten.

2. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist Ruhestandsbeamtin des Landes Hessen. Sie begehrt mit ihrer Klage die Berücksichtigung von vier zusätzlichen halben Jahren für Geburt und Erziehung ihrer am , , und geborenen Kinder bei der Festsetzung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit, obwohl die vier Halbjahre nach den Geburten ihrer Kinder aufgrund ihrer seinerzeit aufrechterhaltenen Vollzeitbeschäftigung schon als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt worden sind.

3. Mit Beschluss vom hat das Gericht das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage angerufen, ob § 85 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BeamtVG in der bis geltenden Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.

Das vorlegende Gericht hält die Regelung für verfassungswidrig, weil sie bei vor dem geborenen Kindern eine additive Anrechnung der Erziehungshalbjahre bei zugleich erwerbstätigen Beamtinnen und Beamten ausschließt. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom (BVerfGE 94, 241) zwar nur für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 GG in derartigen Fällen eine Steigerung der Altersversorgungsleistungen verlange. Die dafür angeführten Gründe beanspruchten aber auch für das Beamtenversorgungsrecht Geltung. Auch hier sei in zusätzlicher Weise die spezifische Leistung der Geburt von Kindern und ihrer späteren Erziehung und der positive Beitrag zum Generationenvertrag finanziell für das Alter anzuerkennen. Die Klägerin, die ab 1981 bis 1993 im höchstmöglichen Umfang wegen der Erziehung ihrer Kinder teilzeitbeschäftigt bzw. beurlaubt gewesen sei, ehe sie im Jahr 2000 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sei, werde durch die Nichtanerkennung der Zeiten unmittelbar nach den Geburten ihrer Kinder unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG schlechter behandelt als diejenigen Beamtinnen und Beamten, die unmittelbar im Anschluss an die Geburt von Kindern dem Dienstherrn keine Leistungen erbracht hätten. Die Besonderheiten der Beamtenversorgung rechtfertigten keine andere Behandlung als die, die das Bundesverfassungsgericht den rentenberechtigten Beschwerdeführerinnen in seiner Entscheidung vom habe angedeihen lassen.

II.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss die Begründung einer Richtervorlage angeben, inwiefern die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von der Gültigkeit der vorgelegten Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Bestimmung sie unvereinbar ist. Dem genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn das Gericht seine Überzeugung von der Entscheidungserheblichkeit und der Verfassungswidrigkeit der Norm näher begründet und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen umfassend und nachvollziehbar darlegt (vgl. BVerfGE 86, 52 <57>; 88, 198 <201>; 97, 49 <60>). Hierzu muss sich das Gericht eingehend auch mit den Gesetzesmaterialien sowie mit den zur Auslegung der vorgelegten Norm in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen auseinander setzen (vgl. BVerfGE 65, 308 <316>; 77, 259 <262>; 92, 277 <312>; 97, 49 <60>). Wird im Vorlagebeschluss in Bezug auf die zur Überprüfung gestellte Norm ein verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, der von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweicht, hat das vorlegende Gericht seinen Maßstab in Auseinandersetzung mit der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts näher zu begründen (vgl. BVerfGE 80, 182 <186>).

Eine sorgfältige Prüfung dieser Voraussetzungen ist geboten, weil das vorlegende Gericht mit der Aussetzung des Verfahrens den Beteiligten zunächst eine Entscheidung zur Sache vorenthält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert (vgl. BVerfGE 78, 165 <178>). Der Grundgedanke des Art. 100 Abs. 1 GG, die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers im Verhältnis zur Rechtsprechung zu wahren, verlangt, dass das Gericht sich seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm in Auseinandersetzung mit den hierfür maßgeblichen Gesichtspunkten bildet, bevor es das Bundesverfassungsgericht anruft (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>).

2. Der Vorlagebeschluss genügt den vorstehend aufgeführten Anforderungen nicht.

a) Er lässt schon nicht erkennen, dass das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Regelung des § 85 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG zu einem anderen Ergebnis kommen könnte als im Fall ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173>). Das Begehren der Klägerin richtet sich ausweislich ihres auch im Vorlagebeschluss wiedergegebenen Klageantrags auf die Festsetzung eines Ruhegehaltssatzes von 53,06 vom Hundert, der sich bei Berücksichtigung von zwei zusätzlichen Dienstjahren (sechs Monate für jedes Kind) ergibt. Diesem Antrag aber könnte das Verwaltungsgericht auch dann nicht stattgeben, wenn das Bundesverfassungsgericht die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erklären würde. In diesem Fall käme für die Klägerin die Anwendung des Kindererziehungszuschlagsgesetzes in der Fassung des Versorgungsreformgesetzes 1998 in Betracht. Das hätte die Bewilligung eines 48 anrechenbare Monate umfassenden Kindererziehungszuschlags in Höhe von 8,33 vom Hundert des aktuellen Rentenwertes zur Folge. Für eine Verpflichtung des Landes Hessen, zugunsten der Klägerin einen Ruhegehaltssatz von 53,06 vom Hundert festzusetzen, fehlte es weiterhin an einer Rechtsgrundlage. Dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet wäre, eine Neuregelung mit dem von der Klägerin in ihrem Antrag begehrten Inhalt zu treffen, ist nicht ersichtlich.

b) Das vorlegende Gericht macht zudem nicht hinreichend deutlich, inwieweit aus der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 94, 241) ein verfassungsrechtliches Gebot abzuleiten sei, Kindererziehungszeiten auch im Beamtenversorgungsrecht als zusätzliche ruhegehaltfähige Dienstzeiten ohne Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes additiv anzurechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehalten sei, im Rentenrecht Kindererziehungszeiten auf der Grundlage des additiven Modells zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 94, 241 <265>). In der beamtenrechtlichen Literatur wird die fortbestehende Unterscheidung zwischen Kindern, die vor dem , und solchen, die nach dem geboren sind, unbeanstandet zur Kenntnis genommen und im Übrigen darauf hingewiesen, dass gesetzliche Rentenversicherung und Beamtenversorgung eigenständige Alterssicherungssysteme mit grundsätzlich unterschiedlichen Regelungsansätzen seien (vgl. Krahforst/Rudolph, ZBR 1998, S. 376 <377, 378>; Stegmüller/ Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Erl. 14 zu § 85).

Eine versorgungsrechtliche Ungleichbehandlung von Beamten, ihren Angehörigen und Hinterbliebenen einerseits und Arbeitnehmern, ihren Angehörigen und Hinterbliebenen andererseits ist im Hinblick auf die Eigenständigkeit der versorgungsrechtlichen Rechtssysteme nach Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht zu beanstanden. Denn die privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse unterliegen eigenen Prinzipien, die für öffentlich-rechtlich geregelte Dienstverhältnisse keine Geltung beanspruchen (vgl. BVerfGE 52, 303 <345 f.>; 98, 365 <391>).

Bei § 85 Abs. 7 Satz 1 BeamtVG handelt es sich zudem um eine Stichtags- und Übergangsregelung. Das vorlegende Gericht hätte hierzu berücksichtigen müssen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Überleitung bestehender Rechtslagen, Berechtigungen und Rechtsverhältnisse über einen breiten Gestaltungsspielraum verfügt (vgl. BVerfGE 43, 242 <288>). Da es in solchen Fällen unmöglich ist, die unter dem alten Recht entstandenen Rechtsverhältnisse vollständig dem neuen Recht zu unterstellen, und der Grundsatz der Rechtssicherheit klare schematische Entscheidungen über die zeitliche Abgrenzung zwischen altem und neuem Recht verlangt, ist der Gesetzgeber berechtigt, Stichtage einzuführen (vgl. BVerfGE 13, 31 <36 ff.>; 44, 1 <20 ff.>). Die Wahl eines Stichtages überhaupt, die Wahl des Zeitpunktes sowie die Auswahl unter den für die Anknüpfung an den Stichtag in Betracht kommenden Faktoren müssen freilich sachlich vertretbar sein (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des u.a. -, DVBl 1995, S. 1232 ff. <1233>). Härten, die daraus resultieren, dass die tatsächliche Situation derjenigen Personen, die durch Erfüllung der Stichtagsvoraussetzungen gerade noch in den Genuss der Neuregelungen gelangen, sich von der Lage derjenigen unterscheidet, bei denen diese Voraussetzungen fehlen, machen eine Stichtagsregelung aber noch nicht verfassungswidrig (vgl. BVerfGE 49, 260 <275 f.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
FAAAB-86368