BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 661/96

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 12; GG Art. 33; GG Art. 33 Abs. 2; RNPG § 6; StGB/DDR § 214; BVerfGG § 90 Abs. 1; BVerfGG § 93 c Abs. 1; BNotO § 1; GVG/DDR § 26;

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beteiligung an politischen Strafverfahren in der Deutschen Demokratischen Republik der Berufstätigkeit als Notar entgegensteht.

Verfahrensgegenstand sind behördliche und gerichtliche Entscheidungen, durch die eine ehemalige Richterin wegen ihrer Mitwirkung an der Strafverfolgung aufbegehrender und ausreisewilliger Bürger der Deutschen Demokratischen Republik ihres Amtes als Notarin enthoben worden ist. Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidungen sind Bestimmungen des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom (BGBl I S. 1386; im Folgenden: RNPG), dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht bereits grundsätzlich geklärt hat (vgl. BVerfGE 93, 213 <235 ff.>). Hier geht es allein um die Frage, welche berufsrechtlichen Konsequenzen nach § 6 RNPG aus der richterlichen Mitwirkung im politischen Strafrecht gezogen werden können, wenn der Tatbestand der Rechtsbeugung nicht verwirklicht ist.

1. Die Beschwerdeführerin ist Notarin im Beitrittsgebiet. Nach dem Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin wurde sie 1980 zur Richterin gewählt. Sie war am Kreisgericht, zu dessen Direktorin sie 1988 berufen wurde, in den Jahren 1985 bis 1988 Strafrichterin und erließ mehrere Strafurteile wegen versuchten so genannten ungesetzlichen Grenzübertritts (§ 213 StGB/DDR) und wegen Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 StGB/DDR). Davon wurden neun Verfahren im Zusammenhang mit der Amtsenthebung maßgeblich. Die von der Beschwerdeführerin getroffenen Entscheidungen sind im Einzelnen in dem mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts dargelegt, den der Bundesgerichtshof aufgehoben hat; zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin Bewährungsstrafen verhängte oder Freiheitsstrafen von unter einem Jahr bis höchstens eineinhalb Jahren und sodann die Strafreste nach kurzer Zeit zur Bewährung aussetzte.

Nachdem es ihr nahe gelegt worden war, schied die Beschwerdeführerin im Februar 1990 aus dem Justizdienst aus, ließ sich zur Notarin ausbilden und betreibt seitdem gemeinsam mit einem weiteren Notar ihr Notariat. Dort bearbeitet sie vorwiegend Grundstücks-, Erb- und Gesellschaftsangelegenheiten. Beanstandungen ergaben sich hieraus nicht. Mit Wirkung vom wurde die Beschwerdeführerin vom Sächsischen Staatsministerium der Justiz gemäß § 6 RNPG ihres Amtes enthoben. Vollzogen ist die Amtsenthebung bisher nicht.

Die Entscheidung ist darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit von 1985 bis 1988 menschenrechtsverletzende Verurteilungen ausgesprochen habe. Sie habe gegen die Angeklagten in politischen Strafsachen Freiheitsstrafen wegen Vergehen ausgesprochen, die sich lediglich als Ausübung grundlegender Menschenrechte dargestellt hätten. Als Direktorin des Kreisgerichts sei es ihre Aufgabe gewesen, für die Einhaltung des Wertesystems der sozialistischen Gesetzlichkeit zu sorgen. Damit habe sie gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen.

Vor dem Oberlandesgericht hatte die Beschwerdeführerin Erfolg; der Senat für Notarverwaltungssachen hielt die Beschwerdeführerin auch angesichts der gegen sie vorgebrachten Vorwürfe nicht für ungeeignet als Notarin.

Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und den Antrag der Beschwerdeführerin auf gerichtliche Entscheidung gegen den angegriffenen Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums zurückgewiesen (vgl. DtZ 1996, S. 272). Im Sinne von § 6 RNPG habe die Beschwerdeführerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Der Tatbestand dürfe zwar bei Notaren nicht anders ausgelegt werden als bei Rechtsanwälten; wegen der strengeren persönlichen Anforderungen an die Eignung für das Notaramt könne man allerdings bei der Beurteilung der Ungeeignetheit für das Notaramt oder der Unwürdigkeit für den Rechtsanwaltsberuf zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zwar stelle nicht schon die Mitwirkung an politischen Strafsachen generell einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit dar; die Beschwerdeführerin habe jedoch Strafen verhängt, die in grobem Missverhältnis zu dem selbst nach den damals herrschenden Rechtsvorstellungen allenfalls anzunehmenden Unrecht und zur Schuld gestanden hätten. Wenn auch Art. 12 des Internationalen Pakts vom über bürgerliche und politische Rechte (im Folgenden: IPbürgR) nicht in innerstaatliches Recht transformiert worden sei, hätte die Ausreisefreiheit als Menschenrecht von der Deutschen Demokratischen Republik nicht im Kern angetastet werden dürfen. Das sei aber geschehen, weil die Gerichte in Übereinstimmung mit der von höchsten staatlichen Stellen verfolgten Zielrichtung § 214 StGB/DDR dahin ausgelegt hätten, dass jede erheblichere Kritik an den Regelungen und der Praxis der Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik erfasst worden sei. Die Norm habe zusammen mit anderen Bestimmungen des politischen Strafrechts als ein durch die Leitungstätigkeit des Justizministeriums und des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik gesteuertes Mittel zur Unterdrückung und unnachsichtigen Disziplinierung ausreisewilliger Bürger gedient. Hieran habe sich die Beschwerdeführerin beteiligt, indem sie Freiheitsstrafen von einem Jahr und mehr verhängt habe, was eine exzessive, rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwiderlaufende Bestrafung bedeute. Die Amtsenthebung sei daher verhältnismäßig. Der Beschwerdeführerin werde damit auch nicht der Weg zu einer selbständigen juristischen Tätigkeit, die weniger staatsnah sei, versperrt.

2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Anders als das Oberlandesgericht, das die Amtsenthebung nicht für gerechtfertigt gehalten habe, habe der Bundesgerichtshof die Grundrechtsausstrahlung bei der Auslegung von § 6 RNPG verkannt. Voraussetzung für die Amtsenthebung sei, dass die Notarin durch konkret nachweisbares eigenes Verhalten objektiv gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit verstoßen habe und dass dies subjektiv schuldhaft geschehen sei. Die Wahrnehmung bestimmter Funktionen im System genüge nicht. Der Gesetzgeber habe zum Ausdruck gebracht, dass für die Amtsenthebung im Wesentlichen bei Rechtsanwälten und Notaren die gleichen Kriterien zu gelten hätten. Es müssten daher besondere Umstände zur Strafrichtertätigkeit hinzutreten. Der Betroffene müsste entweder selbst fundamentale Schutzgüter verletzt haben oder es müsste absehbar gewesen sein, dass die Tätigkeit zu solchen Verletzungen führte. Ein derartiger Verstoß könne etwa dann vorliegen, wenn das Handeln mit der Erwartung verbunden sei, dass dem Betroffenen unmenschliche und rechtsstaatswidrige Folgen gedroht hätten oder dass unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit missachtet worden seien. Das könne etwa dann angenommen werden, wenn das Handeln als Ausgangspunkt systembezogener Verfolgungshandlungen gewollt und hierzu ersichtlich auch geeignet gewesen sei. Die dem System und der sozialistischen Gesetzlichkeit geschuldete Loyalität allein seien nicht ausreichend. Die bloße Beteiligung von Richtern an politischen Strafsachen könne ebenso wenig genügen wie die bloße Zugehörigkeit zum Ministerium für Staatssicherheit oder die Verpflichtung als inoffizieller Mitarbeiter.

In den angegriffenen Entscheidungen fehlten konkrete Hinweise dazu, dass die Beschwerdeführerin ihr Amt als Direktorin des Kreisgerichts dazu genutzt habe, in politischen Straftaten verfolgend tätig zu werden. Ihre herausragende Position erübrige die Einzelfallprüfung nicht. Es gehe nicht an, dass der Bundesgerichtshof selbst entscheide, dass § 214 StGB/DDR gegen Menschenrechte verstoßen habe, weshalb dessen Anwendung immer einen solchen vorwerfbaren Verstoß enthalte. Von der Beschwerdeführerin habe nicht verlangt werden können, dass sie ihr Richteramt niederlege; das wäre aber praktisch die Folge gewesen, wenn sie sich nicht an den generellen Rahmen der Strafpraxis in der Deutschen Demokratischen Republik gehalten hätte. Auch der Gesetzgeber habe das so gesehen, weil er die Tätigkeit als Strafrichter über politisch motivierte Straftaten im Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter nicht einmal erwähne.

Die Beschwerdeführerin habe auch nicht schuldhaft gehandelt. Der Vorwurf der Rechtsbeugung sei nicht erhoben worden. Unterhalb des Rechtsbeugungsvorwurfs könne eine Amtsenthebung allenfalls in Betracht kommen, wenn schwerwiegende schuldhafte individuelle Verstöße gegen Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit festzustellen seien. Daran fehle es hier, wie das Oberlandesgericht überzeugend festgestellt habe. Es gehe im Übrigen nicht an, subtile westliche Abwägungsmaßstäbe heranzuziehen. Ein Maßstab wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei den DDR-Richtern fremd gewesen; seine Missachtung könne nicht als grobe Menschenrechtsverletzung angesehen werden. Der Bundesgerichtshof lege bundesrepublikanische Maßstäbe an und verlange ein Verhalten, das für DDR-Richter das Ende der Karriere gewesen wäre.

Selbst wenn man das Verhalten in Einzelfällen anders beurteilen wollte, dürfe dies nicht zur Amtsenthebung führen, nachdem die Beschwerdeführerin mittlerweile sechs Jahre einwandfrei ihre Notartätigkeit versehen habe und die härteren Freiheitsstrafen von über einem Jahr im Zeitpunkt der Amtsenthebung bereits acht Jahre zurückgelegen hätten. Für die Amtsenthebung bedürfe es einer Negativprognose, für die vorliegend Anhaltspunkte nicht benannt seien. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass die Amtsenthebung weitgehend auf ein lebenslanges notarielles Berufsverbot hinauslaufe, weil die Chance, eine vergleichbare Notarstelle erneut zu erhalten, im Beitrittsgebiet äußerst gering sei.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich das Sächsische Staatsministerium der Justiz, die Bundesnotarkammer und die Notarkammer Sachsen geäußert. Sie halten die Verfassungsbeschwerde für nicht begründet.

a) Das Sächsische Staatsministerium der Justiz sieht die strafrechtliche Praxis in der Deutschen Demokratischen Republik in Widerspruch zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte; die Ausreise- und Meinungsfreiheit seien durch diese Praxis in ihrem unantastbaren Kern verletzt worden. Trotz ihrer an der Doktrin des Marxismus-Leninismus ausgerichteten Ausbildung hätte es der Beschwerdeführerin bei der gebotenen Anstrengung ihrer Erkenntniskräfte bewusst werden können, dass die Strafen unbeschadet der Übereinstimmung mit der herrschenden Gerichtspraxis gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstießen. Wenngleich die Beschwerdeführerin als Notarin ungeeignet sei, könne sie doch Rechtsanwältin werden.

b) Die Bundesnotarkammer geht davon aus, dass der Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit bei Anwälten und Notaren nach denselben Maßstäben zu beurteilen sei. Die Ungeeignetheit für das Notaramt und die Unwürdigkeit für den Anwaltsberuf wichen jedoch voneinander ab; beim Notar dürfe strenger geprüft werden. Allerdings erörtere der Bundesgerichtshof nicht ausdrücklich den schwerwiegenden individuellen Schuldvorwurf; das sei jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Späteres Wohlverhalten könne die Ungeeignetheit nicht beseitigen, das gelte vor allem dann, wenn das Wohlverhalten nach Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens liege.

c) Die Notarkammer Sachsen äußert Zweifel, ob ein Strafurteil, das sich im Rahmen des Üblichen bewege, zugleich ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Menschlichkeit darstellen könne. Hierüber lägen aber keine fundierten Erkenntnisse vor. Der Beschwerdeführerin komme auch kein Vertrauensschutz zu, weil sie bei der Amtsenthebung nur weniger als zwei Jahre im Amt tätig gewesen sei. Auch nach einem Zeitraum von etwa sechs Jahren dauere die Unwürdigkeit an, zumal die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit als Notarin erst zu einem Zeitpunkt aufgenommen habe, als sich der grundlegende Wandel in der Rechtsordnung bereits abgezeichnet habe.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Grundsätzliche Fragen wirft der vorliegende Fall auch nach der Auffassung, die sich der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in der Beratung am gebildet hat, nicht auf.

a) Eine Amtsenthebung, die die Betroffene zur Beendigung ihres gewählten Berufs zwingt, greift in die Freiheit der Berufswahl ein, die Art. 12 Abs. 1 GG schützt. Solche Eingriffe bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die ihrerseits den Anforderungen der Verfassung genügt. Sie sind nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (vgl. BVerfGE 97, 12 <26> m.w.N.).

b) Auch die Berufsausübung der Notare steht unter dem Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Da sie Inhaber eines öffentlichen Amtes sind, finden allerdings Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG Anwendung, die die Wirkungen des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückdrängen können (vgl. BVerfGE 73, 280 <292>). Aber auch Fragen der Eignung für den öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung sind vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfGE 92, 140 <151 ff.>). Insoweit ist anerkannt, dass die frühere Identifikation mit dem SED-Regime nur ein Faktor der Eignungsbewertung ist, in die konkret und einzelfallbezogen eine Würdigung der gesamten Persönlichkeit sowie das Verhalten nach dem Beitritt einzubeziehen sind (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 155; BVerfGE 96, 152 <165>).

c) Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in Bezug auf Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter bereits entschieden (vgl. BVerfGE 93, 213 <235 ff.>).

2. Grundlage der angegriffenen Entscheidungen ist § 6 RNPG, dessen Verfassungsmäßigkeit nach den genannten Entscheidungen nicht zweifelhaft ist. Nach dieser Vorschrift sind Notare, die zwischen dem 29. Juni und dem bestellt worden sind, des Amtes zu entheben, wenn sie nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht nach ihrer Persönlichkeit für das Notaramt nicht geeignet waren, weil sie gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, verstoßen haben.

3. Die Anwendung der Vorschrift in den angegriffenen Entscheidungen hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung hingegen nicht stand.

a) Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen können vom Bundesverfassungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>).

b) So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.

aa) Zu Recht gehen die angegriffenen Entscheidungen davon aus, dass die Befassung mit politischem Strafrecht für sich genommen nicht ausreicht, um das Tatbestandsmerkmal eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit zu erfüllen.

(1) Die schlichte Zugehörigkeit zum System gilt nicht einmal als ein ausreichendes Tatbestandsmerkmal im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, obwohl der Gesetzgeber diesen Sachverhalt als einen Indikator für solche Verstöße ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen hat. Anders als das bloße Faktum konspirativer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit hat der Gesetzgeber die Beteiligung an der politischen Strafjustiz der Deutschen Demokratischen Republik nicht als ein Merkmal hervorgehoben, das die Unwürdigkeit für den Rechtsanwaltsberuf oder die mangelnde Eignung für den Notarberuf indizieren kann. Das ist keine unbeabsichtigte Lücke. Denn als das Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter erlassen wurde, bereitete der Gesetzgeber das Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht vom (BGBl I S. 1814) vor, das für die Rehabilitierung an den aus westlicher Sicht objektiven Unrechtsgehalt bestimmter genau bezeichneter Strafrechtsnormen anknüpft; die Entscheidungsträger, die diese Normen anwandten, werden aber nicht eben deshalb zur Verantwortung gezogen, obwohl aus heutiger Sicht die Anwendung dieser Straftatbestände rechtsstaatlichem Strafen regelmäßig nicht entsprach. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte können daher Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nur solche Vorfälle betreffen, in denen innerhalb des hierarchisch gebundenen Strafrechtssystems der Deutschen Demokratischen Republik übereifrige Verfolger oder willfährige Handlanger parteiinterner Weisungen zum Nachteil der Angeklagten handelten oder in Geheim- oder in Scheinverfahren das Strafrecht zur Beseitigung unbequemer Mitmenschen nutzten.

(2) Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit durch einen mit dem politischen Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik befassten Richter kann nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände hinzutreten und der Richter durch schuldhaftes Verhalten entweder selbst fundamentale Schutzgüter verletzt hat oder es für ihn absehbar gewesen ist, dass solche Verletzungen die Folge seines Handelns sein werden (vgl. BVerfGE 93, 213 <243>).

Durch den von der Bundesrepublik Deutschland praktizierten Häftlingsfreikauf war auch im Westen hinlänglich bekannt, dass ein gewisser Anteil der Juristen in der Deutschen Demokratischen Republik an solchen Strafverfahren beteiligt war; sie haben nach den Vorermittlungen durch das Ministerium für Staatssicherheit (vgl. Behlert, in: Rottleuthner, Steuerung der Justiz in der DDR, Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, 1994, S. 287 <332 ff.>; Furian, Der Richter und sein Lenker, Politische Justiz in der DDR, 1. Aufl., 1992, S. 22 und S. 147 ff.; vgl. auch die MfS-Dienstanweisung Nr. 2/83 vom mit Anlage 6, in: Lochen/Meyer-Seitz <Hrsg.>, Die geheimen Anweisungen zur Diskriminierung Ausreisewilliger, Dokumente der Stasi und des Ministeriums des Innern, 1992, S. 89, 103, 180 ff., 191 ff.; Reuter, NJ 1990, S. 322 <323>) als Staatsanwälte die Anklage vertreten; sie haben als Richter entsprechend den Anleitungen des Staates (vgl. Ministerium der Justiz <Hrsg.>, Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, Kommentar zum Strafgesetzbuch, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 5. Aufl., 1987, § 99 Anm. 2 und 4; vgl. näher dazu Gängel, in: Rottleuthner, a.a.O., S. 33 f., 253 ff., 278 ff.) und des Obersten Gerichts (vgl. Informationen des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik, Sonderdruck, Juni 1979, S. 33 f., S. 68 f.; Informationen des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 6/1980, S. 8 f., und die Informationen des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 2/1988, S. 11 ff.) Strafen verhängt, die nach bundesrepublikanischen Maßstäben unverhältnismäßig waren. Als Rechtsanwälte haben sie ihren Mandanten von der Einlegung von Rechtsmitteln angesichts der bestehenden politischen Verhältnisse und der Aussicht auf Freikauf (vgl. Henrich, in: Bundesministerium der Justiz <Hrsg.>, Im Namen des Volkes?, über die Justiz im Staat des SED, Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, 2. Aufl., 1996, S. 209 <217>; Rehlinger, Freikauf: Die Geschäfte der DDR mit politisch Verfolgten 1961 bis 1989, 1991, S. 105; Werkentin, NJ 1992, S. 521 <525>) abgeraten. In Kenntnis dieser Besonderheiten der Strafrechtspflege in der Deutschen Demokratischen Republik hat sich der Gesetzgeber des Einigungsvertrages ein generelles Unwerturteil über die Handelnden versagt. Hiervon ist er auch im Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter nicht abgegangen.

Deshalb muss das Verhalten eines Richters, sollen Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden, im Einzelfall sorgfältig gewürdigt werden. Ein schwerwiegender individueller Schuldvorwurf ist nur gerechtfertigt, wenn die Handlungen als systembezogene Verfolgungshandlungen zu qualifizieren sind und die fundamentalen Rechte des Menschen sowie den Kernbestand eines rechtsförmig handelnden Staates verletzen. Stets ist zu berücksichtigen, ob nicht die Handlung innerhalb des Systems geboten, zur eigenen Sicherheit erforderlich oder der Loyalität gegenüber der sozialistischen Gesetzlichkeit geschuldet war (vgl. BVerfGE 93, 213 <244>).

bb) Nichts anderes gilt, wenn man berücksichtigt, dass der Notar nach § 1 BNotO auch Träger eines öffentlichen Amtes ist. Auch der Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG erlaubt bei der Eignungsprüfung keine Pauschalbeurteilungen. Für den Zeitpunkt der Amtsenthebung muss unter Berücksichtigung aller Qualifikationen und Eignungsmerkmale, die eine Person auch nach der Wende erworben haben kann, aufgrund einer Prognose mit konkreter und einzelfallbezogener Würdigung der gesamten Persönlichkeit die Entscheidung getroffen werden. Eine abschließende Beurteilung darf die Entwicklung nicht ausblenden, die ein Mensch nach dem Beitritt genommen hat. Die innere Einstellung eines Menschen kann sich ändern und die Erfahrungen und Einsichten, die gerade Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Beitritt und der nachfolgenden Entwicklung zuteil geworden sind, können eine solche Änderung herbeigeführt haben. Denn die Regelungen des Einigungsvertrages sind auf eine weitgehende Integration selbst der Angehörigen des öffentlichen Dienstes angelegt. Die früher für den Verbleib und Aufstieg im öffentlichen Dienst der Deutschen Demokratischen Republik notwendige und übliche Loyalität und Kooperation können nicht schon für sich allein die mangelnde Eignung begründen, obwohl damit Werthaltungen und Verhaltensmuster verbunden waren, die den in Art. 33 Abs. 2 GG vorausgesetzten widersprechen (vgl. BVerfGE 92, 140 <156 f.>; 96, 152 <168>).

cc) Mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen verträgt es sich nicht, dass der Bundesgerichtshof die Strafurteile, sowohl bei der tatbestandlichen Subsumtion als auch hinsichtlich des ausgeworfenen Strafmaßes, nach bundesrepublikanischen Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen überprüft. Diese galten in der Deutschen Demokratischen Republik nicht.

Nach dem Verfassungsverständnis der Deutschen Demokratischen Republik (vgl. Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR <Hrsg.>, Staatsrecht der DDR, Lehrbuch, 1. Aufl., 1977, S. 185, 207) und der Entwicklung des DDR-Strafrechts, das kontinuierlich verschärft wurde (vgl. das Strafgesetzbuch der DDR vom <GBl I S. 1>, das 2. Strafrechtsänderungsgesetz vom <GBl I S. 100> und das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom <GBl I S. 139>), sowie nach den Strafverfolgungsmaximen in Bezug auf aufbegehrende Ausreisewillige und den Steuerungsmechanismen der DDR-Justiz (vgl. die Nachweise unter II. 3. b aa <2>) kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Beschwerdeführerin milde geurteilt hat. Die eingeholten Stellungnahmen im Verfahren 1 BvR 514/97 (vgl. Beschluss vom heutigen Tage), die den Beteiligten bekannt sind, haben die aus der Literatur gewonnenen Erkenntnisse über die übliche Strafrechtspraxis in der Deutschen Demokratischen Republik dahin bestätigt, dass die Beschwerdeführerin sowohl hinsichtlich der absoluten Dauer der ausgeworfenen Strafen als auch hinsichtlich der großzügigen Strafaussetzung zur Bewährung zu den milden Richtern gehörte. Ihr Verhalten war gekennzeichnet durch ihren Wunsch auf Verbleib im Richterdienst, also der hierfür notwendigen und üblichen Loyalität. Schwerwiegende und individuelle Schuldvorwürfe können hieran nicht anknüpfen. Die vom Bundesgerichtshof angelegten Maßstäbe stellen an Richter Erwartungen, denen sie unter den Bedingungen des DDR-Justizsystems nicht gerecht werden konnten und für die sie auch keine der formalen Absicherungen in Anspruch nehmen konnten, die in der Bundesrepublik Deutschland die unabhängige Rechtsprechung sichern.

(1) Im geschriebenen Recht selbst gab es keine Anknüpfung für eine begrenzende Auslegung und Anwendung. Das Strafrecht wurde kontinuierlich verschärft, der Strafrahmen erhöht, der Tatbeginn auf Vorbereitungshandlungen vorverlegt (vgl. Ministerium der Justiz <Hrsg.>, Strafrecht der Deutschen Demokratischen Republik, a.a.O., § 213 Rn. 15) und die gemeinschaftliche Begehung als schwerer Fall eingeführt (vgl. Informationen des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 2/1988, S. 11 ff.). In diesem Rechtsverständnis ist die Beschwerdeführerin ausgebildet worden. Für die Einhaltung dieser Maximen war sie als Direktorin des Gerichts verantwortlich (§ 20 GVG/DDR vom - GBl I S. 457) und gemäß § 26 GVG/DDR rechenschaftspflichtig (vgl. Drews u.a., Grundlagen der Rechtspflege, Staatsverlag der DDR, 1. Aufl., 1983, S. 24 ff.). Andere Maßstäbe hat sie nicht kennen gelernt. Schließlich bestand auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik schon seit 1933 unter ganz unterschiedlichen politischen Verhältnissen kontinuierlich kein Rechtsstaat mehr.

(2) Entgegen den Annahmen im Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums hat sich die Ausreisefreiheit nicht zu einem unverbrüchlichen individuellen Menschenrecht verfestigt.

Im Völkerrecht wird die Ausreisefreiheit nicht als allgemeines Recht angesehen (vgl. Hofmann, Die Ausreisefreiheit nach Völkerrecht und staatlichem Recht, 1988, S. 64 <80 f.>). Der Parlamentarische Rat hat nach Erörterung dieser Frage entschieden, kein Recht auf Auswanderung als Grundrecht in das Grundgesetz aufzunehmen (vgl. Polakiewicz, EuGRZ 1992, S. 177 <186> m.w.N. in Fn 128; Pikart/Werner, Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/I, Ausschuss für Grundsatzfragen, 1993, S. 101 ff.). Ausreiseverbote sind auch in der Bundesrepublik Deutschland verhängt worden, wenn eine Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik durch abträgliche Äußerungen im Ausland befürchtet wurde (vgl. BVerwGE 3, 71; BVerfGE 6, 32 <34 f., 41 ff.> - Elfes). Bis in die jüngste Zeit sind sie damit gerechtfertigt worden, dass von zu erwartenden Meinungsäußerungen der Antragsteller eine Belastung der Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen Staaten zu erwarten war (vgl. VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1995, S. 151, sowie VG Frankfurt, NVwZ 1990, S. 401 ff.).

(3) Für eine menschenrechtsfreundliche Anwendung des in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Rechts stand dem Richter zudem kein institutionell abgesicherter Handlungsspielraum zur Verfügung. Dies hat der Bundesgerichtshof in anderen Zusammenhängen ähnlich gesehen (vgl. BGHZ 53, 95). DDR-Richter waren nicht unabhängig, sondern durch die Wiederwahlanforderungen, die ständige Kontrolle und die jederzeitige Absetzbarkeit in hohem Maße vom Wohlwollen der Parteiführung abhängig (vgl. Sorgenicht u.a. <Hrsg.>, Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Dokumente, Kommentar, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1969, Bd. 2, S. 427, 460; Drews u.a., Grundlagen der Rechtspflege, Staatsverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1. Aufl., 1983, S. 24 ff.; vgl. auch Rottleuthner <Hrsg.>, Das Havemann-Verfahren, 1. Aufl., 1999, S. 273 ff.). Sie hatten zudem fast keine Möglichkeiten, in andere Berufe auszuweichen, weil insbesondere die frei gewählte Niederlassung als Rechtsanwalt ausschied (vgl. Lorenz, Die Rechtsanwaltschaft in der DDR, 1998, S. 258 ff.).

(4) Nach der Grundentscheidung des Einigungsvertrages und des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter kann daher die Schuld der Beschwerdeführerin nicht daran gemessen werden, wie viel oder wie wenig Widerstand sie dem DDR-Justizsystem entgegengesetzt hat, sondern nur daran, welche Ergebnisse sie - gemessen an den fundamentalen Normen von Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit - zu verantworten hat. Das Ergebnis ihrer Strafzumessung muss in Beziehung gesetzt werden zu seinem Anlass und den fundamentalen Grundsätzen von Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit. Würdigt man den Vorwurf einer menschenrechtswidrigen Freiheitsentziehung, bleibt auch eine Beurteilung nur nach der Höhe des Strafantrags oder nach der ausgeworfenen Strafe ohne Einbeziehung der Vollstreckung unvollständig. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Freikauf zum Teil in das Kalkül der Angeklagten selbst gehörte; das war auch für die entscheidenden Richter erkennbar, weil die Akten mit einem "Z" gekennzeichnet waren (vgl. die persönliche Stellungnahme des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern, Schümann, als Teil der Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer im Verfahren 1 BvR 514/97). Außerdem lag die Aussetzung zur Bewährung in den Händen der Staatsanwälte und Richter (vgl. Luther u.a. <Hrsg.>, Lehrbuch des Strafverfahrensrechts, Berlin 1982, S. 368 ff.). Ihre Handhabung vermittelt damit erst ein abschließendes Bild über deren Umgang mit dem politischen Strafrecht und ist in die Gesamtbeurteilung einzubeziehen.

dd) Die Entscheidungen genügen den verfassungsrechtlichen Vorgaben auch deshalb nicht, weil sie der Beschwerdeführerin im Ergebnis die Bewährung versagen.

Von Verfassungs wegen darf eine so schwerwiegende Entscheidung wie der in die Zukunft wirkende Ausschluss aus dem Beruf nicht getroffen werden, ohne dass zugunsten des Berufstätigen entlastende Umstände berücksichtigt werden. Hat sich der Betreffende überzeugend aus der Verstrickung in früheres Unrecht gelöst und lassen die Feststellungen - auch aus der Nachwendezeit - den Schluss zu, dass für die Zukunft kein Fehlverhalten zu befürchten ist, kann einer Person die Eignung für den Notarberuf nicht abgesprochen werden, sofern ihr nicht weiterhin ein erheblicher Makel anhaftet. Letzteres kann nur bei allgemein bekannten schweren Verfehlungen der Fall sein. Diese müssen ihr aber nachgewiesen werden.

Hierfür gibt es im vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte. Angesichts der wenigen ausgewählten Verfahren, die im Zeitpunkt der Amtsenthebung schon viereinhalb Jahre und länger zurücklagen, ist nicht davon auszugehen, dass zahlreiche und schwerwiegende Verfahren nur versehentlich nicht in das Amtsenthebungsverfahren eingeführt worden sein könnten. Jedenfalls ergeben die rechtfertigenden Äußerungen des Sächsischen Staatsministeriums, dem die gesamten zugänglichen Akten vorgelegen haben, keinen Anhalt für eine abweichende Beurteilung.

ee) In den angegriffenen Entscheidungen wurden die Unwürdigkeit für den Anwaltsberuf und die Eignung für das Amt des Notars ungeachtet der tatbestandlichen Gleichstellung in § 6 RNPG unterschiedlich bewertet. Das mag verfassungsrechtlich unbedenklich sein, weil die Eignung für ein öffentliches Amt in der hier maßgeblichen Hinsicht durchaus strenger beurteilt werden kann als die Qualifikation für den freien Beruf des Rechtsanwalts. Vorliegend lassen sich jedoch daraus keine für die Beschwerdeführerin nachteiligen Schlüsse ziehen, da sich aus dem vom Bundesgerichtshof festgestellten Sachverhalt keine schuldhaften Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit ergeben, die auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs zur Amtsenthebung führen können. Dazu kann auf das Vorstehende verwiesen werden.

ff) Schließlich können die angegriffenen Entscheidungen auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Beschwerdeführerin nach der Amtsenthebung der Anwaltsberuf offen stehe. Es handelt sich insoweit in Sachsen um zwei unterschiedliche Berufe. Eine in die Berufsfreiheit eingreifende Entscheidung wiegt verfassungsrechtlich nicht weniger schwer, weil eine hiervon betroffene Person einen anderen Beruf ergreifen könnte.

4. Nachdem die Beschwerdeführerin aufgrund einstweiligen Rechtsschutzes bisher als Notarin beanstandungsfrei weitergearbeitet hat und die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Strafurteile inzwischen mindestens 12 Jahre zurückliegen, lässt sich die fehlende Eignung mit diesen Vorfällen nicht begründen. Die angegriffenen Entscheidungen sind deshalb aufzuheben; eine Zurückverweisung an die Fachgerichte zur erneuten Entscheidung erübrigt sich; es ist dort lediglich noch über die Kosten des Verfahrens zu befinden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
ZAAAB-86104