BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2222/01

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 93 d Abs. 2; BVerfGG § 32 Abs. 1; GG Art. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 6; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug: OLG Brandenburg 15 UF 233/00

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegenüber einer gerichtlichen Zwangsgeldandrohung, mit der er angehalten werden soll, mit seinem nichtehelichen Kind an bestimmten Tagen und an einem bestimmten Ort in Umgangskontakt zu treten.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei ehelich geborene Kinder. Darüber hinaus ist er Vater des aus einer außerehelichen Beziehung hervorgegangenen Kindes F. P., das am geboren wurde.

Mit Beschluss vom wies das Amtsgericht Brandenburg an der Havel den Antrag der Kindesmutter, den Beschwerdeführer zum Umgang mit F. zu verpflichten, mit der Begründung ab, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl nicht entsprechen dürfte.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht beauftragte mit Beschluss vom den Diplom-Psychologen Dr. W. als Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens über die Frage, ob dem Kind F. durch den Umgang mit dem Beschwerdeführer ein nachhaltiger, tiefgreifender Schaden drohe. Dieser stellte in seinem Gutachten fest, dass bei mehrmaligen Begegnungen ein nicht begleiteter Umgang, bei welchem der Beschwerdeführer das Kind entsprechend seiner Ankündigung ignorieren würde, eine gravierende Verunsicherung und Schädigung des Kindes zu erwarten wäre. Bei begleitetem Umgang hingegen würde F. Kontakt zu der weiteren Person aufnehmen, so dass er zumindest über eine gewisse Zeit keinen Schaden davontragen würde. Über eine längere Zeit würde ihn allerdings die Ablehnung verunsichern, er würde die Begegnung negativ besetzen, ablehnen und als Zwang erleben. In diesem Fall bestünde die Gefahr eines gravierenden Schadens.

Mit Beschluss vom verpflichtete das Brandenburgische Oberlandesgericht den Beschwerdeführer im Wege der vorläufigen Anordnung zum Umgang mit F. am , , und jeweils von 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr in den Räumen des Sachverständigen. Für jede Zuwiderhandlung drohte das Gericht in Ziffer IV des Beschlusses ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 10.000 DM an. Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen diene ein Umgang des Beschwerdeführers mit F. dem Kindeswohl. Da noch nicht hinreichend geklärt ist, welche perspektivische Umgangsregelung für das Kindeswohl am besten sei, sei zunächst eine zeitlich befristete Umgangsregelung zu treffen, um endgültige Klarheit über dauerhafte Lösungen zu finden, insbesondere mit Hilfe eines noch zu erstellenden ergänzenden Sachverständigengutachtens.

Mit Beschluss vom hat das Brandenburgische Oberlandesgericht gegen den Beschwerdeführer inzwischen ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 DM festgesetzt, weil dieser den festgesetzten Umgangstermin vom nicht wahrgenommen habe und deshalb zu befürchten sei, dass er auch die künftig vorgesehenen Umgangstermine nicht wahrnehmen werde.

Der Beschwerdeführer hat gegen den Beschluss des Brandenburgischen soweit hier ein Zwangsgeld angedroht wird (Ziffer IV) - Verfassungsbeschwerde erhoben und die vorläufige Aufhebung der Zwangsgeldandrohung durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er rügt eine Verletzung von Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 und 2 GG, Art. 6 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG. Bei der Ausübung des Umgangs handele es sich um ein höchstpersönliches Recht, welches nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durchsetzbar sei. Durch die zwangsweise Durchsetzung der an sich bestehenden Umgangsverpflichtung werde der Beschwerdeführer erheblich in seinem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt. Durch Umgangskontakte würde seine Ehe zerstört. Er empfinde keinerlei Bindung zu dem ihm unbekannten und darüber hinaus noch unerwünschten Kind. Wäre er Inhaber des Sorgerechts, so hätte er jederzeit die Möglichkeit, seine Betreuungspflicht auf Dritte zu übertragen. Auch insoweit könnte ein Kontakt mit dem Kind nicht erzwungen werden. Eine Durchsetzung der Umgangspflicht gegen den ausdrücklichen Willen unter Zwang könne zudem nicht dem Kindeswohl entsprechen. Ferner werde seine Familie getroffen, die unter dem Schutz des Art. 6 GG stehe.

Den Antrag auf einstweilige Anordnung begründet der Beschwerdeführer zudem damit, dass durch die Vollstreckung des Zwangsgeldes die Versorgung seiner Familie angesichts seiner Einkommenssituation erheblich gefährdet sei. Auch sei er der Belastung einer zwangsweisen Durchsetzung eines Treffens mit dem Kind nicht gewachsen. Das Erzwingen des Umgangskontakts habe erhebliche Folgen auf sein Wohlbefinden. Er sei in seiner körperlichen Unversehrtheit erheblich beeinträchtigt, was der Psychologe bestätige, in dessen Behandlung er sich aufgrund dessen mittlerweile befinde.

II.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

3. Die danach gebotene Abwägung ergibt Folgendes:

Erginge die einstweilige Anordnung, so würde die Wirkung der Zwangsgeldandrohung einstweilen ausgesetzt und es könnte kein weiteres Zwangsgeld festgesetzt werden. Damit entfiele der von dieser Androhung ausgehende Druck auf den Beschwerdeführer, welcher somit nicht mehr mit Zwangsmitteln zum Umgang angehalten werden könnte. Würde das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet zurückweisen, so wäre eine Verzögerung bei dem Unterfangen eingetreten, den Beschwerdeführer mit Hilfe von Zwangsmitteln zum Umgang mit seinem Kind zu bewegen. Die gerichtlich avisierte Umgangsanbahnung könnte hierdurch gegebenenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Da der Beschwerdeführer mit dem Kind allerdings bislang keinerlei Umgang hatte, träte für das Kind durch den zeitlichen Aufschub keine Veränderung seiner bisherigen personellen Beziehungen ein, sondern es verzögerte sich lediglich seine Option, mit seinem Vater erstmalig in Kontakt kommen zu können.

Erginge die einstweilige Anordnung hingegen nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde gegen den angegriffenen Beschluss aber als begründet, so könnten zwischenzeitlich weitere Zwangsgeldfestsetzungen in Höhe von bis zu 10.000 DM erfolgen. Die Festsetzung sowie die drohende Eintreibung des Zwangsgeldes könnte zu einer erheblichen finanziellen Belastung des Beschwerdeführers führen. Auch der durch die Zwangsgeldandrohnung hervorgerufene psychische Druck, unter dem der Beschwerdeführer steht, weil er sich einer zwangsweisen Durchsetzung eines Treffens mit dem Kind nicht gewachsen fühlt und seine Ehe dadurch in Gefahr sieht, könnte sich mit weiteren Zwangsgeldfestsetzungen noch weiter verstärken und gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, wie dies sein behandelnder Psychologe aufgrund seines derzeitigen Zustandes nicht ausschließt. Im Übrigen könnte es zu erzwungenen Treffen des Beschwerdeführers mit dem Kind kommen, die dann, sollte sich die Verfassungsbeschwerde als begründet erweisen, nicht fortgesetzt würden. Das Kind würde hierdurch zunächst zum Vater in Beziehung treten, kurz danach aber wieder einen Abbruch dieser Beziehung erfahren, was zu einer erheblichen psychischen Belastung des Kindes führen könnte.

Nach alledem wiegen die Nachteile, die bei Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die nachteiligen Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird.

Fundstelle(n):
RAAAB-85755