BFH Urteil v. - I R 72/04

Anrechnung von Körperschaftsteuer aufgrund mehrerer im Veranlagungszeitraum 1993 zu berücksichtigender Gewinnausschüttungen

Leitsatz

Bei Gewinnausschüttungen einer GmbH für 1993 ist Körperschaftsteuer grundsätzlich in Höhe von 9/16 der Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG anzurechnen. Das gilt nur dann nicht, wenn die GmbH eine Steuerbescheinigung ausgestellt hat, in der die anrechenbare Körperschaftsteuer nur mit 3/7 der Einnahmen ausgewiesen ist. Fehlt es an einer solchen Bescheinigung, so ist die Anrechnung auch dann in Höhe von 9/16 der Einnahmen vorzunehmen, wenn bei der Veranlagung der GmbH die Körperschaftsteuer auf 3/7 der Ausschüttung festgesetzt worden ist. Diese Beurteilung greift auch dann durch, wenn mehrere im Veranlagungszeitraum 1993 zu berücksichtigende Ausschüttungen stattgefunden haben und die GmbH für einzelne von ihnen eine anrechenbare Steuer von 3/7 und für andere eine anrechenbare Steuer von 9/16 der Einnahmen bescheinigt hat.

Gesetze: EStG § 36 Abs. 2 Nr. 3, EStG § 52 Abs. 27

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden für das Streitjahr (1993) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH.

Im Jahr 1994 erhielt der Kläger von der GmbH eine offene Gewinnausschüttung für das Streitjahr. Darüber stellte die GmbH, vertreten durch den Kläger selbst, ihm eine Steuerbescheinigung aus. In der Bescheinigung ist die anrechenbare Körperschaftsteuer mit 3/7 des Ausschüttungsbetrags angegeben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) rechnete den bescheinigten Betrag auf die für das Streitjahr festgesetzte Einkommensteuer an. Die Einnahmen aus der offenen Gewinnausschüttung wurden erst im Steuerbescheid für das Folgejahr erfasst. Die Richtigkeit dieser Sachbehandlung ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Im Jahr 1997 erstellte der Kläger namens der GmbH eine weitere Steuerbescheinigung über eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA), die anlässlich einer zwischenzeitlich durchgeführten Betriebsprüfung festgestellt worden war. Diese Bescheinigung weist die zur Anrechnung von Körperschaftsteuer berechtigenden Leistungen der GmbH mit 1 820 866 DM und die anrechenbare Körperschafteuer mit 9/16 hiervon oder 1 024 236 DM aus. Einen Antrag nach § 54 Abs. 10a Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1991 (KStG 1991) in der für das Streitjahr geltenden Fassung stellte die GmbH nicht.

Das FA erließ daraufhin gegenüber den Klägern am einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem es u.a. die bescheinigten Einnahmen im Zusammenhang mit der vGA berücksichtigte. Außerdem setzte es in der Anrechnungsverfügung den von der GmbH als anrechenbar bescheinigten Betrag an. Dies führte zur Anrechnung von Körperschaftsteuer in einer Gesamthöhe von 1 411 014 DM.

Bei der Veranlagung der GmbH für das Streitjahr wurde für beide Ausschüttungen die Ausschüttungsbelastung mit 30 v.H. der Ausschüttungsbeträge hergestellt. Die entsprechenden Steuerbescheide wurden bestandskräftig. Nachdem das FA hiervon erfahren hatte, änderte es den Einkommensteuerbescheid für die Kläger erneut; dabei ging es nunmehr davon aus, dass sowohl die anrechenbare Körperschaftsteuer als auch die damit korrespondierenden Einnahmen des Klägers mit 3/7 der Ausschüttungsbeträge anzusetzen seien. Daraus ergab sich eine Verminderung beider Beträge um jeweils 243 865 DM. Nachdem die Kläger sich gegen die geänderte Anrechnungsverfügung gewandt hatten, erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, in dem es an dieser Berechnung festhielt.

Die Kläger haben sowohl gegen den Abrechnungsbescheid als auch gegen den Einkommensteuerbescheid Klagen erhoben, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat. Das Urteil des FG zur Einkommensteuer haben die Kläger mit einer Revision angefochten, über die noch nicht entschieden worden ist. Gegen das Urteil wegen des Abrechnungsbescheids, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 456 abgedruckt ist, haben sie ebenfalls Revision eingelegt; diese ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Kläger rügen eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen sinngemäß, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid dahin zu ändern, dass Körperschaftsteuer in Höhe von 1 411 014 DM auf die Einkommensteuer angerechnet wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur antragsgemäßen Abänderung des angefochtenen Bescheids. Die Körperschaftsteuer der GmbH ist in der von dieser bescheinigten Höhe auf die Einkommensteuer der Kläger anzurechnen.

  1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung wird auf die Einkommensteuer u.a. die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft in Höhe von 9/16 der Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG angerechnet. Das gilt nur dann nicht, wenn die GmbH eine Steuerbescheinigung ausgestellt hat, in der die anrechenbare Körperschaftsteuer nur mit 3/7 der Einnahmen ausgewiesen ist. Fehlt es an einer solchen Bescheinigung, so ist die Anrechnung auch dann in Höhe von 9/16 der Einnahmen vorzunehmen, wenn bei der Veranlagung der GmbH —den Regelungen des Standortsicherungsgesetzes vom (BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) entsprechend— die Körperschaftsteuer auf 3/7 der Ausschüttung festgesetzt worden ist. Das hat der Senat bereits in der Vergangenheit entschieden (Senatsurteil vom I R 26/02, BFH/NV 2003, 1300); er hält hieran fest.

2. Die seinerzeit entwickelte Beurteilung greift auch dann durch, wenn —wie im Streitfall— mehrere im Veranlagungszeitraum 1993 zu berücksichtigende Ausschüttungen stattgefunden haben und die GmbH für einzelne von ihnen eine anrechenbare Steuer von 3/7 und für andere eine anrechenbare Steuer von 9/16 der Einnahmen bescheinigt hat. Insbesondere kann in einem solchen Fall nicht, wie das FA meint, die Anrechnung insgesamt an der materiell-rechtlich zutreffenden Steuerbelastung der GmbH orientiert werden. Vielmehr ist nach dem insoweit einschlägigen § 52 Abs. 27 EStG i.d.F. des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) die Verknüpfung zwischen der Anwendung des (damals) neuen Rechts einerseits und dem Inhalt der von der GmbH ausgestellten Bescheinigung andererseits immer nur auf diejenige Ausschüttung bezogen, die der Bescheinigung zu Grunde liegt. Deshalb kann, wenn für mehrere Ausschüttungen Bescheinigungen mit unterschiedlichen Angaben zur anrechenbaren Körperschaftsteuer ausgestellt worden sind, im Zuge der Steueranrechnung beim Anteilseigner eine entsprechend unterschiedliche Handhabung geboten sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Gesellschaft im Rahmen des sie selbst betreffenden Besteuerungsverfahrens für alle zu berücksichtigenden Ausschüttungen eine einheitliche Ausschüttungsbelastung wählen muss oder ob sie für verschiedene Ausschüttungen unterschiedliche Ausschüttungsbelastungen in Anspruch nehmen kann; diese vom FG angesprochene Frage ist deshalb im Streitfall ohne Belang.

Abgesehen davon würde eine in diesem Punkt abweichende Sicht nicht etwa zu der vom FA begehrten Rechtsfolge führen. Hinge nämlich die Bindung an die Steuerbescheinigung davon ab, dass die Gesellschaft in allen das Streitjahr betreffenden Steuerbescheinigungen das Anrechnungsvolumen nach einem einheitlichen Maßstab berechnet hat, so würde zwar im Streitfall eine solche Bindung entfallen. Die Folge hiervon wäre aber allenfalls, dass die in § 52 Abs. 27 Satz 2 EStG i.d.F. des StMBG genannte Voraussetzung für eine Anrechnung von nur 3/7 der Einnahmen nicht vorläge und mithin alle Ausschüttungen zu einem Anrechnungsvolumen von 9/16 der Einnahmen führen würden. Denn das ist die gesetzliche Regel, die bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Bescheinigung eingreifen müsste. Dass in diesem Fall auf die sachlich-rechtlich zutreffende Ausschüttungsbelastung der GmbH abzustellen ist, sieht das Gesetz nicht vor; die Anknüpfung an den Inhalt der Steuerbescheinigung dient im Gegenteil erkennbar dazu, das den Anteilseigner betreffende Anrechnungsverfahren von der Frage nach der Rechtslage auf der Ebene der Kapitalgesellschaft freizuhalten.

3. Diese Beurteilung führt entgegen der Ansicht des FA nicht zu einer unangemessen einseitigen Risikoverteilung zu Lasten der Finanzbehörden. Denn wenn man mit dem FA annimmt, dass die GmbH den Antrag auf Herstellung einer Ausschüttungsbelastung von 9/16 der Einnahmen (§ 54 Abs. 10a Satz 1 KStG 1991 i.d.F. des StMBG) nur für alle Ausschüttungen einheitlich stellen konnte, liegt zwar im Streitfall kein wirksamer Antrag dieses Inhalts vor. Die in Rede stehenden Ausschüttungen führten dann auf der Ebene der GmbH nur zu einer Ausschüttungsbelastung von 3/7, so dass die von der GmbH ausgestellte abweichende Steuerbescheinigung unrichtig ist. Das würde jedoch zu einer Haftung der GmbH gemäß § 44 Abs. 4 KStG 1991 führen, vermittels derer die auf der Bescheinigung beruhende, materiell-rechtlich überhöhte Körperschaftsteuer-Anrechnung beim Kläger als Anteilseigner kompensiert würde. Das FA weist zwar zu Recht darauf hin, dass diese Haftung in einzelnen Fällen —und möglicherweise auch im Streitfall— wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr geltend gemacht werden kann. Das wäre jedoch letztlich darauf zurückzuführen, dass das FA die Rechtslage zunächst unrichtig eingeschätzt und deshalb die Haftung der GmbH nicht rechtzeitig geltend gemacht hat.

4. Die Anrechnung von Körperschaftsteuer in Höhe von 9/16 des Betrags der vGA scheitert nicht daran, dass das FA bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer bislang nur eine anzurechnende Körperschaftsteuer in Höhe von 3/7 des Ausschüttungsbetrags als Einnahme aus Kapitalvermögen erfasst hat. Denn wie der Senat wiederholt entschieden hat, setzt die Anrechnung von Körperschaftsteuer nach dem hier maßgeblichen Rechtsstand vor In-Kraft-Treten des Jahressteuergesetzes 1996 vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) keine korrespondierende Erfassung der anzurechnenden Steuer als Einnahme voraus (, BFHE 195, 249, BStBl II 2003, 638, vom I R 124/03, BFH/NV 2005, 1988, m.w.N.). Daran ist festzuhalten. Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat diese Frage zwar abweichend beurteilt (zuletzt , BFH/NV 2004, 925, m.w.N.). Eine Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO ist jedoch im Streitfall nicht erforderlich, da für die genannte Frage nur noch der erkennende Senat zuständig ist (§ 11 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 925 Nr. 5
GmbHR 2006 S. 388 Nr. 7
HFR 2006 S. 585 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 12
BAAAB-79010