BFH Beschluss v. - V B 102/04

Keine Bindung des FG an seine Beurteilung im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung; Vorliegen einer Überraschungsentscheidung; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und von Verfahrensfehlern

Gesetze: FGO § 69, FGO § 71, FGO § 96, FGO § 115

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb bis zum Jahr 1991 (Streitjahr) einen Agrarmarkt als Einzelunternehmen. Im Juni 1991 wandelte er das Einzelunternehmen rückwirkend zum nach § 56a des Umwandlungsgesetzes (UmwG a.F.) vom (BGBl I 1969, 2081) in die gleichzeitig gegründete A-GmbH um. Er brachte das in der Anlage zum Umwandlungsvertrag genannte Unternehmensvermögen des Einzelunternehmens in die A-GmbH ein, übernahm als Alleingesellschafter das Stammkapital der A-GmbH und wurde zu deren Alleingeschäftsführer bestellt.

In seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr erfasste der Kläger den Umwandlungsvorgang nicht. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) stimmte der Steueranmeldung zunächst zu. Nach Durchführung einer Außenprüfung beurteilte das FA die Einbringung des Unternehmensvermögens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten als steuerpflichtige Geschäftsveräußerung. Es änderte deshalb den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr und setzte außerdem nach § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) Zinsen fest. Der Einspruch, mit dem der Kläger geltend machte, nicht er, sondern die A-GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin sei Steuerschuldnerin, blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag des Klägers, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids auszusetzen, ab. Es führte u.a. aus, bei summarischer Prüfung sei die A-GmbH lediglich im Wege kumulativer Schuldübernahme Gesamtschuldnerin der Umsatzsteuer geworden (Beschluss vom 5 V 563/98).

Die Klage wies das FG ab. Es vertrat die Auffassung, die Umwandlung des Einzelunternehmens des Klägers in die A-GmbH gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten sei als letzter Akt der unternehmerischen Tätigkeit eine steuerpflichtige Geschäftsveräußerung. Schuldner der Umsatzsteuer sei allein der Kläger. Die Umsatzsteuerschuld sei nicht auf die A-GmbH übergegangen. Nach § 56f UmwG a.F. gingen nur solche Verbindlichkeiten vom Einzelkaufmann auf die GmbH über, die in die Vermögensübersicht nach § 56c Abs. 3 Satz 2 UmwG a.F. aufgenommen worden seien. Dies sei bei der Umsatzsteuer für das Streitjahr nicht der Fall.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel und macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Er meint, das Urteil verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und verstoße als Überraschungsentscheidung gegen § 96 Abs. 2, § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es werde einzig von der Feststellung des FG getragen, die A-GmbH sei nicht Rechtsnachfolgerin des Klägers und deshalb nicht Gesamtschuldnerin der Umsatzsteuer. Demgegenüber sei zwischen den Beteiligten völlig unstreitig gewesen, dass die A-GmbH Rechtsnachfolgerin des Klägers und Gesamtschuldnerin der Umsatzsteuer sei; davon sei auch das FG in seinem Beschluss vom 5 V 563/98 ausgegangen. Damit habe das FG der Argumentation des Klägers die seit Jahren unstreitige Grundlage entzogen. Hätte das FG darauf hingewiesen, dass es aus der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Vermögensübersicht die Schlussfolgerung gezogen habe, die Umsatzsteuer für das Jahr 1991 sei nicht auf die A-GmbH übergegangen, hätte er, der Kläger, dargelegt, dass im Streitfall die Vermögensübersicht die Umsatzsteuer für das Streitjahr umfasse: Seine Einzelfirma sei mit der Eintragung der Umwandlung erloschen und durch partielle Gesamtrechtsnachfolge in der A-GmbH aufgegangen. Die verwendete „Dynamisierungsklausel” bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass alle „betriebsteuerlichen” Rechtsbeziehungen auf die A-GmbH übergehen sollten, wie sie sich bei Wirksamkeit der Umwandlung „darstellten”. Die Umsatzsteuer für das Streitjahr habe zum Zeitpunkt der Aufstellung der Vermögensübersicht weder übertragen noch beziffert werden können. Die A-GmbH habe das aus der Umsatzsteuererklärung für 1991 resultierende Guthaben erhalten. Dass er, der Kläger, zur Rückzahlung dieses Betrages verpflichtet werde, zeige die „Systemwidrigkeit” der Argumentation des FG.

Dem stehe nicht entgegen, dass er, der Kläger, eine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr abgegeben und das FA dieser zugestimmt habe; die Zustimmung des FA zu einer rechtlich falschen Umsatzsteuererklärung mache diese nicht richtig, auch wenn sie bestandskräftig geworden sei.

Außerdem sei die Frage, „ob in Fällen der übertragenden Umwandlung der übernehmende Rechtsträger als Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsposition des übertragenden Rechtsträgers eintrete”, von grundsätzlicher Bedeutung. Das UmwG 1995 habe die „rechtssystematische Einordnung” gegenüber dem UmwG a.F. nicht verändert. Zu klären sei:

  • „Sind Steuerbescheide an den Übernehmer einer Einzelfirma als Gesamtrechtsnachfolger zu richten?”

  • „Bleibt der Einzelkaufmann nach Umwandlung seiner Firma neben dem Übernehmer Gesamtschuldner der Betriebssteuern oder wird er Haftungsschuldner?”

  • „Kann nach Eintragung der Umwandlung noch ein Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 AO” 1977 „gegen den Einzelunternehmer mit der Folge verhängt werden, dass er den Haftungsbegrenzungsregeln des UmwG (§ 56 Abs. 1 a.F., § 157 n.F.) vorgeht?”

Diese Fragen hätten Bedeutung für eine unbestimmte Vielzahl künftig anfallender Umwandlungen, auch wenn sich die Umsatzsteuerfrage nach neuem Recht nicht mehr stelle.

Die A-GmbH sei außerdem nach „zwingendem Steuerrecht” zumindest Gesamtschuldnerin der Umsatzsteuer geworden. Das FA habe, indem es dennoch ihn, den Kläger, statt der A-GmbH in Anspruch genommen habe, entweder sein Ermessen nicht ausgeübt oder eine Willkürentscheidung getroffen, um ihn mit Zinsen zu belasten, die bei Inanspruchnahme der A-GmbH nicht hätten anfallen können.

Schließlich erfordere die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision. Das Urteil weiche vom Beschluss des Großen Senats des (BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230) ab, weil es „eine Gesamtrechtsnachfolge der A-GmbH in die umgewandelte Einzelfirma des Klägers” zu Unrecht verneint habe.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Eine Überraschungsentscheidung liege nicht vor, weil die Frage der Gesamtrechtsnachfolge zwischen den Beteiligten umstritten gewesen sei. Außerdem setze sich der Kläger in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten: Für den Zeitraum vom bis zur Wirksamkeit der Umwandlung habe der Kläger eine Umsatzsteuererklärung abgegeben; dieser habe das FA zunächst zugestimmt. Das Guthaben sei an den Kläger ausgezahlt worden.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordern (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

a) „Grundsätzliche Bedeutung” i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung dem allgemeinen Interesse dient; es muss sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handeln, die im Revisionsverfahren auch geklärt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 209, 105, BStBl II 2005, 714, m.w.N.).

b) Hieran fehlt es im Streitfall.

aa) Die Frage, ob „in Fällen der übertragenden Umwandlung der übernehmende Rechtsträger als Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsposition des übertragenden Rechtsträgers eintritt”, ist im Streitfall nicht klärbar. Denn der vom Kläger angegriffene Ausspruch des FG, es liege insoweit kein Fall der Gesamtrechtsnachfolge vor, ist für das Urteil jedenfalls nicht tragend. Selbst wenn man davon ausginge, es handele sich bei der Umwandlung eines Einzelunternehmens in eine GmbH um einen Fall einer Gesamtrechtsnachfolge, wäre die A-GmbH hinsichtlich der Umsatzsteuer für das Streitjahr 1991 nicht Gesamtrechtsnachfolgerin geworden. Denn nach § 56f Abs. 1 Satz 2 UmwG a.F. gehen nur die Verbindlichkeiten auf den Übernehmer über, die in der Vermögensübersicht (§ 56c Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 4 Nr. 2 UmwG a.F.) genannt sind. Verbindlichkeiten, die in der Übersicht nicht genannt sind, gehen nicht über (Widmann/Mayer, Umwandlungsgesetz, § 52 a.F. Rz. 999, 1001; Priester in Der Betrieb 1982, 1967, unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Letzteres ist nach der tatsächlichen Würdigung des FG, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindet, hinsichtlich der Umsatzsteuer 1991 der Fall.

bb) Ausgehend davon sind auch die Folgefragen des Klägers, die sich bei Vorliegen einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge oder einer Gesamtschuld stellen könnten, in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar, weil die Umsatzsteuer für das Streitjahr 1991 nach der tatsächlichen Würdigung des FG nicht auf die A-GmbH übergegangen ist und die A-GmbH darum weder (Gesamt-) Rechtsnachfolgerin noch Gesamtschuldnerin wurde.

cc) Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zuletzt für grundsätzlich bedeutsam hält, ob „eine Steuerrechtsbeziehung infolge Umwandlung anders übergehen kann, als der Übergang durch das Steuerrecht vorgegeben ist”, hat er hiermit bereits keine revisible Rechtsfrage in der gebotenen Form dargelegt. Überdies ist diese Rechtsfrage im Streitfall nicht klärbar, weil das Steuerrecht keine „Vorgabe” für den „Übergang” infolge Umwandlung enthält: Die Frage, ob eine Gesamtrechtsnachfolge stattfindet, beantwortet sich aus nichtsteuerrechtlichen Vorschriften (Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 45 Rz. 4; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 45 Rz. 5 ff., jeweils m.w.N.).

Abgesehen davon sind sämtliche Rechtsfragen nicht klärungsbedürftig, weil sie, wie der Kläger selbst einräumt, „ausgelaufenes” Recht betreffen und sich umsatzsteuerrechtlich nicht mehr stellen (z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 153/04, V S 18/04, BFH/NV 2005, 926; vom IX B 64/04, BFH/NV 2005, 348). Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen umsatzsteuerrechtlich in doppelter Hinsicht einen seit Jahren nicht mehr geltenden Rechtszustand: Nicht nur handelt es sich beim UmwG a.F. um ausgelaufenes Recht, sondern auch die Geschäftsveräußerung ist seit Einführung des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 nicht mehr steuerbar.

3. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Soweit der Kläger meint, das Urteil des FG weiche vom Beschluss des Großen Senats des BFH (in BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230) ab, hat er keinen Rechtssatz aus dem genannten Beschluss des BFH dargestellt, von dem das FG abgewichen sein soll.

4. Der gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Rüge des Klägers, bei dem Urteil des FG handele es sich um eine Überraschungsentscheidung, greift nicht durch.

a) Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verbieten dem Gericht, seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zu stützen und damit dem Rechtsstreit eine Wendung zu geben, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 43/03, BFH/NV 2004, 1303; vom V B 157/02, BFH/NV 2003, 929). Dem FG obliegt jedoch keine allgemeine Hinweispflicht in dem Sinne, dass es seine mögliche Beurteilung irgendwie andeuten müsse (z.B. BFH-Beschlüsse vom IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; vom II B 69/03, BFH/NV 2004, 1666).

b) Im Streitfall kam zunächst der Umstand, dass das FG sein Urteil auf den Inhalt der Vermögensübersicht stützen werde, schon deshalb für den Kläger nicht überraschend, weil es diese bei ihm angefordert hat.

c) Auch die Frage, ob die A-GmbH Gesamtschuldnerin war oder nicht, wurde im Klageverfahren zwischen den Beteiligten streitig erörtert: Der Kläger hat zu der Frage der Gesamtschuldnerschaft mehrfach vorgetragen (vgl. z.B. Klagebegründung vom , Bl. 4 unter 3.; Schreiben vom , Bl. 2 unter 3.); das FA hat eine Gesamtschuldnerschaft mehrfach bestritten (Schreiben des FA vom , S. 3, und vom , S. 2, zu 3.). Schon dies schließt eine Überraschungsentscheidung aus.

Hieran änderte der (nicht veröffentlicht, unter II.) nichts. Das FG ging darin zwar —bei summarischer Prüfung— davon aus, die A-GmbH sei Gesamtschuldnerin. Das FA gab jedoch seinen ablehnenden Standpunkt zur Frage der Gesamtschuld nicht auf; es hielt vielmehr —ausweislich der Schreiben vom (S. 2), vom (S. 1) und vom (S. 1)— an seiner Rechtsansicht fest.

Im Übrigen war das FG nicht gehindert, nach Ermittlung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) —hier: Einsichtnahme in die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Vermögensübersicht— im Urteil von seiner Rechtsansicht im Beschluss vom abzuweichen (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz. 808; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 170).

d) Der Kläger macht somit im Ergebnis keinen Verfahrensmangel geltend, sondern wendet sich gegen die Richtigkeit der Auslegung der Vermögensübersicht und damit der Vorentscheidung im Einzelfall; die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels kann hierdurch nicht erreicht werden (vgl. z.B. , BFH/NV 2004, 1660).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 590 Nr. 3
KAAAB-76214