BFH Urteil v. - V R 20/04 BStBl 2006 II S. 931

Leitsatz

1. Der Sicherungsgeber führt mit der Übereignung beweglicher Gegenstände zu Sicherungszwecken unter Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 BGB) noch keine Lieferung an den Sicherungsnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993, § 3 Abs. 1 UStG 1993 aus. Zur Lieferung wird der Übereignungsvorgang erst mit der Verwertung des Sicherungsguts, gleichgültig, ob der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut dadurch verwertet, dass er es selbst veräußert, oder dadurch, dass der Sicherungsgeber es im Auftrag und für Rechnung des Sicherungsnehmers veräußert.

2. Falls der Sicherungsgeber es übernimmt, das Sicherungsgut im eigenen Namen, aber für Rechnung des Sicherungsnehmers zu verkaufen, führt er an den Käufer eine entgeltliche Lieferung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 aus. Zudem greift § 3 Abs. 3 UStG 1993 ein; zwischen dem Sicherungsnehmer (Kommittent) und dem Sicherungsgeber (Kommissionär) liegt eine Lieferung vor, bei der der Sicherungsgeber (Verkäufer, Kommissionär) als Abnehmer gilt. Gleichzeitig erstarkt die Sicherungsübereignung zu einer Lieferung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer. Es liegt ein Dreifachumsatz vor.

Gesetze: UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1UStG 1993 § 3 Abs. 1 und Abs. 3UStG 1993 § 18 Abs. 8 Nr. 2UStDV 1993 § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Bank, gab dem Omnibusunternehmer SG (SG), der beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) steuerlich geführt wurde, ein Darlehen zur Anschaffung zweier Omnibusse. Zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche gegen SG erhielt sie im Jahre 1991 beide Omnibusse von diesem übereignet.

In dem zwischen der Klägerin und SG geschlossenen Sicherungsübereignungsvertrag hieß es:

„6. Der Sicherungsgeber verpflichtet sich:

6.1 das Kraftfahrzeug nur mit vorheriger Zustimmung der Bank entgeltlich Dritten zu überlassen. ...

9. Die Bank ist befugt, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, insbesondere, wenn Sicherungsgeber oder Schuldner ihren Verpflichtungen der Bank gegenüber nicht nachkommen, das Kraftfahrzeug in ihren unmittelbaren Besitz zu nehmen. ...

Kommt der Sicherungsgeber seinen Verpflichtungen bei Fälligkeit nicht nach, so ist die Bank befugt, das Kraftfahrzeug ohne gerichtliches Verfahren unter tunlichster Rücksichtnahme auf den Sicherungsgeber zu beliebiger Zeit an einem ihr geeignet erscheinenden Ort zu verwerten.

Weiter ist die Bank berechtigt, das Kraftfahrzeug zu einem angemessenen Preis selbst zu übernehmen.

Der Sicherungsgeber ist verpflichtet, auf Verlangen der Bank das Sicherungsgut zu verwerten oder bei der Verwertung mitzuwirken. Der Sicherungsgeber hat alles, was er bei der Verwertung des Sicherungsguts erlangt (einschließlich Umsatzsteuer), unverzüglich an die Bank herauszugeben.

Einen etwa verbleibenden Überschuss hat die Bank dem Sicherungsgeber unverzüglich auszuzahlen, soweit er nicht Dritten zusteht.”

Im Dezember 1993 stellte SG seinen Betrieb ein. Bereits mit Kaufvertrag vom hatte er beide Omnibusse an einen anderen Busunternehmer (K) verkauft. Danach sollten die Omnibusse zum 1. April bzw. gegen einen Kaufpreis von 300 000 DM bzw. 250 000 DM, jeweils zzgl. 15 % Umsatzsteuer, übereignet werden. Am bzw. stellte SG dem K die Omnibusse unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer (45 000 DM bzw. 37 500 DM) in Rechnung. Der Bruttokaufpreis wurde vereinbarungsgemäß auf das von SG bei der Klägerin unterhaltene Konto überwiesen, nachdem die Klägerin der Bank am Sitz des K die Kfz-Briefe zu treuen Händen übersandt und verfügt hatte, dass die Kfz-Briefe gegen Zahlung des jeweiligen Bruttokaufpreises an K auszuhändigen seien. K hat die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht.

SG ist dem FA die Umsatzsteuer für den Besteuerungszeitraum 1994 schuldig geblieben.

Mit Haftungsbescheid vom nahm das FA die Klägerin für die Umsatzsteuer von 82 500 DM (45 000 DM + 37 500 DM) in Anspruch mit der Begründung, dass die Klägerin gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1993) bei der Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände die Umsatzsteuer in dieser Höhe von der Gegenleistung hätte einbehalten und abführen müssen.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) meinte, SG habe das Sicherungsgut mit der Verwertung durch Veräußerung an K gleichzeitig an die Klägerin (Sicherungsnehmerin) geliefert, so dass die Voraussetzungen der §§ 54, 55 UStDV 1993 für die Haftung der Klägerin erfüllt seien.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Revision.

Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Haftungsbescheid vom aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 18 Abs. 8 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993), § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV 1993 hat der Leistungsempfänger für die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Konkursverfahrens die Umsatzsteuer von der Gegenleistung einzubehalten und abzuführen. Der Leistungsempfänger haftet für diese Steuer (§ 55 UStDV 1993).

Leistungsempfänger ist im Fall des § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStDV 1993 der Sicherungsnehmer. Die Haftung des Leistungsempfängers (des Sicherungsnehmers, hier: der Klägerin) setzt also eine Lieferung des sicherungsübereigneten Gegenstands durch den Sicherungsgeber (hier: SG) an den Sicherungsnehmer (hier: die Klägerin) voraus.

Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass SG die beiden Busse an die Klägerin geliefert hat.

2. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 unterliegen die Lieferungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer. Nach § 3 Abs. 1 UStG 1993 sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nach § 3 Abs. 3 UStG 1993 liegt beim Kommissionsgeschäft (§ 383 des HandelsgesetzbuchsHGB—) zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär eine Lieferung vor; bei der Verkaufskommission gilt der Kommissionär als Abnehmer.

Nach der Rechtsprechung des Senats führt der Sicherungsgeber mit der Übereignung beweglicher Gegenstände zu Sicherungszwecken unter Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—) noch keine Lieferung an den Sicherungsnehmer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993, § 3 Abs. 1 UStG 1993 aus. Zur Lieferung wird der Übereignungsvorgang erst, wenn der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut mit dem Ziel seiner Befriedigung im eigenen Namen an Dritte veräußert (sog. Doppelumsatz, , BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684; vom V R 124/75, BFHE 131, 120, BStBl II 1980, 673; , BFH/NV 2004, 832).

Ähnliches gilt, wenn der Sicherungsnehmer (bewegliches) Sicherungsgut nicht selbst veräußert, sondern der Sicherungsgeber es übernimmt, das Sicherungsgut im eigenen Namen, aber für Rechung des Sicherungsnehmers zu verkaufen. Indem der Sicherungsgeber das Sicherungsgut im eigenen Namen an den Käufer verkauft und ihm übereignet, führt er an diesen eine entgeltliche Lieferung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 aus. Da der Sicherungsgeber dabei für Rechnung des Sicherungsnehmers handelt, greift zudem ein Fall des § 3 Abs. 3 UStG 1993 (Kommissionsgeschäft) ein; zwischen dem Sicherungsnehmer (Kommittent) und dem Sicherungsgeber (Kommissionär) liegt eine Lieferung vor, bei der der Sicherungsgeber (Verkäufer, Kommissionär) als Abnehmer gilt. Gleichzeitig erstarkt die Sicherungsübereignung zu einer Lieferung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer. Es liegt ein Dreifachumsatz vor (vgl. zum Begriff des Dreifachumsatzes: de Werth, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2003, 246, unter 2. b cc). Der Sicherungsnehmer (hier: die Klägerin) erlangt mit der Verwertung des Sicherungsguts die Verfügungsmacht an diesem, gleichgültig, ob er das Sicherungsgut dadurch verwertet, dass er es selbst veräußert, oder dadurch, dass der Sicherungsgeber (hier: SG) es im Auftrag und für Rechnung des Sicherungsnehmers (hier: die Klägerin) veräußert.

Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt hat es SG übernommen, die Busse für Rechnung der Klägerin zu veräußern. SG hat im Einverständnis mit der Klägerin die Busse an K veräußert und mit diesem vereinbart, dass der Bruttokaufpreis auf sein (des SG) Konto bei der Klägerin überwiesen wurde, aus dem sich die Klägerin befriedigte. Bis zur Überweisung des Kaufpreises auf dieses Konto hielt die Klägerin die Kfz-Papiere zurück. Dementsprechend hat die Klägerin die Busse an SG nicht lediglich „freigegeben"; vielmehr hat SG die Busse entsprechend seiner Verpflichtung in dem Sicherungsvertrag für Rechnung der Klägerin verwertet und ihr alles, was er bei der Verwertung erlangte (Kaufpreis einschließlich Umsatzsteuer), unverzüglich herausgegeben.

3. Entgegen der Ansicht der Klägerin setzt die Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsgeber für Rechnung des Sicherungsnehmers (hier: der Klägerin) nicht voraus, dass der Sicherungsfall infolge Zahlungsverzugs des Sicherungsgebers eingetreten ist; es reicht aus, dass der Sicherungsgeber im Auftrag des Sicherungsnehmers oder jedenfalls im Interesse des Sicherungsnehmers mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen (vgl. § 677 BGB) das Sicherungsgut veräußert und den Veräußerungserlös an den Sicherungsnehmer herausgibt.

Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Kaufpreis auf ein Konto des Sicherungsgebers beim Sicherungsnehmer (hier: der Klägerin) überwiesen wird, so dass sich der Sicherungsnehmer aus dem Konto befriedigen kann.

Die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 3 UStG 1993 scheitert auch nicht daran, dass SG kein gewerblicher Kommissionär i.S. des § 383 HGB war. Die Verweisung in § 3 Abs. 3 UStG 1993 zum Begriff „Kommissionsgeschäft” auf „§ 383 des Handelsgesetzbuchs” ist unscharf. § 383 HGB definiert nämlich nicht unmittelbar das Kommissionsgeschäft, sondern nur den (gewerbsmäßigen) Kommissionär. Kommissionsgeschäfte im Sinne des HGB sind vielmehr sämtliche in §§ 383 bis 406 HGB genannte Geschäfte. Demnach liegt ein Kommissionsgeschäft im Sinne des HGB auch dann vor, wenn ein Kaufmann, der nicht (gewerbsmäßig tätiger) Kommissionär ist, es übernimmt, im Betrieb seines Handelsgewerbes Waren für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) im eigenen Namen zu kaufen oder zu verkaufen (vgl. § 406 Abs. 1 Satz 2 HGB).

Schließlich führt die Haftung des Sicherungsnehmers auch nicht zu einer Doppelbelastung mit Umsatzsteuer. Der Sicherungsnehmer haftet zwar für die Umsatzsteuer aus der Lieferung des Sicherungsgebers an ihn; insofern erhält er aber auch den Vorsteuerabzug, und zwar —nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage— ohne Rechnung (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom Rs. C-90/02, Gerhard Bockemühl, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2004, 197, und die Nachfolgeentscheidung des , BFHE 206, 457, BStBl II 2004, 970). Der Sicherungsnehmer (Kommittent) ist deshalb nur einmal mit der Umsatzsteuer aus der Weiterlieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsgeber (Kommissionär) belastet. Dies erscheint auch gerechtfertigt, wenn er —wie im Streitfall— den vom Kommissionär erzielten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) erhalten hat.

Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 931
BFH/NV 2006 S. 222 Nr. 1
BStBl II 2006 S. 931 Nr. 20
DB 2006 S. 140 Nr. 3
DStRE 2006 S. 90 Nr. 2
DStZ 2006 S. 7 Nr. 1
HFR 2006 S. 192 Nr. 2
INF 2006 S. 92 Nr. 3
KÖSDI 2006 S. 14934 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4243
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2006 S. 4266
StB 2006 S. 4 Nr. 1
StBW 2005 S. 5 Nr. 25
StuB-Bilanzreport Nr. 2/2006 S. 81
UR 2006 S. 119 Nr. 2
UVR 2006 S. 66 Nr. 3
WPg 2006 S. 463 Nr. 7
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