BFH Beschluss v. - III S 2/05 (PKH)

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist eine promovierte Diplombiologin mit deutscher Staatsangehörigkeit. Zur Durchführung von Forschungsarbeiten im Rahmen ihrer Dissertation und anschließender Projektarbeiten für einen gemeinnützigen Verein hielt sie sich seit dem Jahr 1996 überwiegend in E (Ausland) auf, wo auch ihre beiden Kinder geboren wurden. Sie ist in der Wohnung ihrer Eltern in S (Inland) polizeilich gemeldet.

Ihren Antrag vom auf Kindergeld für ihre im Dezember 1999 und im April 2001 geborenen Töchter A und L lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) ab.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision nicht zu.

Die Antragstellerin beantragt, ihr für das beabsichtigte Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen. Zur Erfolgsaussicht trägt sie vor, die Revision sei wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

II. Der Antrag auf PKH und Beiordnung eines Prozessvertreters ist abzulehnen.

1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Der Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde hängt vom Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO ab. Wird PKH für eine noch zu erhebende Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, muss daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich ist oder das FG-Urteil auf einem Verfahrensmangel beruht. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Weder die Ausführungen der Antragstellerin noch das FG-Urteil lassen einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO erkennen.

2. Der Vortrag der Antragstellerin, der Tatbestand des Urteils sei in wesentlichen Teilen unvollständig, rechtfertigt keine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen eines Verfahrensfehlers.

a) Die Antragstellerin führt aus, es sei unerwähnt geblieben, dass ihr Aufenthalt in E zur Durchführung des Forschungsprojekts von vornherein befristet gewesen sei. Sie sei entgegen der Ansicht des FG nicht ehrenamtlich tätig gewesen, sondern habe Stipendien vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) erhalten. Ferner habe das FG ihr Vorbringen nicht berücksichtigt, die erheblichen Flugkosten von ca. 25 000 € pro Reise hätten häufigere Aufenthalte in S verhindert.

Diese Auslassungen hätten zu einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung des FG bei der Rechtsfrage, ob die Antragstellerin einen inländischen Wohnsitz nach § 8 der Abgabenordnung (AO 1977) innehatte, geführt. Darin liege eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 119 Nr. 3 FGO als Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Diese Ausführungen ergeben keinen Verfahrensmangel.

b) Mängel im Tatbestand eines FG-Urteils i.S. von § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO sind grundsätzlich nicht geeignet, einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu begründen (vgl. , BFH/NV 2002, 909, m.w.N.). Nur wenn der Tatbestand des FG keine Grundlage für die Nachprüfung der Entscheidung abgibt und dem Urteil deshalb wesentliche Begründungselemente i.S. von § 119 Nr. 6 FGO fehlen (vgl. , BFH/NV 2002, 348), kann ein Verfahrensfehler vorliegen.

Die von der Antragstellerin gerügten Auslassungen im Tatbestand des FG-Urteils sind aber für die Entscheidung des FG nicht erheblich und brauchten daher nicht in den Tatbestand des Urteils aufgenommen zu werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 105 FGO Tz. 11).

Der BFH hat bereits geklärt, dass eine von vornherein befristete Dauer eines Auslandsaufenthalts für die Beurteilung, ob ein (gegenwärtiger) Wohnsitz i.S. von § 8 AO 1977 vorliegt, unbeachtlich ist (vgl. , BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279). Da es auf den tatsächlichen Umfang der Nutzung des inländischen Wohnsitzes ankommt, hat das FG zu Recht die von der Antragstellerin aufgeführten Beweggründe für ihr Fernbleiben von dem in S angemeldeten Wohnsitz im Tatbestand nicht dargestellt und ist auch nicht darauf eingegangen, ob sie in E ehrenamtlich tätig war oder nicht.

c) Auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) ist im Vorbringen der Antragstellerin nicht erkennbar.

Es ist nicht ersichtlich, wozu die Antragstellerin sich im finanzgerichtlichen Verfahren nicht hat äußern können und was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 135/02, BFH/NV 2003, 1574, und vom III B 107/01, BFH/NV 2002, 526).

3. Die Einwendungen der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Beweisaufnahme lassen ebenfalls keinen Verfahrensmangel erkennen.

Sie trägt vor, das FG hätte aus der Beweisaufnahme nicht den Schluss ziehen dürfen, die Verhältnisse in der von ihr im Inland genutzten Wohnung entsprächen nicht den besonderen Wohnbedürfnissen ihrer Familie.

Soweit sich diese Ausführungen gegen die Würdigung der Beweisaufnahme durch das FG richten, vermögen sie keinen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu begründen (vgl. , BFH/NV 2000, 1458). Einwendungen gegen die Beweiswürdigung durch das FG sind Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des FG-Urteils gleichzustellen und mithin im Zulassungsverfahren unbeachtlich (Senatsbeschluss vom III B 117/02, BFH/NV 2003, 810).

Der Vortrag, das FG habe Fragen gestellt, deren Tragweite die Zeugen nicht erfasst hätten, ist ebenso wenig geeignet, einen Verfahrensfehler zu begründen. Im Gegenteil ermöglichen gerade unbefangene Zeugenaussagen, die unabhängig von der Einschätzung des Streitfalls durch die Zeugen zustande kommen, erst eine objektive Beweiswürdigung durch das FG. Um eine Anwendung falscher Beweisregeln als möglichen Verfahrensfehler handelt es sich deshalb nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1458).

4. Die Rechtssache ist auch nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

a) Die Antragstellerin führt hierzu aus, die vom FG vorgenommene Auslegung des Wohnsitzbegriffs nach § 8 AO 1977 sei wegen Verstoßes gegen Art. 11 des Grundgesetzes (GG) verfassungswidrig. Ferner habe der BFH die Frage der Wirkung einer faktischen Ausbürgerung von deutschen Kindergeldberechtigten durch die bisher vorgenommene Auslegung des Wohnsitzbegriffs nach § 8 AO 1977 nicht beantwortet.

b) Dieser Vortrag ist nicht geeignet, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darzutun.

Soweit sich die Antragstellerin auf das in Art. 11 GG verankerte Grundrecht der Freizügigkeit beruft, verkennt sie, dass der Anwendungsbereich dieses Grundrechts durch die Versagung des Kindergeldes von vornherein nicht berührt ist. Art. 11 Abs. 1 GG begründet ein Recht auf Freizügigkeit innerhalb des gesamten Bundesgebiets, das der Antragstellerin nach wie vor uneingeschränkt zusteht. Ein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld ergibt sich aus diesem Grundrecht nicht.

Ferner ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Antragstellerin durch den von ihr tatsächlich überwiegend in E begründeten Aufenthalt seit 1996 ihre Rechte als deutsche Staatsangehörige verloren hätte.

Die Kindergeldberechtigung knüpft in §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers im Inland bzw. in der Europäischen Union oder im europäischen Wirtschaftsraum an. An diesen Gesetzeswortlaut sind die Gerichte nach Maßgabe des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips gebunden. Der Wohnsitz bzw. der gewöhnliche Aufenthalt ist nach §§ 8, 9 AO 1977 anhand sämtlicher tatsächlicher Umstände des Einzelfalls ebenfalls unabhängig von der Staatsangehörigkeit zu bestimmen. Die von der Antragstellerin aufgeworfene Rechtsfrage ist mithin schon nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen insgesamt unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zu beantworten und daher nicht klärungsbedürftig.

5. Gründe, die eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO erfordern, sind ebenfalls nicht erkennbar.

Die Antragstellerin trägt vor, das FG sei bei der Entscheidung über ihren Wohnsitz von dem (BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447) abgewichen. Darin hat der BFH die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes trotz eines mehr als sechs Jahre dauernden Auslandsaufenthalts eines Steuerpflichtigen bejaht und insoweit kurze jährliche Besuche am inländischen Wohnsitz genügen lassen.

Abgesehen davon, dass dem Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau dort —abweichend vom Streitfall— eine Wohnung im Inland ausschließlich zur eigenen Nutzung zur Verfügung stand, liegt eine die Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO rechtfertigende Divergenz nur vor, wenn das FG in seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem —ebenfalls tragenden— abstrakten Rechtssatz in einer BFH-Entscheidung abweicht (, BFH/NV 2004, 82, m.w.N.). Dies ist im Streitfall weder vorgetragen noch erkennbar.

6. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO sind ebenfalls nicht gegeben.

Die Antragstellerin führt insoweit aus, die Entscheidung des FG verstoße gegen das in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Grundrecht auf Förderung der Familie. Bei dem Ausschluss der Antragstellerin vom Kindergeld handle es sich um eine vom Gesetzgeber ungewollte Lücke im Gesetz, die das FG durch verfassungskonforme Auslegung hätte schließen müssen.

Mit diesen Ausführungen wendet sich die Antragstellerin im Kern gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils. Dies vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen (vgl. , BFH/NV 2003, 191, m.w.N.).

7. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 1 Nr. 3 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 120 Nr. 1
QAAAB-70211