BFH Beschluss v. - IX B 87/05

Instanzenzug:

Gründe

I. Nachdem der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) der Aufforderung zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1999 bis 2001 nicht Folge leistete, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung und erließ entsprechende Steuerbescheide.

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage war als Anlage u.a. der Einspruchsbescheid beigefügt.

Nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfristen wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger das Ziel der Klage nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht habe.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er einen Verfahrensfehler des FG (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 4 der FinanzgerichtsordnungFGO—) rügt. Das FG habe es unterlassen, die Prozessfähigkeit des Klägers zu prüfen. Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers bestünden, da beim Amtsgericht ein Betreuungsverfahren anhängig sei, hinsichtlich dessen die amtsärztliche Untersuchung aber noch ausstehe.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung, an der der Kläger persönlich teilgenommen hat, seien keine Anzeichen für eine Geschäftsunfähigkeit festzustellen gewesen.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§§ 119 Nr. 4, 116 Abs. 6 FGO).

1. Zwar ist die von einem Prozessunfähigen erhobene Klage durch Prozessurteil grundsätzlich als unzulässig abzuweisen (, BFH/NV 2002, 651; , BGHZ 110, 294). Wird aber die Prozessunfähigkeit eines Beteiligten, die bereits im finanzgerichtlichen Verfahren vorlag, erst im Revisionsverfahren festgestellt, darf die Revision nicht als unzulässig verworfen werden; die Sache ist vielmehr durch Prozessurteil zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 651, m.w.N.). Entsprechendes gilt, wenn —wie hier— mit der Nichtzulassungsbeschwerde die mangelnde Vertretung i.S. von § 119 Nr. 4 FGO geltend gemacht wird (, BFH/NV 2003, 1197).

2. Auch steht der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde eine mögliche Prozessunfähigkeit des Klägers nicht entgegen. Denn für den Streit um seine Prozessfähigkeit (Zulassungsstreit) gilt der Beteiligte als prozessfähig, und zwar bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Frage der Prozessfähigkeit (vgl. , BFHE 90, 336, BStBl II 1968, 95; vom V R 36/84, BFH/NV 1990, 386; vgl. auch , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 2943, m.w.N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 58 FGO Tz. 33). Er kann daher auch Rechtsmittel gegen eine Entscheidung einlegen, mit der er nach seiner Auffassung zu Unrecht als prozessfähig beurteilt worden ist ( IVb ZR 10/85, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 1986, 1119).

3. Nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind alle nach bürgerlichem Recht geschäftsfähigen Personen prozessfähig.

a) Der Kläger hat sich erstmals im Beschwerdeverfahren zur Zulassung der Revision auf seine Prozessunfähigkeit berufen. Die Entscheidung des FG enthält zur Prozessfähigkeit des Klägers keine Feststellungen. Indessen ist, da die Prozessfähigkeit in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen (§ 58 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V.m. § 56 Abs. 1 der ZivilprozessordnungZPO—) zu prüfen ist, der BFH im Verfahren über die Zulassung der Revision nicht an die Feststellungen des FG gebunden. Vielmehr darf er insoweit auch in der Rechtsmittelinstanz neue Tatsachen feststellen und berücksichtigen (, BFHE 123, 286, BStBl II 1978, 11; vom II R 96/75, BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70, und vom II R 5/84, BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 118 FGO Rz. 267). Das Gericht ist bei der Prüfung der Prozessfähigkeit grundsätzlich in der Auswahl seiner Beweismittel frei und überzeugt sich im Wege des Freibeweises (vgl. , BGHZ 143, 122, und vom VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059). Dem BFH steht allerdings ein Ermessen zu, ob er selbst Beweis erhebt oder zur Klärung zurückverweist. Die Ausübung dieses Ermessens hat sich an der Prozessökonomie auszurichten. Dabei sind weitere Prozessverzögerungen (Verfahrenskosten, Sachnähe und voraussichtliche Aufklärung) abzuwägen gegen die Hauptaufgabe des Revisionsgerichts, Rechtsfragen zu entscheiden (vgl. dazu auch , BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268, und in BFH/NV 2002, 651).

b) Nach § 104 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet.

Im Streitfall sind konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Kläger prozessunfähig sein könnte. Ausweislich einer Mitteilung der Betreuungsstelle des Landkreis…vom kann der Kläger seine Angelegenheiten offensichtlich nicht regeln. Eine amtsärztliche Untersuchung für die Gewährung von Betreuungsangelegenheiten wurde angeordnet; das Ergebnis der Untersuchung steht noch aus.

Auch nach dem Inhalt der vom Kläger im Besteuerungs- und im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze bestehen für den Senat Zweifel, ob der Kläger in der Lage ist, seinen Mitwirkungspflichten zu entsprechen und sich bei der Stellung von Anträgen von vernünftigen Erwägungen leiten zu lassen.

Der Senat hält es jedoch nicht für zweckmäßig, selbst die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Prozessfähigkeit des Klägers zu treffen und Beweis zu erheben. Die Prozessökonomie gebietet im Streitfall, dass das FG die Prozessfähigkeit bzw. Prozessunfähigkeit des Klägers feststellt (so bereits BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 651).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 94 Nr. 1
FAAAB-69773