BFH Urteil v. - VIII R 43/03

Abzug von Aufwendungen für Inlandsreisen

Leitsatz

Reisen, denen ein unmittelbarer einkünftebezogener Anlass zugrunde liegt, sind in der Regel selbst dann ausschließlich der Einkünftesphäre zuzuordnen, wenn sie in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verfolgung privater Reiseinteressen den Schwerpunkt der Reise bildete. Spricht ein Indiz für eine solche private Veranlassung, können die Reisekosten nur dann als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn auf Grund anderer Indizien feststeht, dass die Reise nahezu ausschließlich aus einkünftebezogenen Gründen unternommen wurde. Diese Grundsätze gelten nur eingeschränkt für Reisekosten, die für einen einkünftebezogenen Aufenthalt mit anschließendem Urlaub entstehen. In diesem Fall sind die An- und Rückreisekosten als Kosten der Lebensführung insgesamt nicht abziehbar.

Instanzenzug: Az.: 10 K 3754/00 E, 10 K 4717/00 E, 10 K 5053/00 E (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem in D als Ingenieur nichtselbständig tätig. Außerdem erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie aus Land- und Forstwirtschaft.

Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1995 bis 1997 machte er u.a. Fahrtaufwendungen (1995: sechs Fahrten = 6 812,99 DM; 1996: acht Fahrten = 5 923,32 DM und 1997: sechs Fahrten = 4 739,72 DM) nach F geltend. Er trug dazu vor, in F und der näheren Umgebung von F sei der wesentliche Teil seines Vermögens belegen und werde von dort aus verwaltet. Erhebliche Arbeiten seien insbesondere für die Verwaltung seiner Miethäuser, aber auch für sein Kapitalvermögen angefallen. In F habe er auch seine Steuererklärungen erstellt, Einsprüche angefertigt und an den Gesellschafterversammlungen der Familiengesellschaften W-GmbH (Betriebsgesellschaft) und der W-GbR (Besitzgesellschaft) teilgenommen. Er habe anlässlich dieser Tätigkeiten (häufig am Wochenende) zwar im Zweifamilienhaus seines Vaters übernachtet, doch hätten die Reisen nur zum geringen Teil dem Besuch der Familie gedient (täglich ca. zwei Stunden).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ließ die Fahrtaufwendungen unberücksichtigt, weil es sich um privat veranlasste Fahrten zum Elternhaus des Klägers gehandelt habe. Die Einsprüche blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es ging unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) davon aus, dass die Fahrtkosten als gemischte Aufwendungen dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterlägen und dieses Verbot verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG).

Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ein Aufteilungs- und Abzugsverbot herzuleiten sei. Dieses Verbot beruhe auf einer systemwidrigen und inkonsequenten Rechtsprechung, die im Schrifttum massiv kritisiert werde und —soweit, wie hier, der private Anlass familiäre Beziehungen seien— auch gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Dem müsse zumindest mit einer verfassungskonformen Auslegung des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG abgeholfen werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1995 und 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom bzw. und des Einkommensteuerbescheides 1996 vom die Einkommensteuer für diese Jahre unter Berücksichtigung von Fahrtkosten in Höhe von 3 000,57 DM (1995), 4 109,91 DM (1996) und 3 365,50 DM (1997) festzusetzen.

Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der erkennende Senat kann auf der Grundlage des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob die geltend gemachten Fahrtaufwendungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den verschiedenen Einkünften des Klägers abziehbar sind (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 4 bis 6, § 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG).

1. Die Abziehbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgaben setzt gemäß § 4 Abs. 4 EStG voraus, dass sie durch den Betrieb veranlasst sind. Das erfordert einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Aufwand und Betrieb (vgl. u.a. , BFH/NV 1998, 961, unter 1. der Gründe, m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Abziehbarkeit von Werbungskosten bei der jeweiligen Einkunftsart (vgl. u.a. , BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369).

Andererseits dürfen solche Kosten im Hinblick auf § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG die einkommensteuerrechtliche Bemessungsgrundlage grundsätzlich nicht mindern, wenn sie zugleich die private Lebensführung des Steuerschuldners betreffen; für diese sog. gemischten Aufwendungen gilt aus Gründen steuerlicher Gerechtigkeit grundsätzlich ein Aufteilungs- und Abzugsverbot (BFH-Beschlüsse vom GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, und vom GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). In solchen Fällen kommt ein uneingeschränkter Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die betriebliche Veranlassung bei weitem überwiegt, das Hineinspielen der Lebensführung nicht ins Gewicht fällt und von ganz untergeordneter Bedeutung ist (ständige Rechtsprechung des BFH im Anschluss an die genannten Beschlüsse des Großen Senats, vgl. u.a. , juris).

2. Kriterien für die Zuordnung gemischter Aufwendungen zum einkünftebezogenen Bereich hat der BFH vor allem in seiner Rechtsprechung zu Auslandsreisen entwickelt; sie gelten jedoch für die hier zu beurteilenden Inlandsreisen entsprechend (vgl. u.a. , BFHE 173, 327, BStBl II 1994, 350).

a) Danach sind Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer einkünftebezogener Anlass zugrunde liegt, in der Regel ausschließlich der Einkunftssphäre zuzuordnen, selbst wenn solche Reisen in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Verfolgung privater Reiseinteressen den Schwerpunkt der Reise bildet (vgl. , BFHE 148, 262, BStBl II 1987, 208; vom IV R 72/89, BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92; in BFHE 173, 327, BStBl II 1994, 350; in BFH/NV 1998, 961; in BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369).

b) Der Nachweis eines einkünftebezogenen Anlasses muss aber nicht stets zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führen (vgl. u.a. , BFHE 182, 536, BStBl II 1997, 357; , BFH/NV 2000, 695). Spricht ein Indiz für eine nicht nur untergeordnete private Mitveranlassung der Reise, so können die Reisekosten nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden, wenn aufgrund anderer Indizien feststeht, dass die Reise nahezu ausschließlich aus einkünftebezogenen Gründen unternommen wurde (BFH-Urteil in BFHE 173, 327, BStBl II 1994, 350, unter 1.a der Gründe). Ein solches Indiz könnte im Streitfall in der Häufigkeit der Reisen und darin zu sehen sein, dass der Kläger die Fahrten häufig auf die Wochenenden und Feiertage verlegt hat. Das kann seinen Grund in der beruflichen Beanspruchung des Klägers während der Woche und den Besonderheiten eines Familienunternehmens haben, kann aber auch auf regelmäßige Besuchsreisen zum Vater des Klägers oder auf andere private Anlässe hinweisen (vgl. etwa Schmidt/ Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 4 Rz. 520 „Informationsreisen”, unter c (4)). Ist Letzteres der Fall, ist der Beweiswert der einkünftebezogenen Veranlassung erschüttert. Aber selbst für diesen Fall sind die Beurteilungsmerkmale, die für eine private oder einkünftebezogene Veranlassung der Reise sprechen, gegeneinander abzuwägen. Ob die private Mitveranlassung von untergeordneter Bedeutung ist, hängt hier regelmäßig davon ab, ob die Reisetage wie normale Arbeitstage mit betrieblicher Tätigkeit ausgefüllt sind (BFH-Urteile in BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92; in BFHE 173, 327, BStBl II 1994, 350, m.w.N.). Das hat der Steuerpflichtige nachzuweisen.

Ist dieser Nachweis geführt, ist es ohne Bedeutung, ob die täglichen freien, vom Betrieb oder Beruf nicht beanspruchten Stunden für den Besuch von Familienmitgliedern oder für andere private Zwecke verwendet werden. Die familiären Gründe treten hier als Indiz für eine wesentliche private Mitveranlassung der Reise in den Hintergrund (vgl. u.a. auch BFH-Urteil in BFHE 162, 316, BStBl II 1991, 92, unter 5. a.E. der Gründe).

c) Diese Grundsätze gelten jedoch nur eingeschränkt für Fahrtkosten, die für einen einkünftebezogenen Aufenthalt mit anschließendem Urlaub entstehen. Hier hat das aus § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG abgeleitete Aufteilungs- und Abzugsverbot zur Folge, dass die An- und Rückreisekosten als Kosten der Lebensführung insgesamt nicht abziehbar sind (, BFHE 168, 254, BStBl II 1992, 898; , BFH/NV 1997, 290). Das FG wird prüfen, ob diese Rechtsprechung zur Beurteilung der Fahrtkosten heranzuziehen ist, die anlässlich der mehrtägigen Aufenthalte an den Weihnachtsfeiertagen angefallen sind. Die Aufenthalte an den Wochenenden und der zur freien Verfügung stehende Sonntag stehen der Würdigung, die Reise sei einkünftebezogen veranlasst, aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Sonntag —wie hier vorgetragen— auch der Rückreisetag war.

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Es hat ohne hinreichende tatsächliche Feststellungen zu den einkünftebezogenen Tätigkeiten des Klägers und dessen zeitlicher Beanspruchung durch diese Tätigkeiten angenommen, dass die Fahrten in erster Linie der Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen der Familiengesellschaften sowie dem regelmäßigen Besuch des Vaters dienten. Es hat damit die privaten Interessen des Klägers zum Schwerpunkt der Gründe für die Fahrten erklärt, ohne die verschiedenen Zielsetzungen dieser Fahrten in der gebotenen Weise gegeneinander abzuwägen. Das gilt nicht nur für die Gewichtung der einkünftebezogenen und der privaten Interessen des Klägers an den Versammlungen der Familiengesellschaften, bei denen die familiären Beziehungen regelmäßig unbeachtlich sind, sondern auch für die Gewichtung des Interesses des Klägers am Besuch seines Vaters, das sachlich und zeitlich gegen die vom Kläger angeführten übrigen Tätigkeiten im Zusammenhang mit seinen anderen Einkünften abzuwägen ist. Der pauschale Hinweis des FG, diese Tätigkeiten seien nicht notwendig auf F beschränkt, sondern könnten auch von D aus vorgenommen werden, reicht für die Würdigung, sie seien unbeachtlich, nicht aus; es ist im Einzelnen festzustellen, ob sie ortsbezogen waren (wie z.B. die geltend gemachte Wahrnehmung von Vermieterinteressen, Besprechungen im Zusammenhang mit den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, die Beschaffung von Unterlagen im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit etc.) und welchen zeitlichen Aufwand sie verursachten.

Dieser Aufwand kann einheitlich für alle Einkünfte ermittelt werden; das gilt auch für die auf die Tätigkeit für die W-GbR entfallende Zeit, obwohl diese Tätigkeit nicht bei der Einkommensteuerveranlagung, sondern im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für die GbR zu beurteilen ist. Nicht einheitlich beurteilt werden kann dagegen der mit der jeweiligen Tätigkeit verbundene finanzielle Aufwand. Dieser ist für die jeweilige Einkunftsart zu schätzen und dieser zuzuordnen. Jede Einkunftsart ist für sich zu beurteilen (vgl. etwa , BFH/NV 1999, 1328, m.w.N.; zur Bedeutung dieser Abgrenzung Schmidt/Seeger, a.a.O., § 2 Rz. 35). Die Schätzung ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vorzunehmen (z.B. nach Zeitaufwand, Umsätzen etc., vgl. u.a. , BFHE 174, 347, BStBl II 1994, 650, unter 4. der Gründe).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2174 Nr. 12
DStR 2006 S. 269 Nr. 7
DStRE 2006 S. 317 Nr. 5
EStB 2005 S. 455 Nr. 12
HFR 2006 S. 136 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 46
HAAAB-68128