BFH Beschluss v. - X B 24/05

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.

1. Dies gilt zunächst für die vom Kläger erhobene Rüge, das Finanzgericht (FG) habe ihm das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO) dadurch verwehrt, dass es die von ihm (Kläger) beantragte Beiziehung der die Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 betreffenden Steuer- und Bilanzakten seines Vaters W nicht vorgenommen habe und er (Kläger) deshalb „zur tatsächlichen Höhe des Haftungsbetrages nichts (habe) vortragen (können)”.

a) Auf die Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Recht auf Gehör kann verzichtet werden (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs muss deshalb nach Möglichkeit schon vor dem FG gerügt werden. Hatte der Prozessbeteiligte von dem Mangel Kenntnis und rügte er ihn nicht in der (nächsten) mündlichen Verhandlung, so kann er ihn nicht mit Erfolg als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend machen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 50, letzter Absatz, i.V.m. § 119 Rz. 12, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die in Rede stehende Rüge des Klägers schon deswegen unschlüssig, weil er nicht vorgetragen hat und ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem auch nicht vorzutragen vermochte, dass sein in der mündlichen Verhandlung anwesender Prozessbevollmächtigter den Mangel der fehlenden Aktenbeiziehung gerügt habe. Der Kläger hat auch nicht ausgeführt, aus welchen —nicht von ihm zu vertretenden— Gründen er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei.

c) Abgesehen davon genügt diese Gehörsrüge auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der Kläger nicht —wie es indessen im hier in Betracht zu ziehenden Fall, dass sich die mögliche Gehörsverletzung nur mehr auf einzelne Feststellungen und nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht, geboten gewesen wäre (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14, m.w.N.)— (substantiiert) dargelegt hat, inwiefern die Entscheidung des FG —auf der Grundlage dessen materiell-rechtlicher Auffassung— im Falle der vom Kläger begehrten Aktenbeiziehung anders hätte ausfallen können. Zu dahin gehenden Ausführungen bestand im Streitfall für den Kläger umso mehr Anlass, als das FG dem Begehren des Klägers ausweislich der FG-Akten zumindest teilweise durch Beiziehung des „Bilanzheftes” und der „Akten über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens” betreffend W (Vater des Klägers) Rechnung getragen hatte sowie das FG seine klageabweisende Entscheidung —ohne dass es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auf die Höhe der streitigen, vom Kläger für die (angebliche) Haftungsschuld gebildeten Rückstellung ankam— für sich genommen tragend auf den rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hatte, dass der Ansatz eines entsprechenden Schuldpostens (schon dem Grunde nach) den Erlass eines Haftungsbescheides gegen den Kläger vorausgesetzt habe, woran es gefehlt habe.

2. Die unter 1. bezeichnete Rüge ist auch dann unschlüssig, wenn man in ihr den Vorwurf erblickt, das FG habe seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 72).

Auch insoweit fehlt es jedenfalls —wie schon unter 1.c ausgeführt— an der substantiierten Darlegung, inwiefern der (vorgebliche) Verfahrensfehler für das angefochtene Urteil auf der Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts ursächlich war (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 72, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

3. Im Ergebnis nichts anderes gilt auch dann, wenn man die unter 1. genannte Rüge als solche des Übergehens eines Beweisantrages auffasst (Rüge der Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO).

Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend gemacht, das FG habe Beweisanträge übergangen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. substantiierte Angaben des Beschwerdeführers darüber erforderlich,

- inwiefern das angefochtene Urteil —ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG— auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre,

- da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen „verzichtbaren Mangel” i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO handelt, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt worden oder —wenn dies nicht geschehen sein sollte— weshalb die Rüge dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

An beiden Erfordernissen fehlt es im Streitfall (vgl. unter 1.c und 1.b).

4. Ebenso unschlüssig ist die vom Kläger erhobene Rüge, das FG habe ihm das Recht auf Gehör auch dadurch versagt, dass es ihm entgegen seinem bereits in der Klageschrift gestellten Antrag keine Akteneinsicht gewährt habe und er auch deswegen zur „tatsächlichen Höhe des Haftungsbetrages” nicht habe Stellung nehmen können.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die Prozessbeteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 FGO). Damit wird gewährleistet, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten und beigezogenen Akten enthaltenen Tatsachen Stellung nehmen können, bevor sie das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht (vgl. Gräber/ Koch, a.a.O., § 78 Rz. 1). Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler vor (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1168, m.w.N.).

b) Die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs —hier durch die (angebliche) Versagung der begehrten Akteneinsicht— setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers voraus, dass er

- den Mangel in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt habe bzw. aus welchen —von ihm nicht zu vertretenden— Gründen er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) und

- was er bei rechtzeitiger Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des FG —auf der Basis der von diesem vertretenen Rechtsauffassung— hätte beeinflussen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 12, m.w.N.; ferner z.B. Senatsbeschluss vom X B 182/01, juris Nr: STRE200350622).

An einem dahin gehenden (substantiierten) Vortrag mangelt es im Streitfall. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am den (vorgeblichen) Mangel der versagten Akteneinsicht gerügt habe. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus der Sitzungsniederschrift über diesen Termin. Der Kläger hat ferner auch nicht dargetan, warum er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei.

Ebenso wenig hat der Kläger schlüssig ausgeführt, was er bei (rechtzeitiger) Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und dass dies —unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG— die Entscheidung des FG hätte beeinflussen können (vgl. dazu schon die hier sinngemäß geltenden Ausführungen unter 1.c).

c) Ergänzend bemerkt der angerufene Senat hierzu Folgendes: Selbst wenn —anders als hier— die Voraussetzungen des Rügeverzichts i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO nicht vorliegen, verliert der Beschwerdeführer sein Rügerecht, wenn er nicht von sich aus alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör —hier in Form der Akteneinsicht— zu verschaffen (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 13).

Daran fehlt es ausweislich der FG-Akten im Streitfall. Den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Klageschrift vom gestellten Antrag, das FG möge beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) neben den Steuerakten auch die Arbeitsunterlagen des Betriebsprüfers anfordern und die Akten anschließend zum Zwecke der Akteneinsicht an das FA X II übersenden, beschied das FG mit Schreiben an den Prozessbevollmächtigten vom dahin, dass dieser sich wegen seines Antrages auf Akteneinsicht an das beklagte FA wenden solle, bei welchem sich die Verwaltungsakten noch befänden. Gleichzeitig bat das FG das beklagte FA, dem Prozessbevollmächtigten Einsicht in die Steuerakten zu gewähren. Wenn der Prozessbevollmächtigte —wie es im Streitfall offenbar zutraf— diese Möglichkeit nicht wahrnahm und sich auch später —nachdem das FA am die Steuerakten an das FG übersandt hatte— nicht mehr weiter um eine Akteneinsicht bemühte, so lässt sich die Nichtvornahme der Akteneinsicht durch den Prozessbevollmächtigten nicht auf ein verfahrensfehlerhaftes, gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO verstoßendes Verhalten des FG zurückführen.

5. Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung schließlich moniert, es könne „nicht festgestellt werden ..., wie das FG zu dem Ergebnis gelangt (sei), dass im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung im Juli 1996 keine hinreichenden Anhaltspunkte dem Beklagten dafür vorlagen, dass die Betriebsübernahme dem Beklagten bekannt gewesen wäre...”, wendet sich der Kläger gegen die vom FG vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung und rügt damit einen materiell-rechtlichen Fehler, der als solcher der Prüfung des BFH im Rahmen der Verfahrensrevision entzogen ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 76, 81 und 82, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

Entsprechendes gilt für die Kritik des Klägers an der Auffassung des FG, derzufolge der Ansatz eines entsprechenden Schuldpostens voraussetzt, dass gegen den Kläger bereits ein Haftungsbescheid ergangen gewesen war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2222 Nr. 12
WAAAB-66970