BFH Beschluss v. - IV B 146/04

Urteil ohne Gründe bei Bezugnahme auf ein später zugestelltes Urteil

Gesetze: FGO § 119 Nr. 6

Instanzenzug: , F

Gründe

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die durch Umwandlung auf den aus der S-GbR (GbR) hervorgegangen ist. In einer Bilanz auf den behandelte die Klägerin ein bebautes Grundstück als Betriebsvermögen und bewertete es mit 1 300 000 DM für den Grund und Boden und 5 600 000 DM für das Gebäude. In der Bilanz auf den nahm die Klägerin eine Teilwertabschreibung in Höhe von 2 400 000 DM vor und bewertete den Grund und Boden mit 1 600 000 DM und das Gebäude mit 2 900 000 DM. Die Anschaffungskosten des Grundstücks hatten im Januar 1990 insgesamt 2 570 000 DM betragen. Erwerberin war eine Z-KG gewesen, die zum in die S-GbR umgewandelt worden war. Das Grundstück war mit zwei Mehrfamilienhäusern bebaut, die zunächst an die Stadt X zur Nutzung als Übergangswohnheim für Aussiedler und Asylbewerber vermietet waren. Geplant war die Umgestaltung zu einer Seniorenresidenz mit 82 einzeln zu verkaufenden Wohneinheiten.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) war nach einer Außenprüfung zu der Auffassung gelangt, das Grundstück sei als Umlaufvermögen zum Teilwert in die Klägerin eingebracht worden. Der Wert habe einer Stellungnahme des Bausachverständigen des FA zufolge am insgesamt 5 200 000 DM betragen (Grund und Boden 1 300 000 DM, Gebäude 3 900 000 DM). Am habe der Teilwert insgesamt höher, nämlich bei 5 500 000 DM (Grund und Boden 1 600 000 DM, Gebäude 3 900 000 DM) gelegen. Die von der Klägerin vorgenommene Teilwertabschreibung erkannte das FA deshalb nicht an.

Die nach erfolglosem Einspruch gegen entsprechend geänderte Gewinnfeststellungsbescheide und Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre (1996 und 1997) sowie Bescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den und 1997 erhobene Klage hatte in Bezug auf die Teilwertabschreibung keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Klägerin sei durch formwechselnde Umwandlung aus der GbR hervorgegangen. Die GbR habe bereits einen Gewerbebetrieb unterhalten, zu dessen Umlaufvermögen das Grundstück gehört habe. Zuvor sei es Betriebsvermögen der Z-KG gewesen, die formwechselnd in die GbR umgewandelt worden sei. Demgemäß sei das Grundstück jeweils zum Buchwert von der Z-KG auf die GbR und von dieser auf die Klägerin übergegangen. Der Buchwert in der Z-KG habe sich aus den Anschaffungskosten ergeben. Allerdings sei fälschlich ein Aufgabegewinn der Z-KG besteuert worden, was zu einer Aufstockung des Werts auf insgesamt 2 861 096 DM geführt habe. Mit diesem Wert sei das Grundstück bei der Klägerin erstmals zu bilanzieren. Der Teilwert sei später nicht unter diesen Wert gesunken.

Zur Qualifikation der Tätigkeit der GbR als gewerblich machte das FG in dem die Streitjahre betreffenden Urteil keine eigenständigen Ausführungen, sondern verwies insoweit auf ein Urteil vom gleichen Tag über eine Klage der GbR betreffend Gewinnfeststellung 1994 und 1995.

Das nach mündlicher Verhandlung vom ergangene Urteil betreffend die Streitjahre, mit dem die Revision nicht zugelassen wurde, wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Die Zustellung des Urteils betreffend Gewinnfeststellung der GbR 1994 und 1995 erfolgte erst am .

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das Urteil beruhe auf einer objektiv willkürlichen Anwendung revisiblen Rechts, und beruft sich außerdem auf verschiedene Verfahrensfehler. Insbesondere sei das Urteil ohne Gründe ergangen. Denn in den Entscheidungsgründen werde auf das Urteil…Bezug genommen, das aber erst später zugestellt worden sei. Wegen des Beschwerdevorbringens im Einzelnen wird auf die Begründungsschrift vom verwiesen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es bezweifelt, dass bei einer Zeitspanne zwischen den Zustellungen von drei Tagen und einer Differenz in der Laufzeit der Beschwerdefrist von zwei Tagen eine einen absoluten Revisionsgrund begründende Beeinträchtigung prozessualer Rechte vorliege. Willkürlich habe das FG nicht gehandelt, Verfahrensfehler lägen nicht vor.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Denn es ist i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen.

a) Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO liegt deshalb vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung in Bezug auf alle wesentlichen Streitpunkte auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. , BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417; , BFH/NV 1994, 46). Eine solche Möglichkeit zur Überprüfung kann auch dann gegeben sein, wenn in der Begründung eines Urteils auf eine andere Entscheidung zwischen denselben Beteiligten Bezug genommen wird. Voraussetzung dafür ist aber nach der Rechtsprechung des BFH, dass die in Bezug genommene Entscheidung entweder gleichzeitig mit der angefochtenen Entscheidung zugestellt wird oder dass sie den Beteiligten schon zu einem früheren Zeitpunkt zugestellt worden ist (, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 23 a).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Es kann dahinstehen, ob die Beteiligten des hiesigen Verfahrens und des in Bezug genommenen Verfahrens betreffend frühere Streitjahre in diesem Zusammenhang überhaupt als identisch angesehen werden können, nachdem Klägerin des Verfahrens…die GbR war (zur Frage der Identität bei einer Klage der Gesellschaft betreffend Gewerbesteuermessbetrags und der Gesellschafter betreffend Gewinnfeststellung vgl. , BFH/NV 2003, 604). Denn selbst wenn man von einer Identität der Beteiligten ausgehen würde, wäre das in Bezug genommene Urteil den Beteiligten nicht spätestens gleichzeitig zugestellt worden. Vielmehr erfolgte die Zustellung drei Tage nach der Zustellung des hiesigen, die Bezugnahme enthaltenden Urteils.

Der Senat kann sich nicht der Auffassung des FA anschließen, dass eine so geringfügige Differenz von drei Tagen unbeachtlich sei. Einerseits stellt die Zulässigkeit einer Bezugnahme in den Entscheidungsgründen bereits eine Ausnahme von dem generellen Erfordernis dar, dass ein Urteil mit vollständigen Gründen zu versehen ist. Diese Ausnahme muss in engem Rahmen gehalten werden, um der Bedeutung, die das Gesetz der Urteilsbegründung beimisst (absoluter Revisionsgrund, § 119 Nr. 6 FGO), gerecht zu werden. Andererseits hat jeder Verfahrensbeteiligte einen Anspruch darauf, die vollständige Rechtsmittelfrist nutzen zu können. Diesem Anspruch wird nur genügt, wenn sich die Beteiligten während der gesamten Frist mit der ganzen Urteilsbegründung auseinander setzen können.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1825 Nr. 10
JAAAB-60888