Einseitige Erledigungserklärung des Beklagten; Umfang der richterlichen Hinweispflicht
Gesetze: FGO § 76 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Am pfändete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) wegen Abgabenrückständen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) in Höhe von insgesamt ... DM dessen Ansprüche, Forderungen und Rechte gegenüber der X-Bank, bei der der Kläger ein Konto unterhielt. Im Laufe des über die Kontenpfändung vom Kläger anhängig gemachten Klageverfahrens vor dem Finanzgericht (FG) hob das FA die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung am auf, nachdem der Kläger in Befolgung einer gerichtlichen Verfügung Nachweisunterlagen dafür vorgelegt hatte, dass das von der Pfändung erfasste Guthaben des zu Beginn des Klageverfahrens noch als Rechtsanwalt zugelassenen Klägers ausschließlich auf zweckgebundene Gerichtskostenvorschüsse von Rechtsschutzversicherungen zurückzuführen sei. In der Aufhebungsverfügung wies das FA die Bank darauf hin, dass bei der Abwicklung des Kontos des Klägers die Bestellung des Notars A als Abwickler der Kanzlei des Klägers zu beachten sei. Gleichzeitig erklärte das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Auf Befragen durch das Gericht erklärte der Kläger den Rechtsstreit nicht für erledigt, weil er sich durch die seiner Auffassung nach nicht uneingeschränkte Aufhebung der Pfändungsverfügung nach wie vor beschwert fühle. Notar A sei nämlich nie wirksam zum Abwickler seiner Kanzlei bestellt worden.
Das FG wies daraufhin die Klage als unzulässig ab. Es ist der Auffassung, der Rechtsstreit habe sich durch die Aufhebung der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der Drittschuldnerin erledigt. Dem Begehren des Klägers sei damit in vollem Umfang entsprochen worden. Der Hinweis, bei der Abwicklung des Kontos die Bestellung des Notars und Rechtsanwalts A als Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers zu beachten, sei lediglich als Information der Drittschuldnerin ohne Regelungscharakter zu werten. Denn die Frage, an wen die Drittschuldnerin die Guthaben schuldbefreiend auszuzahlen gehabt habe, habe lediglich das zivilrechtliche Rechtsverhältnis des Klägers als Kontoinhaber zur Bank, nicht hingegen das Steuerschuldverhältnis zwischen dem Kläger und dem FA betroffen. Auf die Frage, ob Rechtsanwalt A tatsächlich von der Rechtsanwaltskammer zum Abwickler bestellt worden und ob diese Bestellung wirksam erfolgt sei, komme es in diesem Zusammenhang daher nicht an. Wegen Erledigung der Hauptsache fehle es dem Kläger an einem allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis an der Fortführung des Klageverfahrens, was zur Unzulässigkeit der Klage führe. Im Übrigen sei die Klage auch deswegen unzulässig, weil der Kläger nach der Bestellung eines Abwicklers nicht mehr berechtigt sei, den Pfändungsschutz für das von ihm seinerzeit als Rechtsanwaltsanderkonto eingerichtete Konto im eigenen Namen geltend zu machen.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er im Wesentlichen einen Verfahrensfehler des FG (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) rügt. Das FG habe die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne ihn zuvor auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage hinzuweisen, wie es die Pflicht des FG gemäß § 139 Abs. 3 und 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO gewesen sei. Im Termin habe der Vorsitzende sogar noch den Klageantrag in aktualisierter Form vorgeschlagen, ohne ein Wort über die mögliche Unzulässigkeit der Klage zu verlieren. Hätte das FG frühzeitig einen diesbezüglichen Hinweis gegeben, hätte er ausführlich vorgetragen, dass der angebliche Abwickler A nie ordnungsgemäß zum Kanzleiabwickler bestellt worden sei. Bei verfahrensfehlerfreier Aufklärung des Sachverhalts hätte auch das FG zu diesem Ergebnis kommen müssen und demzufolge den Hinweis des FA an die Bank als schuldhaft amtspflichtwidrig beurteilen müssen.
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger seiner Darlegungspflicht hinsichtlich des behaupteten Verfahrensfehlers (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) in ausreichendem Maße nachgekommen ist, denn dieser liegt jedenfalls nicht vor. Das FG hat seine Hinweispflicht, die sich im finanzgerichtlichen Verfahren im Übrigen unmittelbar aus § 76 Abs. 2 FGO ergibt, sodass es eines Rückgriffs über § 155 FGO auf die entsprechenden zivilprozessualen Vorschriften nicht bedarf, nicht verletzt.
1. Die richterliche Hinweispflicht soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für den Beteiligten geben, ohne dass indessen dessen Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird. Die Rechtsverwirklichung soll grundsätzlich nicht an der Unkenntnis, Unerfahrenheit oder Unbeholfenheit des Rechtssuchenden scheitern. Daher sind individuelle, von Fall zu Fall zu bestimmende Maßstäbe an die Beachtung der Hinweispflicht anzulegen, die entscheidend auch von der Rechtskunde der Beteiligten, im Wesentlichen also davon, ob diese fachkundig vertreten sind, abhängen (vgl. , BFH/NV 2004, 357, m.w.N.). Liegen die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen zur Erreichung des Prozessziels bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren, klar auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung des Gerichts dar, wenn der Betroffene sachkundig vertreten oder —wie im Streitfall— selbst sachkundig ist (BFH-Beschlüsse vom VII B 82/03, BFH/NV 2004, 800, und vom X B 87/04, BFH/NV - CD-ROM, Index 1266580).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist bei einseitiger Erledigungserklärung durch den Beklagten (hier: durch das FA) der Prozess fortzuführen und durch Urteil zu entscheiden. Die Erledigungserklärung des Beklagten stellt sich in einem solchen Fall lediglich als Anregung an das Gericht dar zu prüfen, ob die Hauptsache erledigt und daher die Klage als unzulässig abzuweisen ist, weil ihr nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis fehle und der Kläger dem nicht durch Änderung seines Antrags Rechnung getragen habe (, BFH/NV 1990, 106; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 138 Rz. 21, m.w.N.). Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Hauptsache erledigt ist, ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO als unzulässig abzuweisen (, BFH/NV 1993, 46; Gräber/Ruban, a.a.O.).
Im Streitfall hat das FG, nachdem das FA seine Erledigungserklärung abgegeben hatte, mit Verfügungen vom 26. August und beim Kläger angefragt, ob er das Verfahren fortführen oder ebenfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären wolle. Jedem Sachkundigen musste unter diesen Umständen klar sein, dass im Falle der Nichtabgabe einer Erledigungserklärung der Rechtsstreit fortzuführen und, sofern das Gericht die Erledigung tatsächlich auch feststellt, die Klage zwingend als unzulässig abzuweisen war. Das FG durfte den Kläger auch als sachkundig ansehen, weil dieser noch zu Beginn des Verfahrens als Rechtsanwalt zugelassen war und mit der Rückgabe bzw. dem Verlust dieser Zulassung im Verlauf des Verfahrens nicht zugleich auch die Sachkunde beim Kläger in Abrede gestellt werden kann. Das FG konnte mithin ohne Verletzung seiner Hinweispflicht davon absehen, den Kläger ausdrücklich, sei es in den richterlichen Verfügungen, sei es in der mündlichen Verhandlung anlässlich der Formulierung des nunmehr umgestellten Klageantrags, über die möglichen Folgen der Nichtabgabe einer Erledigungserklärung zu belehren, denn das FG konnte mit Recht davon ausgehen, dass sich der sachkundige Kläger darüber im Klaren gewesen sein musste.
2. Da der Kläger hinsichtlich der Begründung des FG für den Eintritt der Erledigung des Rechtsstreits, dass nämlich das FA dem Klagebegehren in vollem Umfang entsprochen und es sich bei dem Hinweis gegenüber der Drittschuldnerin auf die Person des Abwicklers lediglich um eine unverbindliche Information ohne Regelungscharakter gehandelt habe, keine Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO vorgebracht hat, hat das FG-Urteil mit dieser ersten tragenden Begründung Bestand. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die vom FG gegebene weitere, wohl selbständig tragende Begründung für die Unzulässigkeit der Klage, dass nämlich der Kläger wegen der Bestellung des Abwicklers zur Geltendmachung des Pfändungsschutzes nicht mehr befugt sei, den Angriffen der Beschwerde standhält.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1362 Nr. 8
XAAAB-54360