BFH Beschluss v. - II B 79/03

Rüge eines Verfahrensfehlers wegen fehlerhaften Ergehens eines Sachurt. statt eines Prozessurt.

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte mit Bescheiden vom 20. und gegenüber den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) Vermögensteuer auf die Stichtage , 1995 und 1996 fest. Die Einspruchsentscheidungen wurden der Bevollmächtigten der Kläger am an Amtstelle gegen Empfangsbekenntnis übergeben.

Die Klage vom ging beim Finanzgericht (FG) am selben Tag per Telefax ein. Das FG entsprach dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht und wies die Klage wegen Verfristung als unzulässig ab.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts sowie Verfahrensfehler geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

II. Die Beschwerde ist unzulässig und war daher zu verwerfen.

Soweit die Kläger die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 1. Alternative FGO) geltend machen, ist die Beschwerde unzulässig, weil die von den Klägern aufgeworfene vermögensteuerrechtliche Rechtsfrage nicht Gegenstand der Entscheidung des FG ist.

Die Beschwerde ist ebenfalls unzulässig, soweit die Kläger Verfahrensfehler geltend machen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Im Kern rügen die Kläger bei verständiger Würdigung als Verfahrensfehler sinngemäß, die Entscheidung des FG verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten zwar als solcher kein Verfahrensmangel (vgl. , BFHE 118, 546, BStBl II 1976, 503). Die Rüge eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten kann allerdings dahin zu verstehen sein, dass hiermit die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO geltend gemacht wird, wonach das Gericht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom II B 29/00, BFH/NV 2002, 512, sowie vom II B 86/87, BFH/NV 1988, 785, m.w.N.).

Die Kläger haben nicht in der gesetzlich erforderlichen Weise schlüssig dargelegt, dass die Entscheidung des FG auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierbei ist die materiell-rechtliche Sicht des FG —unabhängig davon, ob sie zutreffend ist— zu Grunde zu legen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 79, m.w.N.). Das FG hat die besonderen Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten bei Zustellung an ihn durch Empfangsbekenntnis dahin konkretisiert, dass dieser einen Vermerk auf den zugestellten Schriftstücken oder in den Handakten anbringen müsse, aus dem sich Tag und Art der Zustellung „augenfällig” ergeben. Nach diesem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG kommt es nicht, wie von den Klägern vorgetragen, darauf an, dass die Schriftstücke den Zustellvermerk des FA „Durch Empfangsbekenntnis” und den Eingangsstempel enthalten. Entscheidend ist vielmehr, dass der Angabe des FA über die Art der Zustellung nicht die erforderliche „Augenfälligkeit” zukam, die eine Fristwahrung auf Seiten des Empfängers ermöglicht hätte, wie sich schon darin zeigt, dass die Angabe des FA keine Beachtung gefunden hat. Vom Standpunkt des FG aus hätte es daher eines für das Büropersonal und spätere Bearbeiter ins Auge springenden Hinweises auf die Art der Zustellung bedurft. Dafür zu sorgen, war nicht Sache des FA, dessen Vermerk über die Art der Zustellung nicht die Funktion hatte, die Fristwahrung sicherzustellen.

Aus dem nämlichen Grund wäre, soweit die Kläger als Verfahrensfehler auch einen Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO andeuten, die Beschwerde insoweit unzulässig.

Soweit die Kläger außerdem geltend machen, ein Prozessurteil hätte nicht ergehen dürfen, machen die Kläger zwar einen (weiteren) Verfahrensfehler geltend. Dieser Verfahrensmangel ist aber ebenfalls nicht in der gesetzlich erforderlichen Weise dargelegt worden (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Nach inzwischen überwiegender Rechtsprechung liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch dann vor, wenn das FG fehlerhaft statt eines Sachurteils ein Prozessurteil erlässt (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV B 32/01, BFH/NV 2002, 927, sowie vom II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897, und Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 78, m.w.N.). Ob dies bei jedem Irrtum in der Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften gilt oder nur, wenn der Irrtum das Verfahren des Gerichts bei der Urteilsfindung beeinflusst hat (so BFH-Beschlüsse vom IV B 93/69, BFHE 99, 6, BStBl II 1970, 545, und vom IV B 125/87, BFH/NV 1989, 175), insbesondere bei fehlerhafter Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. etwa Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts —BVerwG— vom 4 B 83/02, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungs-Report 2003, 901; offen gelassen etwa in BFH-Beschlüssen vom X B 50/01, juris STRE200151127, und vom III B 184/86, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107), kann dahinstehen. Denn jedenfalls muss, da ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO substantiiert dargelegt werden, dass das FG fehlerhaft entschieden hat. Diesem Darlegungserfordernis entspricht die Beschwerdeschrift nicht. Die Kläger beschränken sich auf einen abstrakten Hinweis darauf, dass auch ein Verfahrensfehler vorliegen könne, wenn fehlerhaft statt eines Sachurteils ein Prozessurteil ergehe (vgl. oben), und darauf, dass der vom FG geforderte Vermerk entbehrlich sei. Konkrete substantiierte Ausführungen, warum die Auslegung des § 56 FGO durch das FG fehlerhaft sein soll, machen die Kläger nicht. Hierzu hätte aber —soweit die Beschwerdeschrift die Vorentscheidung angreift— schon deswegen Anlass bestanden, weil es zu den prozessualen Sorgfaltspflichten eines prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts gehört, bei der eigenhändigen Empfangnahme eines zugestellten Schriftstücks in Abwesenheit seines Büropersonals dafür Sorge zu tragen, dass das Zustellungsdatum auf dem Schriftstück oder sonst in den Handakten korrekt vermerkt wird (vgl. , BFHE 145, 117, BStBl II 1986, 168; vom IV R 41/79, BFHE 129, 232, BStBl II 1980, 154; , BFH/NV 1986, 614; , juris WBRE310442402). Insbesondere unterlassen es die Kläger darzulegen, dass die vom FA vermerkte Art der Zustellung den von der Rechtsprechung verlangten Vermerk des Empfängers unter dem Gesichtspunkt der „Augenfälligkeit” ersetzen konnte.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1670
BFH/NV 2004 S. 1670 Nr. 12
PAAAB-27637