Zahlungen aufgrund einer Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung als Erwerbsaufwendungen
Gesetze: AO § 71
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zur Einkommensteuer des Streitjahres 1993 zusammen veranlagt. Der Kläger war in Vorjahren Aktionär und alleiniges Vorstandsmitglied der Brauerei X AG (im Folgenden: AG). Diese hatte mit Kenntnis und Billigung des Klägers für eine Vielzahl von Gaststätten und für andere Kunden unter fiktiven Namen Phantomkonten eingerichtet, über die Getränkelieferungen verbucht wurden. Die Kunden zeichneten die hierüber erfolgten Wareneinkäufe nicht auf und erfassten die einschlägigen Betriebseinnahmen nicht.
Wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung Dritter erließ das Finanzamt (FA) im Frühjahr 1995 gegen den Kläger u.a. einen auf § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Haftungsbescheid in Höhe von rd. 59 000 DM für Einkommensteuerschulden verschiedener Kunden der AG. Den Haftungsbetrag entrichtete der Kläger Mitte 1995. Auf den Einspruch des Klägers wurde der Bescheid letztlich aufgehoben. Schließlich erließ das FA gegen den Kläger erneut einen Haftungsbescheid nach § 71 AO 1977 mit einer Haftungssumme von nur noch 20 790 DM. Der Differenzbetrag wurde erstattet.
Der Antrag des Klägers, den jeweiligen Haftungsbetrag als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen, blieb erfolglos.
Mit der Klage brachten die Kläger im Wesentlichen vor, der Kläger sei als Organ der AG in Haftung genommen worden und nicht als Privatmann. Durch die Schwarzgeschäfte der Kunden habe sich die wirtschaftliche Situation der AG erheblich verbessert. Es seien hierdurch Geschäfte getätigt worden, die ansonsten unterblieben wären. Der erheblich vergrößerte Umsatz habe sich im Gewinn der Brauerei niedergeschlagen. Der Kläger habe hiervon als Aktionär, insbesondere aber bei seinen Vorstandsbezügen profitiert. Ein schuldhafter Verstoß gegen Rechtsvorschriften mache eine Handlung und die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht zu einer privaten Zwecken dienenden Handlung.
Die Klage, mit der der Kläger begehrte, den Restbetrag des Haftungsbescheids in Höhe von 20 790 DM im Wege eines Verlustrücktrags aus dem Jahre 1995 in das Jahr 1993 zu übertragen, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat im Wesentlichen die Auffassung, eine Berücksichtigung der Zahlung als Erwerbsaufwendungen scheide aus, weil dies dem Zweck des § 71 AO 1977 widerspreche. Die Vorschrift solle allein den durch die Hinterziehungshandlung verursachten Vermögensschaden des Fiskus ausgleichen. Dieser Zweck werde unterlaufen, wenn der Haftende Zahlungen auf seine Haftungsschuld bei seiner eigenen Einkommensteuer als Werbungskosten geltend machen könne; in Höhe der hierdurch eintretenden Steuerermäßigung bliebe es bei einem Vermögensschaden des Fiskus.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Es sei richtig, dass die AG in gewissem Umfang verschiedene Gastwirte auch unter einem Zweitnamen beliefert habe; dies sei jedoch ausschließlich zur Förderung des Umsatzes und des Gewinns der AG geschehen. Der geleistete Haftungsbetrag sei als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) vertritt unter Bezugnahme auf das finanzgerichtliche Urteil die Ansicht, der Kläger sei —entgegen seiner Meinung— nicht nach §§ 69, 34 AO 1977 in Haftung genommen worden, sondern nur nach § 71 AO 1977. Wie das FG zutreffend entschieden habe, widerspreche es dem Zweck des § 71 AO 1977, die Haftungssumme zu berücksichtigen.
II. Die Revision der Kläger ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Mit Urteil vom VI R 35/96 (BFHE 205, 56, BFH/NV 2004, 865, Deutsches Steuerrecht 2004, 910, Der Betrieb 2004, 1241) hat der Senat in einem im Wesentlichen gleichgelagerten Fall entschieden, dass Zahlungen aufgrund einer Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung Dritter bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zu Erwerbsaufwendungen führen können. Gleiches gilt im Streitfall, in welchem der Kläger maßgeblich als alleiniges Vorstandsmitglied der AG durch Einrichtung von Zweit- bzw. Phantomkonten es verschiedenen Kunden ermöglichte, Schwarzeinkäufe zu tätigen.
Nach den gesamten Umständen des Streitfalles lagen die haftungsbegründenden Handlungen des Klägers im Rahmen seiner betrieblichen oder beruflichen Aufgabenerfüllung. Anhaltspunkte für private Beweggründe sind nicht ersichtlich.
Die Auffassung des FG dahin gehend, dass Erwerbsaufwendungen des Klägers tatbestandlich schon deshalb ausscheiden, weil dies mit Sinn und Zweck des § 71 AO 1977 nicht vereinbar sei, hat der Senat im o.a. Urteil VI R 35/96 ausdrücklich abgelehnt.
2. Der bisherige Verlustrücktrag von 1995 auf 1993 in Höhe von 16 132 DM erhöht sich um 20 790 DM. Das bisherige zu versteuernde Einkommen für 1993 verringert sich auf 121 490 DM und die Einkommensteuer (Splittingtabelle) auf 29 336 DM. Unter Berücksichtigung der kindbedingten Ermäßigung nach § 34f des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist die Einkommensteuer auf 28 736 DM (14 692,48 €) festzusetzen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1648
BFH/NV 2004 S. 1648 Nr. 12
OAAAB-26716