OFD Magdeburg - S 0351 - 16 - St 251

Korrekturumfang eines bestandskräftigen, auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerbescheids;
Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen (§ 173 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO) und materielle Fehler (§ 177 AO)

1 Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AO

Bei der Umsatzsteuer sind Tatsachen, die eine Erhöhung der Umsatzsteuer begründen, und Tatsachen, die eine höhere Vorsteuer begründen, getrennt zu beurteilen. Ein Zusammenhang zwischen nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen und nachträglich bekannt gewordenen Leistungen an den Unternehmer i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 besteht nur insoweit, als die Eingangsleistungen zur Ausführung der nachträglich bekannt gewordenen Umsätze verwendet wurden (, BStBl 1992 II S. 12 und vom , V R 60/92, BStBl 1996 II S. 149). Dies gilt allerdings nur, soweit diese Umsätze zum Vorsteuerabzug berechtigen; soweit die nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträge hingegen mit nachträglich bekannt gewordenen steuerfreien oder nichtsteuerbaren Umsätzen in Zusammenhang stehen, sind die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 nicht erfüllt.

Hat das Finanzamt bei einer Schätzung der Umsatzsteuer davon abgesehen, die Steuer auf der Grundlage des Ansatzes einer Vielzahl einzelner Umsätze mit jeweils genau bezifferter Bemessungsgrundlage zu ermitteln, können die nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträge im Schätzungsweg entsprechend dem Verhältnis der nachträglich erklärten und der ursprünglich vom Finanzamt geschätzten steuerpflichtigen Umsätze berücksichtigt werden, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass weniger oder mehr Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit den nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen stehen, als sich nach dieser Aufteilung ergibt (, BStBl 1996 II S. 149).

Wegen der übrigen Voraussetzungen wird auf A 202 Abs. 5 und 6 UStR verwiesen.

Beispiel 1:
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Schätzung
Erklärung
Differenz
stpfl. Umsätze
750.000,– €
1.250.000,– €
500.000,– €
(40 %) [1]
USt (16 %)
120.000,– €
   200.000,– €
  80.000,– €
– Vorsteuer
           0,– €
   120.000,– €
120.000,– €
= verbleibende USt
120.000,– €
     80.000,– €
–  40.000,– €  

Im geänderten Umsatzsteuerbescheid sind die Steuer erhöhenden neuen Tatsachen (steuerpflichtige Umsätze) und die Steuer mindernden neuen Tatsachen (Vorsteuern) aus der Steuererklärung wie folgt zu berücksichtigen:


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USt (16 %) lt. Schätzung
(60 %)
120.000,– €
+ neue Tatsache (§ 173 (1) Nr. 1 AO)
(40 %)
80.000,– €
zusammen
(100 %)
200.000,– €
 
abzüglich Vorsteuer lt. Schätzung
0,– €
 
+ neue Tatsache
 
 
§ 173 (1) Nr. 2 AO
 
 
(40 % von 120.000,– €)
+ 48.000,– €
 
 
48.000,– €
– 48.000,– €
festzusetzende USt
 
152.000,– €

Beispiel 2:
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Schätzung
Erklärung
Differenz
stpfl. Umsätze
1.000.000,– €
1.500.000,– €
500.000,– €
(33,33 %) [2]
USt (16 %)
   160.000,– €
   240.000,– €
  80.000,– €
– Vorsteuer
     50.000,– €
   250.000,– €
200.000,– €
= verbleibende USt
   110.000,– €
–   10.000,– €
120.000,– €

Im geänderten Umsatzsteuerbescheid sind die Steuer erhöhenden neuen Tatsachen (steuerpflichtige Umsätze) und die Steuer mindernden neuen Tatsachen (Vorsteuern) aus der Erklärung wie folgt zu berücksichtigen:


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USt (16 %) lt. Schätzung
(66,67 %)
160.000,– €
+ neue Tatsache (§ 173 (1) Nr. 1 AO)
(33,33 %)
80.000,– €
zusammen
(100,00 %)
240.000,– €
 
 
 
abzüglich Vorsteuer lt. Schätzung
50.000,– €
 
+ neue Tatsache (§ 173 (1) Nr. 2 AO)
+ 66.667,– €
 
(33.33 % von 200.000,– €)
 
 
 
116.667,– €
– 116.667,– €
festzusetzende USt
 
123.333,– €

2 Berücksichtigung materieller Fehler gem. § 177 AO

Nach dem (BStBl 2003 II S. 785), können, wenn nachträglich sowohl Steuer erhöhende Tatsachen (Umsätze) als auch Steuer mindernde Tatsachen (Vorsteuerbeträge) bekannt werden und die Steuer erhöhenden Tatsachen zur Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO führen, die Steuer mindernden Tatsachen sowohl gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO als auch gem. § 177 AO zu berücksichtigen sein. Mit dieser Entscheidung hat der BFH für die Umsatzsteuer sein Urteil vom , V R 60/92 (BStBl 1996 II S. 149), fortentwickelt.

Fortsetzung Beispiel 1:

Für eine Änderung nach § 177 (1) Abs. 1 AO kommt noch in Betracht:


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Vorsteuerbeträge lt. Erklärung
120.000,– € 
bereits im Schätzungsbescheid berücksichtigt
–           0,– € 
bereits nach § 173 (1) Nr. 2 Satz 2 AO berücksichtigt
–  48.000,– € 
verbleibender Vorsteuerbetrag = materieller Fehler
72.000,– €.

Änderungsrahmen:


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a)
Änderungsobergrenze
120.000,– €
Steuerfestsetzung lt. Schätzung
 
 
+ 80.000,– €
Änderung zu Ungunsten
 
 
200.000,– €
 
 
 
 
 
b)
Änderungsuntergrenze
120.000,– €
Steuerfestsetzung lt. Schätzung
 
 
– 48.000,– €
Änderung zu Gunsten
 
 
72.000,– €
 

Da durch die materiell zutreffende Umsatzsteuer (80.000,– € lt. Steuererklärung) die Obergrenze nicht über- und die Untergrenze nicht unterschritten wird, ist der verbleibende Vorsteuerbetrag (materieller Fehler) in voller Höhe gem. § 177 Abs. 1 AO zu berücksichtigen. Im Ergebnis wird dadurch die Umsatzsteuer entsprechend der Steuererklärung festgesetzt.

Fortsetzung Beispiel 2:

Für eine Änderung nach § 177 Abs. 1 AO kommt noch in Betracht:


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Vorsteuerbeträge lt. Erklärung
250.000,– € 
bereits im Schätzungsbescheid berücksichtigt
–  50.000,– € 
bereits nach § 173 (1) Nr. 2 Satz 2 AO berücksichtigt
–  66.667,– € 
verbleibender Vorsteuerbetrag = materieller Fehler
133.333,– €.

Änderungsrahmen:


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a)
Änderungsobergrenze
 110.000,– €
Steuerfestsetzung lt. Schätzung
 
 
+  80.000,– €
Änderung zu Ungunsten
 
 
190.000,– €
 
 
 
 
b)
Änderungsuntergrenze
110.000,– €
Steuerfestsetzung lt. Schätzung
 
 
– 66.667,– €
Änderung zu Gunsten
 
 
 43.333,– €
 

Da durch die materiell zutreffende Umsatzsteuer (– 10.000,– € lt. Steuererklärung) die Änderungsuntergrenze unterschritten wird, ist der verbleibende Vorsteuerbetrag (133.333,– €) nur bis zur Höhe von 80.000,– € („soweit die Änderung reicht”) gem. § 177 Abs. 1 AO zu berücksichtigen. Die berichtigte Steuerfestsetzung beträgt danach 43.333,– €.

OFD Magdeburg v. - S 0351 - 16 - St 251

Fundstelle(n):
BAAAB-26486

1500.000 : 1.250.000 × 100 = 40 %

2500.000 : 1.500.000 = 1 * 3 = 33.33 %