BFH Beschluss v. - IV B 64/04

Auslegung eines Rechtsbehelfsbegehrens gegen einen Gerichtsbescheid

Gesetze: FGO § 90a

Instanzenzug:

Gründe

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) durch Gerichtsbescheid des Berichterstatters vom 13 K 5419/02 ab, der dem Kläger am zugestellt wurde. Daraufhin legte der Kläger mit durch Fax übermitteltem Schreiben an das unter Angabe des Aktenzeichens des bisherigen Klageverfahrens „Einspruch gegen den Beschluß” ein. Mit Schreiben vom , das am zugestellt wurde, bat der Berichterstatter beim FG den Kläger „um eindeutige Mitteilung, gegen welche Entscheidung” er „welches Rechtsmittel einlegen” wolle. Nach einem wiederholten Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Berichterstatter, der nicht zu einer Klärung führte, bei dem der Kläger aber im Wesentlichen um Aufschub und „Aussetzung des Verfahrens” bat, weil er erkrankt sei, teilte ihm der Berichterstatter beim FG mit Schreiben vom mit, „dass künftige Schreiben…in dieser Klagesache ohne weitere Bearbeitung und Erwiderung des Finanzgerichtes zu den Akten genommen werden”. Dieses Schreiben wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am bekannt gegeben. Darauf legte dieser mit Schreiben vom beim FG „Berufung” ein. Dieses mit Fax übermittelte Schreiben wurde vom FG am ebenfalls per Fax ohne eigene Stellungnahme an den Bundesfinanzhof (BFH) weitergeleitet.

Der BFH ist für die Entscheidung über den vom Kläger als Berufung bezeichneten Rechtsbehelf nicht zuständig. Der Rechtsbehelf ist daher wieder an das zuständige FG zurückzugeben.

1. Der beschließende Senat versteht den Rechtsbehelf des Klägers nicht als förmliches Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision. Zwar hat sich die Geschäftsstelle des Senats in dieser Weise gegenüber den Beteiligten geäußert. Nach Vorlage der FG- und Steuerakten ist der Senat jedoch der Auffassung, dass der als „Berufung” bezeichnete Rechtsbehelf des Klägers gegen das ihm förmlich zugestellte Schreiben des im Sinne einer rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften nicht als Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln ist, denn ein solches Rechtsmittel wäre unzulässig.

a) Im Unterschied zu § 90a Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F., der noch die Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Gerichtsbescheid eröffnete, ist nach § 90a Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze gegen einen Gerichtsbescheid nur noch der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig und —falls diese ausdrücklich zugelassen ist— die Revision. Ist der Gerichtsbescheid allerdings —wie im Streitfall— durch den bestellten Berichterstatter als Einzelrichter erlassen worden, so ist nur der Antrag auf mündliche Verhandlung statthaft (§ 79a Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 FGO).

b) Der als „Berufung” bezeichnete Rechtsbehelf des Klägers kann auch keinen Erfolg haben, wenn er in eine außerordentliche Beschwerde umgedeutet würde. Ein solcher Rechtsbehelf ist im Finanzprozess seit In-Kraft-Treten des Zivilprozessreformgesetzes vom (BGBl I 2001, 1887) mit der Einfügung des § 321a in die Zivilprozessordnung (ZPO) generell nicht mehr statthaft (im Einzelnen Senatsbeschluss vom IV B 190/02, BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269).

2. Der Rechtsbehelf ist dementsprechend als eine Gegenvorstellung analog § 321a ZPO zu verstehen. Als solcher ist er statthaft, da gegen die hier angefochtene Entscheidung, von einer weiteren Bearbeitung des Streitfalles abzusehen, kein förmlicher Rechtsbehelf gegeben ist und ein schwerwiegender Verfahrensfehler —hier ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs— von dem unterlegenen Beteiligten gerügt wird. Der Kläger hat diese Rüge nach Zustellung des Gerichtsbescheids zwar nicht ausdrücklich erhoben; er hat jedoch bereits vor Ergehen des Gerichtsbescheids wiederholt darauf hingewiesen, dass er eine mündliche Verhandlung wünsche. Vor diesem Hintergrund hätte das FG den „Einspruch” des Klägers „gegen den Beschluß” ohne weiteres als Antrag auf mündliche Verhandlung auffassen können und auch müssen. Der Kläger hat sich in seinem Schreiben vom —unter dem Aktenzeichen des von ihm betriebenen Klageverfahrens— offensichtlich auf den Gerichtsbescheid bezogen, diesen aber als Beschluss bezeichnet und den dagegen statthaften Antrag auf mündliche Verhandlung abweichend von der zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung als Einspruch bezeichnet.

Unter den besonderen Umständen des Streitfalls hält der Senat die Auslegung dieses Einspruchs als Antrag auf mündliche Verhandlung für zwingend, weil nur sie dem aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes folgenden Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften Rechnung trägt (vgl. Senatsurteil vom IV R 97/93, BFH/NV 1995, 279, sowie , BStBl II 1976, 271). Auch der gesamte Schriftwechsel nach Zustellung des Gerichtsbescheids bringt zum Ausdruck, dass der forensisch offenkundig unerfahrene Kläger seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verfolgt. Auch die nach § 321a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO entsprechend geltende Rechtsbehelfsfrist von zwei Wochen seit Zustellung der Entscheidung des FG (hier: des Schreibens des Berichterstatters vom ) ist gewahrt.

3. Das Verfahren wird an das funktional zuständige FG zurückgegeben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
LAAAB-24802