BFH Urteil v. - V R 38/02

wie V R 39/02 (v.)

Gesetze: UStG § 12

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt eine Pferdepension und einen Reitstall in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. In den Streitjahren 1994 bis 1997 schloss er mit den Eigentümern der Pferde formularmäßige Einstellungsverträge ab, nach deren § 1 er sich zu einem Preis von monatlich ... DM zu folgenden Leistungen verpflichtete:

- Gestellung eines Stellplatzes einschließlich Reinigung

- Lieferung von Einstreu, Kraftfutter und Heu

- Gestattung des Betriebs der Reitanlage.

Gemäß § 5 der Verträge verpflichtete sich der Kläger, die Pferde mit der Sorgfalt eines gewissenhaften Pflegers zu füttern, zu versorgen und dem Einsteller Krankheiten und besondere Vorkommnisse unverzüglich zu melden.

Außerdem durfte der Kläger nach § 7 für Rechnung des Einstellers einen Hufschmied mit dem Beschlagen der Pferde betrauen und in dringenden Fällen einen Tierarzt rufen. In weniger dringenden Fällen war hierzu die Zustimmung des Eigentümers erforderlich.

Der Kläger unterwarf sämtliche Umsätze aus der Pensionspferdehaltung dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993UStG—).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) vertrat aufgrund des Inhalts der Einstellungsverträge die Auffassung, dass die Umsätze aus der Pferdepension dem allgemeinen Steuersatz unterlägen, weil das tägliche Putzen, Striegeln und Bewegen der Tiere von den Eigentümern übernommen werde. Er änderte die zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangenen Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre mit Bescheiden vom , indem er auf die Entgelte, die der Kläger aufgrund der Einstellungsverträge erhielt, den Regelsteuersatz anwandte.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab, weil die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG nicht erfüllt seien. Es führte u.a. aus, eine begünstigte Pensionsviehhaltung in Form der Unterbringung und Betreuung von Reitpferden sei gegeben, wenn eine einheitliche Leistung, bestehend aus der Vermietung von Stellplätzen bei gleichzeitiger Übernahme der Fütterung und Pflege erbracht werde. Im Streitfall fehle es jedoch an ausreichenden Pflegeleistungen. Eine ständige Verpflichtung des Klägers aus den Einstellungsverträgen, sämtliche zur artgerechten Haltung der Tiere erforderlichen Pflegeleistungen —bei Reitpferden auch Reinigen und Bewegen— zu erbringen, habe nicht bestanden. Darüber hinaus könne der Kläger eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch deshalb nicht begehren, weil Gegenstand des Leistungsangebots auch die Nutzung seiner Reitsportanlagen gewesen sei. Es liege eine einheitliche, den Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG überschreitende Leistung vor, die dem Regelsteuersatz zu unterwerfen sei.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er vertritt die Auffassung, die von ihm erbrachten Pflegeleistungen genügten den Anforderungen an den Begriff der Viehhaltung i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG. Zudem verstoße die angefochtene Entscheidung gegen Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer für die Streitjahre erklärungsgemäß festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die vom Kläger erbrachten Leistungen nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG unterliegen.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG ermäßigt sich die Steuer u.a. für die Aufzucht und das Halten von Vieh.

Wie der Senat mit Urteil vom V R 41/02 ausgesprochen hat, fällt das Einstellen und das Betreuen von Reitpferden, die von ihren Eigentümern zur Ausübung von Freizeitsport genutzt werden, nicht unter den Begriff „Halten von Vieh” i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG und ist deshalb nicht mit dem ermäßigten, sondern mit dem allgemeinen Steuersatz zu versteuern. Wegen der Begründung wird auf dieses Urteil (V R 41/02) verwiesen.

2. Ob die streitigen Leistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, lässt sich aufgrund der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer für die Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen (§§ 51 bis 68 AO 1977). Das gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs ausgeführt werden.

Danach kommt es im Streitfall entscheidend darauf an, ob der Kläger die Umsätze im Rahmen eines Zweckbetriebs ausgeführt hat. Denn wenn das Gesetz —wie hier § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG— eine Steuervergünstigung insoweit ausschließt, als ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (§ 14 AO 1977) unterhalten wird, verliert die Körperschaft gemäß § 64 Abs. 1 AO 1977 die Steuervergünstigung für die dem Geschäftsbetrieb zuzuordnenden Umsätze, soweit der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb kein Zweckbetrieb (§§ 65 bis 68 AO 1977) ist.

Nach § 65 AO 1977 ist ein Zweckbetrieb gegeben, wenn

Nr. 1. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen,

Nr. 2. die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und

Nr. 3. der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.

a) Im Streitfall ist bereits zweifelhaft, ob die zweite Voraussetzung erfüllt ist. Nach der Rechtsprechung sind die steuerbegünstigten Zwecke ohne die wirtschaftliche Betätigung nur dann nicht zu erreichen, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb sich von der Verfolgung des steuerbegünstigten Zwecks nicht trennen lässt, vielmehr als das unentbehrliche und einzige Mittel zur Erreichung des steuerbegünstigten Zwecks anzusehen ist (vgl. , BFHE 200, 101, BStBl II 2003, 438). Aus den Angaben im Tatbestand der Vorentscheidung ergibt sich lediglich, dass der Kläger Pensionspferde unterstellt und einen „Reitstall” betreibt. Es fehlt an weiteren Feststellungen, anhand derer beurteilt werden könnte, ob der Kläger seine satzungsmäßigen Zwecke nur durch Unterhaltung eines Pensionsbetriebs erreichen konnte (vgl. , BFHE 93, 522, BStBl II 1969, 43). Dabei wird der Satzung des Klägers entscheidende Bedeutung beizumessen sein (vgl. , BFHE 191, 434, BStBl II 2000, 705, a.E.). Das FG wird insoweit die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben.

b) Zudem hat das FG keine Feststellungen getroffen zur Frage, ob der Kläger mit seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO 1977).

Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die die Beurteilung erlauben, ob im Streitfall der Wettbewerb beeinträchtigt ist und gegebenenfalls ob dies i.S. des § 65 Nr. 3 AO 1977 vermeidbar ist (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 191, 434, BStBl II 2000, 705). Zum einen fehlen Feststellungen zur Wettbewerbssituation —Angebot und Nachfrage— vor Ort. Es kommt insoweit auf den Einzugsbereich des Klägers an. Zudem sind der Kreis der Leistungsempfänger, die Ausgestaltung der jeweiligen vertraglichen Bedingungen und die Höhe der Entgelte von Bedeutung. Nur auf dieser Grundlage lässt sich beurteilen, ob ein anderer —nicht steuerbegünstigter— Betreiber die gegebene Nachfrage überhaupt in ähnlicher Weise wie der Kläger befriedigen könnte.

Zum anderen ist zu prüfen, ob ein gegebenenfalls anzunehmender Eingriff in den Wettbewerb mit Rücksicht auf den vom Kläger verfolgten steuerbegünstigten Zweck unvermeidbar i.S. des § 65 Nr. 3 AO 1977 ist.

Das FG wird diese für die Anwendbarkeit des § 65 Nr. 3 AO 1977 erheblichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen müssen.

3. Im Übrigen kommt auch eine Herabsetzung der Umsatzsteuer aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht.

Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

m) bestimmte, in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, die Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbringen, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben;

...”

a) Der Steuerpflichtige kann sich vor dem FG unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen, wenn diese ihm eine gegenüber dem nationalen Recht günstigere Rechtsposition einräumt (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. 41/74 —van Duyn—, Slg. 1974, 1337, (1348); , BVerfGE 75, 223, 244; , BStBl II 1992, 267). Voraussetzung hierfür ist u.a., dass die Richtlinienbestimmung hinreichend genau und nicht an Bedingungen geknüpft ist (vgl. —Soupergaz—, Slg. 1995, I-1883 Rdnr. 34).

Nach diesen Grundsätzen kann sich ein Steuerpflichtiger auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG berufen. Soweit Absatz 2 der Bestimmung die Mitgliedstaaten ermächtigt, die Gewährung der unter Absatz 1 (u.a. Buchst. m) vorgesehenen Befreiungen „von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig zu machen” (Aufzählung der Bedingungen), hindert dies die Berufbarkeit der Befreiungsregelung —entgegen dem Einwand des BMF— nicht. So hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass sich ein Steuerpflichtiger auf die Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, für die die entsprechende Ausnahmeermächtigung nach Absatz 2 der Bestimmung gilt (vgl. —Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH—, Slg. 2002, I-6833, und vom Rs. C-45/01 —Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie—, Umsatzsteuer-Rundschau 2003, 584).

b) Ob Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG im Streitfall anwendbar ist, kann anhand der vorhandenen Feststellungen in der Vorentscheidung jedoch ebenfalls nicht abschließend entschieden werden. Es fehlt an Feststellungen zu den Voraussetzungen, nach denen der Ausschlusstatbestand des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG eingreifen kann.

Danach ist eine Steuerbefreiung für die streitigen Leistungen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind oder wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das FG wird auch insoweit die notwendigen Feststellungen nachzuholen haben (vgl. oben unter II. 2.).

Sollten die Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG nach dem Ergebnis der im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Feststellungen vorliegen, ist weiter zu prüfen, inwieweit sich der Vorsteuerabzug entsprechend mindert.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1298
BFH/NV 2004 S. 1298 Nr. 9
IAAAB-23763