OFD München - O 1057 - 211 St 311

Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB, Art. 34 GG wegen der Kosten im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren

In der Rechtsprechung der Zivilgerichte hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Vorschriften der AO und der FGO einem materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von Kosten des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nach den allgemeinen Regelungen der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) nicht entgegenstehen.

Auch der BFH hat in einer Entscheidung vom (BStBl 1996 II S. 501) etwaige Ansprüche auf Kostenerstattung wegen Amtspflichtverletzung ausdrücklich unberührt gelassen.

1. Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen

Ein Schadensersatzanspruch aufgrund der allgemeinen Regelungen zur Amtshaftung kommt unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:

1.1. Amtspflichtverletzung

Werden die notwendigen Auslagen für die Einschaltung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei der Einlegung eines Einspruchs im Wege des Schadensersatzes nach § 839 Abs. 1 BGB geltend gemacht, muss der Antragsteller eine Amtspflichtverletzung eines Beamten nachweisen. Hierzu genügt es nicht, dass der angegriffene Steuerbescheid fehlerhaft war und deshalb im Einspruchsverfahren abgeändert wurde. Nicht jede unrichtige Sachbehandlung stellt auch gleichzeitig eine Amtspflichtverletzung dar. Diese setzt vielmehr voraus, dass die Handlungsweise des Beamten gegen den klaren, bestimmten und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt oder im Gegensatz zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung steht oder die Gesetzesanwendung offenbar unrichtig, d.h. schlechthin nicht vertretbar ist. Beispiele: Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (§ 91 AO), unterlassene Ermittlung von Amts wegen (§ 88 AO), fehlerhafte oder unterlassene Rechtsanwendung, Nichtanwendung neuer BFH-Rechtsprechung (vgl. Az.: 1 U 1588/01 in Der Betrieb 2003 S. 360), Organisationsverschulden.

1.2. Drittbezogenheit der Amtspflicht

Die Amtspflicht darf nicht nur gegenüber der Behörde oder gegenüber der Allgemeinheit bestehen. Zweck der Amtspflicht muss mindestens auch die Wahrnehmung der Interessen des Einzelnen sein.

Dritter ist jeder, dessen konkreten Interessen die Amtspflicht dient und in dessen Rechtskreis durch die Amtspflichtverletzung eingegriffen wird. Den Gemeinden können keine Schadensersatzansprüche gegen die mit der Verwaltung der Gewerbesteuer befassten Bediensteten der Finanzämter und gegen das Land zustehen, da die Bediensteten der Finanzämter bei der Verwaltung der Gewerbesteuer keine Amtspflichten erfüllen, die ihnen den Gemeinden gegenüber als Dritten obliegen.

1.3. Verschulden

Die Amtspflichtverletzung muss zudem schuldhaft sein. Eine Amtspflichtverletzung kann vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen. Vorsatz bedeutet wissentliches und pflichtwidriges Verhalten. Bei der Prüfung der Fahrlässigkeit sind nach der Rechtsprechung des BGH nicht die Kenntnisse, die der betreffende Beamte besitzt, sondern die Anforderungen maßgebend, die an einen „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten” zu stellen sind (Palandt-Thomas, 63. Aufl., RdNr. 53 zu § 839 BGB). Demnach ist die Handlungsweise eines Beamten nur dann eine fahrlässige Amtspflichtverletzung i.S. des § 839 BGB, Art. 34 GG, wenn sie zumindest fahrlässig, d.h. unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt begangen worden ist.

1.4. Kausalität

Die Amtspflichtverletzung muss kausal für den entstandenen Schaden sein.

1.5. Haftungsausschluss

Gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Haftung ausgeschlossen, wenn der Verletzte eine andere Ersatzmöglichkeit hat. Die Haftung ist gemäß § 839 Abs. 3 BGB vor allem auch dann ausgeschlossen, wenn es der Geschädigte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

1.6. Mitverschulden

Schließlich ist das Mitverschulden des Geschädigten gem. § 254 BGB zu prüfen. Ein Mitverschulden kann bei der Entstehung des Schadens vorliegen, wenn der Geschädigte seine Mitwirkungspflicht gem. § 90 AO verletzt hat. Außerdem hat der Geschädigte eine Schadensminderungspflicht. Nach den subjektiven Fähigkeiten und Kenntnissen des Steuerpflichtigen kann die Einschaltung eines Steuerberaters entbehrlich sein.

1.7. Rechtsfolgen

Ist einem Beamten danach eine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten anzulasten, führt diese zu einer Ersatzpflicht des Freistaates Bayern, wenn eine zur Hilfeleistung in Steuersachen befugte Person erstmals im Rechtsbehelfsverfahren mit der Angelegenheit befasst wird.

2. Verfahren nach den Grundsätzen in der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatskanzlei, der Bayerischen Staatsministerien und des Bayerischen Obersten Rechnungshofes über den Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertrV) vom (FMBl 2004 S. 80)

2.1. Geltendmachung

Ansprüche gegen den Freistaat Bayern werden von der Ausgangsbehörde bearbeitet (vgl. Nr. 5.1.1 VollzBekVertrV). Ausgangsbehörde in diesem Sinne sind die Finanzämter und Außenstellen (im Folgenden: Finanzamt). Das Finanzamt soll innerhalb angemessener Frist von dem Zeitpunkt an, zu dem es durch die antragstellende Person erstmals von dem Anspruch erfahren hat, der antragstellenden Person mitteilen, ob es den Anspruch ablehnt, anerkennt oder zu einer gütlichen Einigung bereit ist. Wird ein Anspruch geltend gemacht, über den das Finanzamt nicht alsbald entscheiden kann (z.B. weil umfangreiche Ermittlungen zur Erforschung des Sachverhalts notwendig sind oder weil das Finanzamt erst die Weisung der Oberfinanzdirektion einholen muss), soll dieses der antragstellenden Person unverzüglich mitteilen, es werde den Anspruch prüfen, die notwendigen Ermittlungen durchführen oder die Weisung der Oberfinanzdirektion einholen und sodann auf die Sache zurückkommen. Es hat dabei, soweit möglich, anzugeben, bis wann mit dem Abschluss der Ermittlungen voraussichtlich zu rechnen ist (vgl. Nr. 5.1.2 VollzBekVertrV).

2.2. Erfüllung von Ansprüchen durch das Finanzamt

Das Finanzamt kann begründete Ansprüche erfüllen, wenn die Verpflichtung (einschließlich eventuell zu ersetzender Kosten) den Betrag von 5.000 € nicht übersteigt. Über diesen Betrag kann das Finanzamt auch einen Vergleich schließen (vgl. Nr. 5.2.1 VollzBekVertrV i.V.m. Abschnitt I, Nr. 2 Buchst. d der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom ,  – 98/24 St 241 und ). Die hierfür benötigten Mittel bei Kap. 06 02 Titel 532 01 des Staatshaushalts sind jeweils rechtzeitig und formgerecht anzufordern. Dabei ist auf o.g. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen Bezug zu nehmen.

2.3. Verfahren bei Stattgabe

Gibt das Finanzamt dem Anspruch ganz oder teilweise statt, so hat es die tragenden Gründe für diese Entscheidung aktenkundig zu machen (vgl. Nr. 5.1.4 VollzBekVertrV). Ein Vergleich ist anzustreben, wenn die Rechtslage zweifelhaft und der Abschluss eines Vergleichs für den Freistaat zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Wird ein Vergleich über einen Schadensersatzanspruch gegen den Freistaat geschlossen, so soll in den Vergleich eine Erklärung der geschädigten Person aufgenommen werden, dass mit diesem Vergleich alle etwaigen Ansprüche aus dem Schadensereignis, insbesondere auch etwaige Ansprüche wegen gegenwärtig nicht vorhersehbarer Folgen des Schadensereignisses, gleichgültig, ob sich diese etwaigen Ansprüche gegen den Freistaat Bayern oder seine Bediensteten richten, endgültig und vollständig abgefunden sind. Auch im Falle eines Vergleichs sind die für seinen Abschluss bestimmenden Erwägungen aktenkundig zu machen (vgl. Nr. 5.1.5 VollzBekVertrV).

2.4. Verfahren bei Ablehnung

Lehnt das Finanzamt den Anspruch ab, so hat es der antragstellenden Person die wesentlichen Gründe dieser Entscheidung schriftlich mitzuteilen. Der antragstellenden Person ist außerdem mitzuteilen, welche Vertretungsbehörde zuständig ist (vgl. Nr. 5.1.6 VollzBekVertrV).

2.5. Zuständige Vertretungsbehörden

Zuständige Vertretungsbehörden sind die Bezirksfinanzdirektionen (§ 2 Abs. 1 VertrV). Die örtliche Zuständigkeit der Vertretungsbehörde bestimmt sich nach dem Sitz des jeweiligen Finanzamts als Ausgangsbehörde (§ 3 Abs. 1 VertrV).

2.6. Beratung durch die Vertretungsbehörde

Das Finanzamt ist berechtigt, sich in rechtlich zweifelhaften und schwierigen Fällen durch die zuständige Vertretungsbehörde beraten zu lassen. In diesem Fall hat es der Vertretungsbehörde die Sachlage unter Bezeichnung der Belegstellen in den beigefügten Vorgängen zu schildern, das Begehren der antragstellenden Person hervorzuheben, zur Rechtslage Stellung zu nehmen und mitzuteilen, wie es zu entscheiden beabsichtigt (vgl. Nr. 5.2.2 VollzBekVertrV).

Die Möglichkeit der Rechtsberatung durch die zuständigen Referate der Oberfinanzdirektionen bleibt hiervon unberührt.

2.7. Vorlage an die OFD

Wird gegen den Freistaat ein Anspruch von grundsätzlicher Bedeutung oder erheblicher politischer oder finanzieller Tragweite erhoben, hat das Finanzamt ohne Rücksicht auf die Höhe der anzuerkennenden oder vergleichsweise zu übernehmenden Verpflichtung oder den Wert des erhobenen Anspruchs der Oberfinanzdirektion unter Vorlage der maßgeblichen Vorgänge und Unterlagen zu berichten.

2.8. Kosten

Für das Verfahren vor dem Finanzamt werden Gebühren und Auslagen nicht erhoben (vgl. Nr. 5.4.1 VollzBekVertrV). Die einer antragstellenden Person im Verfahren vor dem Finanzamt erwachsenden Kosten (z.B. Anwaltskosten, Reisekosten, usw), sind gem. Nr. 5.4.2 VollzBekVertrV zu ersetzen,

  • wenn und soweit die antragstellende Person einen begründeten Schadensersatzanspruch geltend macht und die Kosten auch bei Berücksichtigung des § 254 BGB als Teil des der antragstellenden Person erwachsenen Schadens anzusehen sind, insbesondere zu den Kosten zweckentsprechender Rechtsverfolgung gehören, die eine verständige und sachgemäß handelnde Partei vernünftigerweise aufwendet;

  • wenn und soweit der Freistaat Bayern mit der Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs in Verzug ist und die Kosten auch bei Berücksichtigung des § 254 BGB als Teil des der antragstellenden Person erwachsenen Verzugsschadens anzusehen sind, insbesondere zu denjenigen Kosten gehören, die eine verständige und sachgemäß handelnde Partei vernünftigerweise aufwendet;

  • wenn und soweit in einem Rechtsstreit die Pflicht des Freistaats Bayern festgestellt wird, die außergerichtlichen Kosten der klagenden Partei zu tragen.

2.9. Zusammenarbeit mit der Vertretungsbehörde

Wird gegen den Freistaat Bayern ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht, hat auf Ersuchen der Vertretungsbehörde das Finanzamt umgehend schriftlich einen vollständigen, schriftlichen Bericht unter Vorlage sämtlicher sachdienlicher Akten und eine rechtliche Stellungnahme abzugeben (vgl. Nr. 5.3 VollzBekVertrV) und die Oberfinanzdirektion mittels Abdruck zu unterrichten.

Wird in einer solchen Streitsache dem Finanzamt eine Klage (bzw. ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes, eine Streitverkündung, ein Prozesskostenhilfegesuch, ein Mahnbescheid, ein Rechtsbehelfsschriftsatz usw.) zugestellt, hat das Finanzamt dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, dass das fragliche Schriftstück nicht der für die gesetzliche Vertretung des Freistaats Bayern zuständigen Behörde zugestellt worden ist. Gleichzeitig ist das zugestellte Schriftstück an das Gericht zurückzusenden. Eine Einlassung zur Sache hat zu unterbleiben. In Zweifelsfällen hat das Finanzamt unverzüglich die zuständige allgemeine Vertretungsbehörde zu verständigen. Beide Behörden sind in derartigen Fällen dafür verantwortlich, dass dem Freistaat Bayern aus der Versäumung eines Termins oder Rechtsbehelfs keine Rechtsnachteile entstehen (Nr. 9.1 VollzBekVertrV).

2.10. Anhörung von Betroffenen

Wird gegen den Freistaat Bayern ein Anspruch gerichtlich oder außergerichtlich geltend gemacht, der einen Rückgriffsanspruch des Freistaates Bayern gegen einen Staatbediensteten begründen kann, so soll der Betroffene vor einem Anerkenntnis des Anspruchs und vor Abschluss eines Vergleichs gehört werden (vgl. Nr. 6.1 VollzBekVertrV).

2.11. Zeichnungsvorbehalt

Auf den allgemeinen Zeichnungsvorbehalt des Amtsleiters bei Schadensersatzansprüchen wird hingewiesen (vgl. Anlage 1 Nr. 1.6.5 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom , FMBl 1993 S. 367 mit Änderungen vom , FMBl 2001 S. 509).

Inhaltlich gleichlautend
OFD München v. - O 1057 - 211 St 311
OFD Nürnberg v. - S 0600 - 9/St 24

Fundstelle(n):
OAAAB-23025