BFH Beschluss v. - V B 25, 26/03

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) widerrief mit Wirkung für den Besteuerungszeitraum 2000 die der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gestattete Versteuerung ihrer Umsätze nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG). Die Klägerin ist eine GmbH, die im Streitjahr 2000 Umsätze durch Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung erzielte. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob sie gegen den Widerruf der Gestattung der Umsatzversteuerung nach vereinnahmten Entgelten Klage (Verfahren 14 K 4310/02).

Das FA setzte die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2000 gegen die Klägerin abweichend von ihrer Umsatzsteuererklärung fest. Die Klägerin hatte ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten angemeldet. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob sie gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2000 Klage (Verfahren 14 K 5621/00).

In dem für beide Verfahren am angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung erschien für die Klägerin niemand. Zuvor hatte sich Folgendes ereignet:

Am (um 15.49 Uhr) war bei dem Finanzgericht (FG) eine von einer Mitarbeiterin der Klägerin geschriebene Fernkopie mit folgendem Inhalt eingegangen:

„Herrn Dr. L…ist es, wie in dem Attest ersichtlich ist, unmöglich den Termin am einzuhalten. Wir bitten um Verständnis und neue Terminierung nach dem .„

In dem beigefügten —ebenfalls fernkopierten— ärztlichen Attest für Dr. L mit dem Datum des heißt es u.a.:

„Herr Dr. L befindet sich in meiner regelmäßigen hausärztlichen Behandlung. Wegen einer akut aufgetretenen interkurrenten Erkrankung besteht Arbeitsunfähigkeit ab 06.12. bis .„

Darauf teilte der Vorsitzende des zuständigen Senats beim FG dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am (per Fax) mit, der Terminverlegungsantrag vom werde abgelehnt, „da die Gründe für eine eventuelle Aufhebung oder Verlegung des Termins nicht glaubhaft gemacht sind (§ 155 Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 227 Abs. 2 Zivilprozeßordnung). Aus dem vorgelegten ärztlichen Attest ergibt sich nicht eindeutig eine Verhandlungsunfähigkeit des Geschäftsführers der Klägerin. Überdies ist nicht ersichtlich, dass dieser nicht vertreten werden kann.„

Nunmehr ging am um 10 Uhr mit Fernkopie ein weiterer Antrag auf Verlegung des Termins mit folgendem Inhalt ein:

„Um Verlegung des Termins wird gebeten, da Herr Dr. L…aus gesundheitlichen Gründen, wie das beiliegende Attest bestätigt, verhandlungsunfähig ist. Eine rechtswirksame Vertretung der Klägerin besteht nicht. Herr Dr. L…ist nicht im Büro, alle Mitarbeiter waren am auf einem ganztägigen Lehrgang.„

Dieses Schreiben ist von der bereits erwähnten Mitarbeiterin unterzeichnet worden.

Beigefügt war ein ärztliches Attest mit dem Datum des mit folgendem Inhalt:

„In Ergänzung zum Attest vom wird bestätigt dass der Kläger nicht verhandlungsfähig ist.„

Auf die mündliche Verhandlung, die nach der Sitzungsniederschrift vom an diesem Tag um 10.18 Uhr begann, wies das FG die Klagen gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr 2002 und gegen den Widerruf der Gestattung, nach vereinnahmten Entgelten zu versteuern, ab. In der Begründung für beide Urteile führte das FG u.a. aus, dem kurzfristig vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Terminverlegungsantrag habe das Gericht nicht entsprochen, weil der Antrag nicht aussagefähig begründet worden sei. Die Klägerin müsse die Gründe dafür, ob erhebliche Gründe für eine Verlegung des anberaumten Termins vorlägen, so genau angeben, dass sich das Gericht aufgrund der Schilderung ein Urteil über die Erheblichkeit der Gründe für die Terminverlegung bilden könne.

Die Klägerin begehrt mit den Beschwerden die Zulassung der Revision gegen die Abweisung der Klage gegen der Widerruf der Gestattung, nach vereinnahmten Entgelten zu versteuern (Verfahren V B 25/03), und gegen die Abweisung der Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Kalenderjahr 2000 (Verfahren V B 26/03).

Sie macht Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) geltend, weil die Verfahren unter Verletzung des rechtlichen Gehörs durchgeführt worden seien. Dem jeweiligen Antrag auf Terminverlegung hätte nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) stattgegeben werden müssen. Sie, die Klägerin, habe ein ärztliches Attest vorgelegt, das ihrem Geschäftsführer Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt habe. Das FG sei an diese ärztliche Beurteilung gebunden.

Die Klägerin beantragt, die Revision in den Verfahren V B 25/03 und V B 26/03 zuzulassen.

Das FA hat keine Anträge gestellt.

II. 1. Der Senat hält es für angemessen, die Verfahren V B 25/03 und V B 26/03 zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO).

2. Die Beschwerden sind begründet.

Der Senat hebt die angefochtenen Urteile gemäß § 116 Abs. 6 FGO auf und weist die Rechtsstreite zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Die Klägerin macht zutreffend geltend, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden. Dies ist ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, bei dem ein Urteil stets auf Verletzung von Bundesrecht anzusehen ist (§ 119 Nr. 3 FGO).

Ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt durch Versagung des rechtlichen Gehörs dadurch vor, dass das FG den Termin für die mündliche Verhandlung am wegen Verhandlungsunfähigkeit des Geschäftsführers der Klägerin nicht verlegt oder aufgehoben oder die mündliche Verhandlung nicht vertagt (Terminänderung) hat und dass es in Abwesenheit von Vertretern der Klägerin verhandelt und aufgrund der Verhandlung entschieden hat (§ 119 Nr. 3 i.V.m. § 91 Abs. 2 FGO).

a) Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Liegen erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vor, verdichtet sich die Ermessensausübung zur Rechtspflicht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 38/01, BFH/NV 2002, 938; vom VIII R 32/95, BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676; vom V B 224/00, BFH/NV 2002, 520; Hellwig in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 91 FGO Rz. 21).

Die Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Die Erkrankung eines Beteiligten kann einen solchen erheblichen Grund darstellen. In einem solchen Fall reicht gewöhnlich die Vorlage eines substantiierten privatärztlichen Attestes aus (, BFH/NV 2000, 1353; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 91 Rz. 4).

b) Ob im Einzelfall eine Terminaufhebung oder Terminverlegung gerechtfertigt ist, muss das FG anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Aufhebungs- oder Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (, BFH/NV 2003, 178, m.w.N.); das gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag erst kurz vor dem vorgesehenen Beginn der Verhandlung gestellt wird. Deshalb muss, wenn in dieser Situation der Antrag auf Terminverlegung mit einer plötzlichen Erkrankung des Bevollmächtigten begründet wird, der Antragsteller dem Gericht regelmäßig nähere Angaben zu Art und Schwere der Krankheit machen (, BFH/NV 2002, 1047, m.w.N.). Allein die Arbeitsunfähigkeit des Bevollmächtigten reicht hierfür nicht aus (, BFH/NV 2003, 80).

Bei Vorlage eines ärztlichen Attestes muss dieses entweder die Verhandlungsunfähigkeit des Bevollmächtigten bescheinigen oder eine so genaue Schilderung enthalten, dass das FG selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung ein Erscheinen zum Termin verhindert oder nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 80). Fehlt es daran, so darf das FG den Verlegungsantrag regelmäßig ablehnen.

c) Im Streitfall handelt es sich bei dem am Nachmittag des eingereichten privatärztlichen Attest mit dem Datum des für den Vertreter der Klägerin (Beteiligte nach § 57 Nr. 1 FGO) nicht um ein substantiiertes Attest, weil es über die Art und den Umfang der Erkrankung keine Beurteilung ermöglicht.

Durch die Verfügung des Vorsitzenden vom —abgesandt an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am — konnte bei der Klägerin bzw. ihrem Vertreter jedoch der Eindruck entstehen, dass dieser Mangel durch ein Attest, in dem ihrem Geschäftsführer „Verhandlungsunfähigkeit„ bescheinigt wird, behoben werde. Dementsprechend hat die Klägerin ein Attest eingereicht, in dem durch einen Arzt bestätigt wurde, der Vertreter der Klägerin sei verhandlungsunfähig. Aus der Sicht der Klägerin hatte sie die Anforderungen, die das FG für die Terminverlegung an sie stellte, erfüllt.

Unter den besonderen in diesem Fall gegebenen Umständen stellte somit die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit eines Vertreters der Klägerin eine Verkürzung ihres rechtlichen Gehörs dar. Nach der vorangegangenen missverständlichen Stellungnahme zu dem vorgelegten ersten Attest hätte das FG das zweite Attest für die Begründung des Antrags auf Terminverlegung ohne eine Klarstellung, dass sich das Gericht selbst durch Kenntnis von Art und Auswirkung der Krankheit des Geschäftsführers der Klägerin die Beurteilung der Folgen für dessen Vermögen, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, vorbehalten wollte, nicht als nicht ausreichend behandeln dürfen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 962
JAAAB-20747