BFH Beschluss v. - VII B 122/03

Verletzung des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs durch abgelehnten Antrag auf Änderung des Termins zur mündlichen Verhandlung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts (FG) und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Der von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) liegt vor und das Urteil des FG beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).

Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs kann durch eine unzutreffende Behandlung eines Antrags auf Änderung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung verletzt sein (ständige Rechtsprechung, , BFH/NV 1993, 102; , BFH/NV 2001, 1579; Senatsbeschluss vom VII B 13/02, BFH/NV 2003, 797, jeweils m.w.N.). Indem die Beschwerde geltend macht, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) unter Angabe eines erheblichen Grundes, nämlich einer Überschneidung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung mit einem anderen Gerichtstermin, um eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gebeten habe, die Terminsverlegung jedoch vom FG abgelehnt worden sei, wird ein Verfahrensmangel in ausreichend schlüssiger Weise i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör, weil das Gericht verfahrensfehlerhaft in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden hat, erfordert hingegen keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).

Die zulässige Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs ist auch begründet.

Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann der Vorsitzende bzw. das FG aus erheblichen Gründen einen Termin aufheben oder verlegen bzw. eine mündliche Verhandlung vertagen. Die erheblichen Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung sind auf Verlangen glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO). Wenn erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vorliegen, verdichtet sich das in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, d.h. der Termin muss in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Der durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet also das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Prozessstoff oder den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozessbevollmächtigten erhebliche Gründe vorliegen. Bei der Prüfung der Gründe muss das FG zugunsten des Beteiligten berücksichtigen, dass es einzige Tatsacheninstanz ist und der Beteiligte ein Recht darauf hat, seine Sache in der mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom VII B 81/91, BFH/NV 1993, 29; BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 102, jeweils m.w.N.).

Im Streitfall hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vier Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung bei dem zuständigen Einzelrichter, dem der Rechtsstreit übertragen worden war, telefonisch um eine Verlegung des Termins gebeten, weil sie an demselben Vormittag zu einem früher anberaumten Termin in einer Strafsache vor dem Amtsgericht X geladen worden war. Ob dieses Telefonat in seinen Einzelheiten mit der Beschwerdebegründung inhaltlich zutreffend wiedergegeben worden ist, kann offen bleiben. Jedenfalls ergibt sich auch aus dem entsprechenden Aktenvermerk des Einzelrichters vom ..., dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin an jenem Tag telefonisch mitgeteilt hatte, dass sie den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht wahrnehmen könne, weil sie um ... Uhr einen Termin beim Amtsgericht habe, der früher bestimmt worden sei. Hierin lag nicht lediglich eine Ankündigung, zum Termin nicht zu erscheinen, sondern erkennbar ein Antrag auf Terminsverlegung, da ein solcher Antrag nicht etwa formgebunden ist (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 91 Rz. 2) und da über die bloße Ankündigung des Nichterscheinens hinaus Gründe für eine Terminsverlegung substantiiert dargelegt worden waren.

Weder dem Beschwerdevorbringen noch dem Aktenvermerk lassen sich Anhaltspunkte entnehmen, dass dieser Antrag auf Terminsverlegung im Verlauf des Telefonats zurückgenommen worden ist. Zwar ist die Prozessbevollmächtigte laut Aktenvermerk darauf hingewiesen worden, dass auch ohne ihr Erscheinen verhandelt werden könne; jedoch ist nicht erkennbar, dass die Prozessbevollmächtigte während des Gesprächs ihr Einverständnis mit diesem Vorschlag einer nicht in ihrem Beisein stattfindenden mündlichen Verhandlung erklärt hat.

Ob der Antrag auf Terminsverlegung von Seiten des FG abgelehnt —und ggf. mit welchen Gründen— oder nur übergangen worden ist, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Während nach der Beschwerdebegründung der zuständige Einzelrichter angeblich bereits zu Beginn des Telefongesprächs darauf hingewiesen hat, dass eine Terminsverlegung auf keinen Fall in Frage komme, findet sich weder in dem Aktenvermerk noch in dem angefochtenen Urteil ein Hinweis auf eine Ablehnung des Verlegungsantrags oder auf Gründe, die hierfür hätten ausschlaggebend sein können.

Der Antrag auf Terminsverlegung hätte jedenfalls weder übergangen noch abgelehnt werden dürfen, da ein erheblicher Grund i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO vorlag und sich deshalb —wie bereits ausgeführt— das nach dieser Vorschrift bestehende Ermessen zu einer Rechtspflicht, dem Antrag zu entsprechen, verdichtet hatte. Ein erheblicher Grund i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO wird allgemein angenommen, wenn der Prozessbevollmächtigte einen anderen, früher anberaumten Gerichtstermin wahrzunehmen hat (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 91 Rz. 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 91 FGO Rz. 10). Im Streitfall bestanden auch keine Anhaltspunkte, dass der Termin vor dem FG der wichtigere war, dem die Prozessbevollmächtigte hätte den Vorzug geben müssen. Zu der Verhandlung in einer Strafsache werden zudem häufig Zeugen geladen; während für die Terminsverlegung durch das FG im vorliegenden Fall lediglich die Benachrichtigung des Vertreters des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt) erforderlich gewesen wäre. Da die Prozessbevollmächtigte nicht Mitglied einer Sozietät ist, konnte sie die Vertretung der Klägerin auch nicht kurzfristig einem Kollegen übertragen und es kam in Anbetracht des Streitstoffs auch nicht in Betracht, dass die Klägerin vor dem FG ohne ihre Prozessbevollmächtigte auftrat.

Selbst wenn nach dem Telefonat auf Seiten des FG noch Zweifel am Vorliegen des Verhinderungsgrundes bestanden haben sollten —wofür nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte bestehen—, hätte es den Verlegungsantrag weder übergehen noch ablehnen dürfen, sondern hätte gemäß § 227 Abs. 2 ZPO die Glaubhaftmachung des Verhinderungsgrundes verlangen müssen (vgl. , BFH/NV 1993, 180), zumal hierfür bis zum Tag der mündlichen Verhandlung noch ausreichend Zeit gewesen wäre.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 654
BFH/NV 2004 S. 654 Nr. 5
XAAAB-16588