BFH Beschluss v. - I B 47/03

Urteilsberichtigung bei offenbarer Unrichtigkeit

Gesetze: FGO § 107

Instanzenzug:

Gründe

I. Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) war streitig, ob eine Übernahme von Bürgschaften und deren Erfüllung durch die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) —wie vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) so behandelt— verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) darstellen. Das FG hat dies verneint und der Klage mit Urteil vom stattgegeben. Entsprechend dem von der Klägerin bezifferten Klagebegehren hat es die (im Gesamtvollstreckungsverfahren zur Tabelle anzumeldende) Körperschaftsteuer 1995 mit ... DM, den Solidaritätszuschlag 1995 mit ... DM, die Körperschaftsteuer 1996 mit ... DM und den Solidaritätszuschlag 1996 mit ... DM festgestellt.

Mit Schriftsatz vom beantragte das FA die Berichtigung dieses Urteils gemäß § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe die Klageanträge der Klägerin ungeprüft zugrunde gelegt. Diese habe für das Streitjahr 1995 jedoch lediglich die von ihr begehrte Körperschaftsteuer auf das zu versteuernde Einkommen zu ihren Gunsten errechnet, nicht jedoch (zu ihren Lasten) die sich wegen der geringeren Zuordnung zum belasteten Eigenkapital ergebende geänderte Ausschüttungsbelastung; zudem bleibe infolge des sich nunmehr ergebenden negativen Einkommens der Klägerin ein Verlustvortrag außer Ansatz. In ihrem Klageantrag für das Streitjahr 1996 habe die Klägerin eine im Feststellungsbescheid des FA zusätzlich erfasste vGA infolge von Teilwertabschreibungen auf Forderungen nicht berücksichtigt. Dieser Sachverhalt und seine steuerliche Behandlung seien aber weder Gegenstand des Klagevorbringens der Klägerin noch des FG-Urteils gewesen. Infolgedessen weiche der Tenor des FG-Urteils von den Entscheidungsgründen ab. Richtigerweise seien die Körperschaftsteuer 1995 mit ... DM, der Solidaritätszuschlag 1995 mit ... DM, die Körperschaftsteuer 1996 mit ... DM und der Solidaritätszuschlag 1996 mit ... DM festzustellen.

Mit (im vorliegenden Verfahren angefochtenem) Beschluss vom gab das FG dem Antrag des FA auf Berichtigung des Urteils statt. Es liege eine einem Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit vor. Aus den Gründen des Urteils ergebe sich nicht die im Tenor jeweils festgestellte Steuer. Diese entspreche vielmehr allein den Klageanträgen der Klägerin. Nachdem das FA sich hierzu nicht geäußert habe, sei das FG davon ausgegangen, dass die rechnerische Folge der gegenseitigen Rechtsauffassungen zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Eine „ähnliche„ offenbare Unrichtigkeit liege auch hinsichtlich des Streitjahres 1996 vor. Aus den Urteilsgründen ergebe sich nicht, dass streitig gewesen sei, ob Forderungsabschreibungen als vGA zu behandeln seien. Diese Frage sei im Klageverfahren auch von keinem der Beteiligten angesprochen worden. Offenkundig habe das FG über diese Frage daher nicht entschieden.

Mit ihrer Beschwerde beantragt die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses vom und die Feststellung der Steuern entsprechend dem ursprünglichen Tenor des Urteils vom . Berichtigt werden könnten nur technische Fehlleistungen und banale Irrtümer. Bereits die bloße Möglichkeit, dass mit der begehrten Berichtigung ein Fehler in der Tatsachenwürdigung, ein Denkfehler oder ein Rechtsirrtum korrigiert werde, schließe eine Berichtigung nach § 107 FGO aus. Die vom FA geltend gemachten Gründe für eine Urteilsberichtigung wären —allenfalls— mit der Nichtzulassungsbeschwerde unter Wahrung der Rechtsmittelfrist zu rügen gewesen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom . Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Urteilstenors bejaht.

1. Gemäß § 107 Abs. 1 FGO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil (jederzeit) vom Gericht berichtigt werden. „Ähnliche„ offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift sind Erklärungsmängel, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch stehen; sie sind „offenbar„, wenn sie augenfällig auf der Hand liegen, durchschaubar und eindeutig sind (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834; vom IX B 111/99, BFH/NV 2000, 1127; vom IV B 140/00, BFH/NV 2002, 1306). Eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO liegt daher nur vor, wenn es sich um ein Versehen handelt, durch das es, wie bei einem Schreib- oder Rechenfehler, dazu kommt, dass das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt (BFH-Beschlüsse vom VIII B 11/68, BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954; vom III B 65/96, BFH/NV 1998, 980). Ziel der Berichtigung kann somit nur sein, den erklärten mit dem gewollten Inhalt des Urteils in Einklang zu bringen; wie bei der vergleichbaren Vorschrift des § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) schließt die ernstliche Möglichkeit eines Fehlers in der Sachverhaltsermittlung, Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung die Berichtigung nach § 107 FGO aus (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 107 Anm. 4, m.w.N.). Eine Änderung des gewollten und richtig erklärten Inhalts des Urteils kann nicht mit einem Berichtigungsantrag nach § 107 FGO, sondern nur mit dem gegen das Urteil zulässigen Rechtsmittel erreicht werden (BFH-Beschlüsse vom IV B 151/95, BFH/NV 1996, 770; vom IV B 12/88, BFH/NV 1990, 246).

2. Im Streitfall kann nicht (mehr) davon ausgegangen werden, dass dem FG bei der Abfassung des ursprünglichen Tenors des Urteils vom eine Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO unterlaufen ist.

Gleichermaßen gilt dies für den vom festgestellten Steuerbetrag des Streitjahres 1996. Zwar lassen weder der Tatbestand noch die Entscheidungsgründe erkennen, dass die Behandlung der Teilwertberichtigungen auf Forderungen Gegenstand der Entscheidung war. Da der Klageantrag der Klägerin jedoch die Behandlung der Teilwertberichtigungen als vGA —entgegen dem angefochtenen Feststellungsbescheid des FA— ausschloss, ist nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass das FG auch insoweit von einem im Klageverfahren streitigen Sachverhalt ausgegangen ist und willentlich darüber entschieden hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, § 143 Abs. 1 FGO. Anders als für das zur jeweiligen Instanz gehörende Berichtigungsverfahren selbst besteht für das Beschwerdeverfahren keine Kostenfreiheit (BFH-Beschlüsse vom IV B 35/93, BFH/NV 1994, 730; vom V B 71/99, BFH/NV 2000, 66).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 515
BFH/NV 2004 S. 515 Nr. 4
TAAAB-16306