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Ermessen
I. Definition des Ermessens
Eine Entscheidung steht im Ermessen der Finanzbehörde, wenn diese bei Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts in gewissen gesetzlichen Grenzen einen (Ermessens-) Spielraum bei der Wahl der Rechtsfolgen hat, d.h. verschiedene Rechtsfolgen ziehen kann. Im Unterschied dazu hat die Finanzbehörde bei einer sog. gebundenen Entscheidung die von dieser Norm festgelegten Rechtsfolgen zwingend herbeizuführen.
Die Finanzbehörden müssen Entscheidungen nach Ermessen treffen, sofern sie im Gesetz hierzu ermächtigt werden (s. II.1.).
§ 5 AO schreibt der Behörde vor, wie sie ihr Ermessen auszuüben hat: entsprechend dem Zweck der im Gesetz eingeräumten Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens. Die Ermessensentscheidung ist dabei zu begründen.
Jede Entscheidung, die sich im Rahmen dieser Grenzen hält, ist grundsätzlich rechtmäßig, auch wenn mehrere Möglichkeiten denkbar sind. Fehlerhafte Ermessensentscheidungen liegen dagegen vor, wenn die für die Ausübung des Ermessens vom Gesetz gezogenen Grenzen nicht beachtet werden (sog. Ermessensüberschreitung oder -unterschreitung) oder wenn das Ermessen innerhalb der Grenzen fehlerhaft ausgeübt worden ist (sog. Ermessensfehlgebrauch), s. III.
Die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung des Finanzamts unterliegt den Grenzen des § 102 FGO, d.h. sie kann von den Gerichten nur hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen und der Grenzen des Ermessens überprüft werden (s. IV.).
II. Allgemeines
1. Ermächtigung zur Ermessensausübung
Die Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung muss sich aus dem Gesetz ergeben.
In der jeweiligen gesetzlichen Vorschrift (weitestgehend im Verfahrensrecht zu finden) wird die Ermächtigung der Behörden zur Ermessensausübung durch Formulierungen wie „kann” (z.B. § 152 Abs. 1 Satz 1, § 164 Abs. 1 Satz 1, § 191 Abs. 1 Satz 1, § 222 Satz 1, § 227, § 284 Abs. 3 Satz 2, § 361 Abs. 2 Satz 1, § 364b Abs. 1 AO), „darf” (z.B. § 172 Abs. 1 Satz 1 AO), „ist befugt” (z.B. § 287 Abs. 1 AO), „sind berechtigt” (z.B. § 31 Abs. 3, § 99 Abs. 1 Satz 1 AO) oder „ist zulässig” (z.B. § 193 Abs. 1 AO) zum Ausdruck gebracht bzw. dadurch, dass die Entscheidung in „pflichtgemäßem Ermessen” der Finanzbehörde steht (z.B. § 86 Satz 1, § 92 Satz 1, § 120 Abs. 2 AO).
Formulierungen wie „muss”, „hat zu” oder „ist zu” sind charakteristisch für gebundene Vorschriften, bei denen der Finanzbehörde kein Ermessen eingeräumt wird (z.B. § 110 Abs. 1, § 119 Abs. 1, § 152 Abs. 2, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 173 Abs. 1 AO).
„Soll-Vorschriften” stellen gebundene Vorschriften dar, von denen die Finanzbehörde nur in atypischen Fällen abweichen darf (z.B. § 80 Abs. 3 Satz 1, § 91 Abs. 1, § 93 Abs. 1 Satz 3, § 122 Abs. 1 Satz 3, § 197 Abs. 2, § 200 Abs. 3 Satz 3, § 259 Satz 1 AO).
Spielräume für den Steuerpflichtigen stellen Wahlrechte und keine Ermessensvorschriften dar (z.B. § 80 Abs. 1 Satz 1, § 102 Abs. 1 AO).
2. Arten des Ermessens
Der Finanzbehörde ist zum einen Entschließungsermessen eingeräumt, d.h. Ermessen, ob überhaupt eine Rechtsfolge getroffen wird, z.B.
ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO) oder ein Haftungsbescheid erlassen wird.
Des Weiteren besteht u.U. zusätzlich ein Auswahlermessen, d.h. Ermessen darüber
wen das FA in Anspruch nehmen soll, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gesamthänderisch geschuldet werden (z.B. Auswahl unter mehreren potentiellen Haftungsschuldnern);
welche von mehreren Rechtsfolgemöglichkeiten gewählt wird (z.B. Höhe des Verspätungszuschlages, Auswahl unter verschiedenen Ermittlungsmaßnahmen).