BFH Beschluss v. - V B 57/19

Instanzenzug:

Gründe

I.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) unter dem den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2011. Der Bescheid wurde maschinell erstellt. Gegen den Bescheid legte der Kläger ausweislich des Eingangsstempels des FA am Einspruch ein. Diesen Einspruch verwarf das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unzulässig.

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger materiell-rechtliche Einwendungen geltend und übersandte eine "eidesstattliche Versicherung", nach der ihm der Umsatzsteuerbescheid 2011 am mit der Post zugeschickt worden sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom als unbegründet ab. Es war der Auffassung, dass der Kläger die Einspruchsfrist nicht gewahrt habe und der Umsatzsteuerbescheid 2011 vom auf der Grundlage von § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) bestandskräftig geworden sei. Im Streitfall sei davon auszugehen, dass, was gerichtsbekannt sei und durch den sich von dem Bescheiddatum und das Postaufgabedatum in aller Regel übereinstimmen und damit der Bescheid vom an diesem Tag zur Post aufgegeben wurde. Damit gelte der Bescheid, da der auf einen Sonntag fällt, gemäß § 108 Abs. 3 AO als am bekannt gegeben. Diese Vermutung habe der Kläger nicht erschüttert. Sein Vortrag lasse auch den Schluss zu, dass der Bescheid bis zum in den Briefkasten eingelegt wurde.

Mit seiner wegen Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger u.a. geltend, das FG habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt, da es keine weiteren Ermittlungen dazu angestellt habe, wann der Steuerbescheid zur Post gegeben worden sei.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 116 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt vor. Denn das FG hat die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) dadurch verletzt, dass es nicht ermittelt hat, wann der streitige Bescheid zur Post aufgegeben wurde.

1. Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht liegt vor, wenn das FG keine Ermittlungen zu einem tatsächlichen Geschehen anstellt, auf das es unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung ankommt, wenn sich solche Ermittlungen dem FG aufdrängen mussten. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Bestreitet ein Steuerpflichtiger nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern macht er geltend, es nicht innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, ist daher nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Sachverhalt unter Berücksichtigung des substantiierten Vorbringens des Steuerpflichtigen über den Zugang des Schriftstücks aufzuklären. Es sind die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO gegeneinander abzuwägen. Ermittlungen zum Zeitpunkt der Aufgabe des angefochtenen Bescheids zur Post sind selbst dann nicht entbehrlich, wenn in den Akten des FA der Aufgabezeitpunkt festgehalten ist. Denn eine gesetzliche Pflicht des FA, den Tag der Aufgabe zur Post gesondert aufzuzeichnen, besteht (insbesondere bei Absendung durch ein Rechenzentrum) nicht. Dabei sieht es der BFH als Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht an, wenn das FG davon ausgeht, dass bei maschinell-elektronischer Versendung von Steuerbescheiden im Wege eines Anscheinsbeweises vom Datum des Bescheides auf den Tag der Aufgabe zur Post geschlossen werden könne. Es ist im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht vielmehr gehalten, Ermittlungen dazu anzustellen, wie im Einzelnen der Ablauf der Postversendung durch das Rechenzentrum gestaltet und in welcher Weise sichergestellt ist, dass Bescheide zu dem im Bescheid angegebenen Zeitpunkt auch tatsächlich zur Post aufgegeben werden (, BFH/NV 2020, 1074, m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH).

2. Danach hat das FG im Streitfall dadurch gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßen, dass es ohne weitere Nachprüfung angenommen hat, dass bei im maschinell-elektronischen Verfahren versandten Bescheiden das Bescheiddatum und das Postaufgabedatum in aller Regel übereinstimmen. Entgegen dem Urteil des FG besteht die Sachaufklärungspflicht unabhängig davon, ob für das FG tatsächliche Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass es bei der Versendung des streitbefangenen Bescheides zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Es darf sich daher entgegen der Auffassung des FA nicht darauf beschränken, die "gerichtsbekannten Arbeitsabläufe im maschinell-elektronischen Verfahren" darzulegen. Schließlich kommt es auf eine diesbezügliche Rüge des Klägers nicht an, da er nach den Verhältnissen des Streitfalles über Umstände, die sich im ausschließlichen Einflussbereich des FA abspielen, keine substantiierten Beweisangebote unterbreiten kann.

3. Der erkennende Senat hält es für angezeigt, gemäß § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, um es dem FG zu ermöglichen, die notwendigen Ermittlungen nachzuholen.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2020:B.171120.VB57.19.0

Fundstelle(n):
XAAAH-72068