Oberfinanzdirektion Münster - S 2408 a - 1 - St 22 - 31

Abstandnahme von der Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bei verdeckten Gewinnausschüttungen bzw. Zinsabschlag bei Zinszahlungen an Empfänger, bei denen die Besteuerung der Erträge im Inland gesichert ist

EStG-Kartei NW zu §§ 43 – 45e EStG Nr. 3000

Bei einer Erörterung der Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder wurde vorgetragen, dass vermehrt Fälle aufgetreten sind, in denen eine Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlag (z.B. aufgrund einer Betriebsprüfung) beim Schuldner der Kapitalerträge veranlasst wurde, der Gläubiger der Kapitalerträge diese gleichwohl nachweislich versteuert hatte. Die Nacherhebung der Kapitalertragsteuer und die daraufhin vom Schuldner der Kapitalerträge ausgestellte Bescheinigung nach § 45a EStG führen beim Gläubiger der Erträge zu einer nachträglichen Anrechnung der erhobenen Steuern. Hieraus kann der Gläubiger der Kapitalerträge einen u.U. beträchtlichen (ungerechtfertigten) Zinsvorteil aufgrund der Vollverzinsung nach § 233a AO erlangen. Zur Vermeidung dieses Vorteils bittet die OFD Münster wie nachfolgend dargestellt vorzugehen.

Bezüglich der Abstandnahme von der Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bei verdeckten Gewinnausschüttungen bzw. Zinsabschlag bei Zinszahlungen an Empfänger, bei denen die Besteuerung der Erträge im Inland gesichert ist, gilt nach dem Beschluss der Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder bis zur Einführung der Abgeltungssteuer () folgendes:

Werden im Veranlagungsverfahren oder anlässlich einer Außenprüfung im Nachhinein Gewinnausschüttungen oder Zinszahlungen festgestellt, für die im Auszahlungszeitpunkt keine Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer einbehalten und abgeführt wurde, so wird von der Nacherhebung der Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer Abstand genommen, wenn deren Versteuerung im Inland zweifelsfrei feststeht. Dies entspricht seit der Entscheidung des (BStBl 1969 II S. 4) unveränderter höchstrichterlicher Rechtsprechung, die den Vorrang des Veranlagungsverfahrens vor dem Abzugsverfahren begründet.

Ist die Heranziehung des Gläubigers der Kapitalerträge zur Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer nach Bestätigung des für den Gläubiger zuständigen Finanzamtes bereits erfolgt, so muss sich die Abstandnahme vom Abzugsverfahren auch auf die Nichtberücksichtigung einer ggf. freiwillig durch den Abzugsverpflichteten abgegebenen Kapitalertragsteueranmeldung und einer entsprechend ausgestellten Steuerbescheinigung nach § 45a EStG erstrecken.

Die Vorschriften zum Steuerabzug von Kapitalerträgen sollen zur zeitnahen Steuererhebung beitragen, vor allem aber Kontroll- und Sicherheitsfunktionen im Hinblick auf die Erhebung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer beim Gläubiger der Kapitalerträge erfüllen. Ist die Sicherung der Versteuerung der Einkünfte im Wege der Veranlagung jedoch bereits gewährleistet, besteht für die Durchführung des Steuerabzugs kein Raum mehr.

Mangels Durchführung des Steuerabzugs darf in diesen Fällen auch keine nachträgliche Steuerbescheinigung nach § 45a EStG erstellt werden. Geschieht dies dennoch, so ist die vom Gläubiger der Kapitalerträge begehrte Anrechnung mit folgender Begründung zu versagen:

§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG gewährt nur die Anrechnung der „…durch Steuerabzug erhobenen Einkommensteuer” in Verbindung mit der Vorlage einer Steuerbescheinigung, die nach § 45a Abs. 2 Nr. 4 EStG Angaben über „den Betrag der nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechenbaren Kapitalertragsteuer” und nach § 45a Abs. 2 Nr. 5 EStG Angaben über „das Finanzamt, an das die Steuer abgeführt worden ist” enthält. Erfolgte tatsächlich aber – nach Maßgabe höchstrichterlicher Rechtsprechung – wegen Vorrang des Veranlagungsverfahrens keine Erhebung durch Steuerabzug, kann keine Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG gegeben sein, selbst dann nicht, wenn eine dies bestätigende Steuerbescheinigung vorgelegt wird. Die Steuerbescheinigung wäre dahingehend „falsch” als sie von anrechenbarer Steuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausgeht und die Erhebung bzw. Abführung an ein Finanzamt bescheinigt, die nicht stattgefunden haben.”

Das gilt insbesondere auch dann, wenn der unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner bzw. Gläubiger der Kapitalerträge von der Kapitalgesellschaft verlangt, dass sie nachträglich Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer erhebt. Der Anteilseigner kann weder gegenüber der Kapitalgesellschaft den Anspruch auf Anmeldung der Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer geltend machen noch das Finanzamt dazu anhalten gegenüber dem Abzugsverpflichteten einen Haftungsbescheid zu erlassen. Die Vorschriften zum Steuerabzug von Kapitalerträgen dienen nicht zum Schutz des Gläubigers der Erträge. Sie enthalten vielmehr Regelungen für eine Quellenbesteuerung, die zur Beschleunigung der Steuererhebung beitragen sollen, vor allem aber Kontroll- und Sicherungsfunktion im Hinblick auf die Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer des Kapitalertragssteuergläubigers haben (vgl. BFH/NV 2005, 1073).

Gemäß § 45a Abs. 6 EStG hat der Aussteller eine den Bestimmungen des § 45a Abs. 2 – 4 EStG nicht entsprechende Bescheinung zurückzufordern. In den Fällen, in denen eine Kapitalertragsteuerbescheinigung in vollem Umfang zu Unrecht erteilt ist, ist diese nur zurückzufordern, eine berichtigte Bescheinigung ist in diesen Fällen nicht zu erteilen. Die Benachrichtigungspflicht des § 45a Abs. 6 Satz 3 EStG greift in diesen Fällen mangels Fristablauf nicht.

Solange die Kapitalertragsteueranmeldungen noch manuell bearbeitet und erfasst werden, ist durch den Veranlagungsbezirk vor der Sollstellung zu prüfen, ob ein Fall der Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer vorliegt. Vor der Erfassung der Kapitalertragsteueranmeldung ist daher der Grund der Anmeldung zu überprüfen (z.B. durch Rückfrage oder ggf. durch Vorlage des Ausschüttungsbeschlusses). Soweit ein Fall der Nacherhebung vorliegt, ist dann von der Sollstellung abzusehen.

Sachverhalte aus denen die Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer resultiert, dürften größtenteils im Rahmen von Betriebsprüfungen festgestellt werden. Im Rahmen der Schlussbesprechung sollte der Betriebsprüfer daher bereits darauf hinweisen, dass die Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Verwaltungsanweisung in den Fällen, in denen die Besteuerung der Erträge im Inland gesichert ist, nicht mehr möglich ist und dass, sofern dennoch eine entsprechende Kapitalertragsteueranmeldung hierfür eingereicht wird, diese nicht anerkannt wird.

Eine Aussonderung dieser Kapitalertragsteueranmeldungen von den übrigen Kapitalertragsteueranmeldungen im elektronischen Verfahren (soweit in NRW angewendet) ist derzeit nicht möglich.

Soweit Sollstellungen und ggf. vollmaschinell gesteuerter Bankeinzug aufgrund der Nacherhebung von Kapitalertragsteuer bzw. Zinsabschlagsteuer erfolgt sind, für die die Besteuerung im Inland gesichert ist, müssen storniert werden.

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Fundstelle(n):
WAAAC-62894